Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 75: Halberstadt Dom (2009)
Nr. 200(†) Dom, Kreuzgang 1553
Beschreibung
Epitaph für Matthias von Veltheim; an der Nordwand des Kreuzgangs im zweiten Joch von Osten in 103 cm Höhe in die Wand eingelassen;1) gelblicher Sandstein, fragmentarisch. Den oberen Abschluß der ehemals dreigeschossigen Bogenädikula bildet eine Darstellung der Auferstehung Christi, flankiert von zwei Putten als Wappenhalter, die das geteilte Vollwappen des Verstorbenen halten. In den von Balustern getragenen Bogenzwickeln des darunter befindlichen Aufsatzes links der Prophet Osias, rechts der Apostel Paulus. Auf den Spruchbändern des Propheten bzw. des Heiligen die Bibelsprüche (B, C). Erhaben ausgeführt auf dem äußeren und inneren Bogen der Nische und einer Kartusche im Bogenfeld der Hauptplatte die mit dem Sterbevermerk kombinierte Setzungsinschrift (A). Die hochrechteckige, helle, reliefierte Innenplatte zeigt den bärtigen Verstorbenen. Er steht gespornt, in voller Rüstung mit Harnisch (Gänsebauch), Beintaschen, Arm- und Beinzeug, Handschuhen, das Schwert zur Linken – über seinem rechten Fuß ein Helm mit göffnetem Visier – in einer Rundbogennische. Diese wird von Hermenpilastern (links männlich, rechts weiblich) getragen und ist in Schulterhöhe durch ein Gesims gegliedert. Sie ist mit Fächerornamentik versehen und wird durch Blattkapitelle, von Putten gestützte Kämpferplatten, Blattmasken und Vanitassymbole (in Form von Tierschädeln u. ä.) geschmückt. Unter der Hauptplatte hat sich ehemals ein heute nicht mehr erhaltener Sockel, der vermutlich bis zum Boden reichte, mit dem abschriftlich überlieferten Totenlob mit Elementen einer Grabbezeugung (D) befunden. An einigen Stellen des Epitaphs finden sich Rötelinschriften aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.2) Das Epitaph besteht heute aus sieben Teilen; die ehemals gebrochenen Pilaster wurden wieder zusammengefügt.
Inschrift D nach Oeynhausen, Sammlung.
Maße: H. 330 cm, B. 160 cm, T. ca. 17 cm, Bu. 3 cm (A), 4,5–5,5 cm (B), 3,5 cm (C).
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
IOACHIMVS · DE · SCHVLENBVRG · SOCERO · CHARISSIMO · POSVIT 1553a) // OBIIT · ANNO : 1549 : 14 MENSISb) : AVGVSTI // AETATIS SVAEc) / 62
- B
ERO MORS TVA O / MORS / OSIAE / 133)
- C
RESVRREXIT // PROPTER · IVSTIFICATIONE(M) / N(OST)RAM4)
- D †
Hanc iuxta statuam Mathiaed) membra legunte)qui Veltheimensis gloria stirpis eratJure diocesin nostram Praefectus et aequoJuvitf) acg) hinc cedens mens sociata Deo est
Übersetzung:
A: Joachim von der Schulenburg hat (dieses Denkmal) dem teuersten Schwiegervater 1553 errichtet. Er starb im Jahre 1549 am 14. (Tag) des Monats August, seines Alters 62 (Jahre). B: Ich werde dein Tod sein, o Tod. C: Er ist auferstanden um unserer Rechtfertigung willen. D: Bei diesem Standbild des Matthias, der die Zier des Veltheimischen Geschlecht war, sind seine Glieder versammelt. Mit Recht und durch Billigkeit hat er als Stiftshauptmann unsere Diözese gefördert, und sein von hier abscheidender Geist ist Gott beigestellt.
Versmaß: Elegische Distichen (D).
Veltheim5). |
Textkritischer Apparat
- 1553] Die zweite Ziffer beschädigt. 1550 Oeynhausen, Sammlung.
- 14 MENSIS] Scriptura continua.
- AETATIS SVAE] Scriptura continua.
- Mathiae] Matthiae Schmidt, Meier.
- legunt] Sic! Wohl für leguntur; sequuntur Schmidt; Meier.
- Juvit] Juvet Schmidt.
- ac] at Schmidt.
Anmerkungen
- Dort hat sich der Gedenkstein auch früher schon befunden; er ist mit der Jahreszahl 1549 und dem Namen Joachim von Schulenburg im Grundriß des Kreuzgangs von Haber verzeichnet, darunter findet man einen Ritter in Rüstung eingezeichnet; vgl. Halberstadt, Domarchiv, Grundriß des Kreuzgangs nach Haber von Carl Elis … 1836, ohne Signatur.
- So rechts neben dem Schwertknauf M: 0 Herfen, zwischen den Knien: He / 16 / 1661, rechts neben dem linken Fuß: B Riepen sowie weitere unentzifferbare.
- Os 13,14.
- Rm 4,25.
- Quadriert, 1./4. ein gestümmelter Ast mit zwei herabhängenden Lindenblättern, 2./3. ein breiter Balken belegt mit einem Zwillingsbalken; HZ: zwischen zwei Büffelhörnern ein auf die Spitze gestelltes bequastetes Kissen. Vgl. Siebmacher Brau, S. 10; ebd. Anh, S. 8 und Taf. 9; Ledebur Bd. 3, S. 52 f.; Kneschke Bd. 9, S. 367 ff.
