Inschriftenkatalog: Stadt Hildesheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 58: Stadt Hildesheim (2003)

Nr. 53 Paris, Musée du Louvre 3. Drittel 12. Jh.

Beschreibung

Reliquiar für die Reliquien des heiligen Kaisers Heinrich II.1) Holzkern, Bronze vergoldet, Silberblech, grün-weiß-blaue Grubenschmelzarbeit, Figuren vergoldet. Das Reliquiar befand sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Hildesheim. Es gelangte über den Hildesheimer Sammler Franz Engelke (1778–1856) in den Kunsthandel und wurde 1851 für den Louvre erworben.2)

Der auf drei Löwenfüßen stehende runde Fuß des Reliquiars bildet eine flachgewölbte Kuppel. Auf dem Fuß vier Medaillons mit Brustbildern der Heiligen Sebastian, Eustachius, Mauritius und Gereon, die jeweils durch im Medaillonrahmen angebrachte Beischriften (A) bezeichnet sind. Das in Form eines Vierpasses gearbeitete Reliquiar steht auf einem kurzen Schaft. An den Scheiteln des Vierpasses jeweils ein rechts und links mit einem Pinienzapfen, oben mit einem Blattknauf befestigter ovaler Bergkristall. Auf der einen Seite des Reliquiars im Mittelfeld Christus mit Kreuznimbus auf dem Regenbogen thronend, in der Linken ein Buch haltend, die Rechte segnend erhoben. Rechts von ihm Sigismund und Eugeus,3) links Oswald – alle ohne Nimbus. Die Darstellung wird von einer dem Vierpaß folgenden Leiste gerahmt, auf der jeweils den einzelnen dargestellten Figuren zugeordnete Beischriften (B) angebracht sind.

Auf der anderen Seite des Reliquiars der 1146 kanonisierte Kaiser Heinrich II. (972–1024) auf einem Kastenthron sitzend mit Nimbus. In der Rechten hält er den Reichsapfel, in der Linken das Zepter. Links von ihm ein Brustbild der erst im Jahr 1200 heiliggesprochenen Kaiserin Kunigunde, hier noch ohne Nimbus. Über ihrem Kopf ein Schriftband mit Inschrift C. Rechts eine kniende Stifterfigur, die das Vierpaßreliquiar dem Kaiser überreicht. Rechts von der Stifterfigur ein Schriftband mit Inschrift D. Den Vierpaß umgibt auf dieser Seite ebenfalls eine Umschrift (E), die den Inhalt des Reliquiars nennt. Die Inschriften sind graviert und größtenteils mit einer schwärzlichen Masse gefüllt.

Maße: H.: 23,4 cm; Bu.: 0,3 cm (A, C, D), 0,4–0,8 cm (B, E).

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

  1. A

    + · SEBASTIANVS · // + · EVSTACHIVS · // + · MAVRITIVS // + · GEREON ·

  2. B

    + OSVVALDVS · REX · // + REX · REGV(M) · // + SIGISMVNDVS // EVGEVS · REIGESa) ·

  3. C

    CVNIGVNDIS ·

  4. D

    WELAND(VS) · MO(NACHVS)b) ·

  5. E

    + · DE · COSTA · (ET)c) · PVLVERE · (ET)c) · VESTIBVS · S(ANCTI) · HEYNRICI · IMP(ERATO)RIS · (ET)c) · C(ON)FESS(ORIS) ·

Übersetzung:

König Oswald. König der Könige. Die Könige Sigmund [und] Eugeus. (B) Der Mönch Welandus. (D) Von der Rippe und der Asche und den Kleidern des heiligen Kaisers Heinrich, des Bekenners. (E)

Kommentar

C und E in runder wie in eckiger Form, ein links geschlossenes unziales M in MO(NACHVS). Die Inschriften sind durch ausgeprägte Sporen charakterisiert. Das tironische ET weist einen gewellten Balken auf, die Schräghaste ist in einem Fall gegabelt. Der Bogen des kapitalen D setzt stark gerundet an der Haste an. Bis auf einzelne keilförmig ausgeführte Balken ist die Inschrift überwiegend linear gestaltet.

Das Reliquiar wird in der kunsthistorischen Forschung einhellig auf die Zeit um 1170 datiert. Swarzenski hatte es dem Kunstkreis Heinrichs des Löwen zugeordnet und seine Entstehung in Braunschweig angenommen,4) da die auf dem Reliquiar dargestellten und in den Inschriften namentlich bezeichneten Könige mit den sächsischen Herrschern, teilweise auch mit dem englischen Königshaus oder mit den Welfen verbunden waren.5) Durch die Untersuchungen Brandts hingegen konnte die Hildesheimer Provenienz dieses Stücks wahrscheinlich gemacht werden. Der in Inschrift D genannte Stifter des Reliquiars, Welandus, ist wohl mit einem Träger dieses Namens zu identifizieren, der in der ältesten Schicht des gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstandenen Hildesheimer Domnekrologiums verzeichnet ist: Uuelandus p(res)b(ite)r s(ancti) Micha(elis).6) Im Nekrologium von St. Michaelis, dessen erhaltene Neufassung allerdings erst aus dem 15. Jahrhundert stammt, ist dieser Welandus ebenfalls eingetragen.7) Demnach spricht viel dafür, daß das Reliquiar aus Hildesheim stammt, auch wenn in Braunschweiger Quellen ebenfalls ein Subdiakon Welandus im Jahr 1203 nachweisbar ist.8) Der Reliquieninhalt des Heinrichreliquiars, den Engelke im Katalog seiner Sammlung notiert hat, deutet ebenfalls darauf hin, daß das Reliquiar für St. Michaelis gestiftet wurde.9)

An den Inschriften fällt auf, daß nur der Name des heiligen Kaisers Heinrich in dem für Reliquienbeischriften typischen Genitiv steht (E), während für die übrigen Namen – wie bei Bildbeischriften üblich – der Nominativ verwendet wurde. Möglicherweise war das Reliquiar also zunächst nur zur Aufnahme der Reliquien des Kaisers Heinrich bestimmt. Das von Engelke angelegte Verzeichnis hingegen nennt nach den an erster Stelle stehenden Reliquien Kaiser Heinrichs auch die der dargestellten Herrscher Sigismund und Oswald.10)

Textkritischer Apparat

  1. REIGES] Statt REGES.
  2. MO(NACHVS)] O klein über M.
  3. Tironisches ET.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr.: OA 49; frühere Inv. Nr.: Département des objets d’art, D 70–72.
  2. Materialangaben und Geschichte des Reliquiars nach Kat. Bernward 2, S. 610 (Braun-Niehr). Zu Engelke vgl. Brandt, Engelke, passim.
  3. Der selten belegte Heilige Egeus/Eugeus wird in einem Reliquienverzeichnis des Northeimer Stifts St. Blasii von 1522 erwähnt (Wolfenbüttel, Niedersächsisches Staatsarchiv, VII C Hs 46): Sigismundi et Eugei regum. Auch das Bamberger Heinrichskreuz enthält eine Eugeusreliquie (Brandt, Emailkunst, S. 122, Anm. 14 nach Hinweis Baumgärtel-Fleischmann); Georg Swarzenski (Aus dem Kunstkreis Heinrichs des Löwen. In: Städel Jahrbuch 7/8 [1932], S. 241–397, hier S. 348) versucht nachzuweisen, daß in ‚Eugeus‘ eine latinisierte Version des englischen ‚Owain‘ vorliegt.
  4. Swarzenski (wie Anm. 3), S. 346–350.
  5. Kat. Zeit der Staufer 1, S. 445.
  6. Brandt, Emailkunst, S. 57–59, Anm. S. 120–122.
  7. StaHi, Bestand 52, Nr. 191a, 14. Januar: Welandus.
  8. Kat. Zeit der Staufer 1, S. 445f.
  9. Reliquienkatalog zitiert bei Brandt, Emailkunst, S. 120, Anm. 9. Brandt verweist in diesem Zusammenhang auf die Erwähnung des zur Thebäischen Legion gehörenden seltenen Heiligen Tranus, dessen Reliquie für St. Michaelis bezeugt ist (Emailkunst, S. 58). Im Reliquienverzeichnis der Stiftskirche St. Blasii in Braunschweig ist keine Tranusreliquie erwähnt, vgl. Andrea Boockmann: Die verlorenen Teile des ‚Welfenschatzes’. Eine Übersicht anhand des Reliquienverzeichnisses von 1482 der Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig. Göttingen 1997 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Klasse III, 226), S. 165.
  10. Reliquienkatalog Engelkes zitiert bei Brandt, Emailkunst, S. 120, Anm. 9. Aus den Angaben Engelkes ist allerdings nicht zu ermitteln, ob die Reliquienbeischriften aus der Zeit der Entstehung des Reliquiars stammen.

Nachweise

  1. DBHi, HS C 1533, S. 4, Nr. 7 (Zeichnung).
  2. Kat. Zeit der Staufer 1, S. 445 (B–E), Abb. Bd. 2, Nr. 380.
  3. Kat. Stadt im Wandel 2, Nr. 1049, S. 1210 (D, B), Abb. S. 1209.
  4. Kat. Bernward 2, S. 610 (A–D), Abb. S. 611 (C–E).
  5. Kat. Abglanz des Himmels, S. 189, Abb. S. 165.

Zitierhinweis:
DI 58, Stadt Hildesheim, Nr. 53 (Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di058g010k0005308.