- Vgl. Meier 1932, S. 51–15, zum Epitaph bes. S. 9 f. mit Abb. 2; Thieme/Becker Bd. 21, S. 389.
- Behrens 1703, S. 109.
- Vgl. zum Folgenden Fuhrmann 2006b, S. 258–260.
- DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 475 mit Abb. 24.
- Schmidt 1912, S. 116 f.
- Schmidt 1899, S. 199–205; Danneil 1847, S. 294–298.
- Dazu und zum Folgenden vgl. Danneil 1847, Nr. 152 S. 294 ff. und Tab. 6 Nr. 152; Schmidt 1899, S. 199–205; Schulenburg 1821, Tab. LIX Gen. X und S. 70 f., 230 f.
- Vgl. dazu Fuhrmann 2006b, S. 260–266.
Nachweise
- Oeynhausen, Sammlung, Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek, Oy-H V, 42, Nr. 90 (Julius Karl Adolf Friedrich Graf von Oeynhausen (1843–1886), Sammlung von Grabinschriften in deutschen Kirchen) (A nur teilweise, D).
- Schmidt 1912, S. 114 (A, D).
- Meier 1932, S. 9 f. Anm. 1–2 und Anm. 1.
- Fuhrmann 2006 b, S. 258 mit Abb. 1–3.
Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 200(†) (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0020009.
Kommentar
Hasten-, Balken- und Bogenenden werden von glatten Serifen ohne Einbuchtungen abgeschlossen. Ausgeprägte Linksschrägenverstärkungen kennzeichnen die Schrift. Das untere Bogenende des B steht links über. D hat eine unziale, links offene Form, E einen verkürzten Mittelbalken mit einer Abschlußserife, der obere Balken steht nach links über, die äußeren Balken werden durch Serifen zur Mitte hin ausgezogen. Der Balken des L ist kurz und serifenlos. Der Mittelteil des M reicht bis zur unteren Grundlinie. O ist ziemlich rund geformt. Die Cauda des R kommt gerade wie auch geschwungen vor. Der Bogen der 5 ist langgestreckt, die Haste sehr kurz. Die 4 ist spitz geschlossen, der Deckbalken steht bei der AE-Ligatur einmal links über, die rechte Schräghaste ist verstärkt. Als Worttrenner verwendete man Quadrangel auf der Zeilenmitte.
Das Epitaph wird dem aus Böhmen stammenden Jürgen Spinnrad zugeschrieben, der bis 1563 in Braunschweig und Umgebung tätig war.6)
Das Grabmal war zum Gedenken an Matthias von Veltheim, Herr auf Oschersleben und Westerburg errichtet worden. Nach Behrens war er Ober-Hauptmann zu Halberstadt.7) Es handelt sich bei dem Epitaph für Matthias von Veltheim um das erste erhaltene Denkmal im Halberstädter Dom, das Spuren lutherischen Bekenntnisses in der Kathedrale aufweist.8) Die beiden Bibelzitate und ihre Visualisierung berühren zentrale Aussagen der lutherischen Lehre. Die Auferstehung Christi weist in Verbindung mit den beiden Bibeltexten auf den zweiten Artikel des Glaubenbekenntnisses im lutherischen „Großen Katechismus“, auf die „Vorrede über den Propheten Hosea“ in Luthers Bibelausgabe von 1545 und auf die Erklärungen Luthers in seinen Vorlesungen von 1515/16 über die Römerbriefe. Diese Verbindung entspricht Luthers Forderung nach der wechselseitigen Ergänzung von Text und Bild und fungiert damit gleichzeitig als theologischer Kommentar. Damit verhindern die Texte Mehrdeutigkeit und subjektive Auslegung.
Weiter geht aus den Gesichtszügen des links abgebildeten Propheten Oseas, der zwar auch in vorreformatorischer Zeit gerne bartlos dargestellt wurde, überzeugend hervor, daß sie mit denjenigen Philipp Melanchthons übereinstimmen. Das ist kein Zufall. Derselbe Künstler bildete nämlich auch in dem zwei Jahre später – also 1555 – entstandenen Epitaph für Gerhard Pawel d. Ä. und seine Frau Anna von Wintheim in der Braunschweiger Martinikirche in den Bogenzwickeln die Gesichter von Reformatoren ab: neben Luther eben Melanchthon.9) Eine solche Darstellung konnte nur auf Wunsch oder mit Einverständnis des Auftraggebers entstehen. Die religiöse Haltung des Matthias von Veltheim selbst ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Er hatte 1545 als Senior seines Geschlechtes einen Burgfrieden zwischen Angehörigen seiner Familie vermittelt, der unter anderem die Klausel enthielt, daß man „nach vorgenommener Reformation Luthers die … an verschiedenen Klöster versetzten Güter wieder einlösen wolle“.10) Andererseits bestätigte das Kloster Neuendorf 1551, daß der Verstorbene, dessen Schwester im Konvent lebte, 40 Gulden für seine Seelenmessen gegeben habe. So mag seine religiöse Haltung eine durchaus ambivalente gewesen sein. Denn wenn es um das Seelenheil ging, war gewiß Vorsicht geboten. In der Generation Luthers, der auch der 1487 geborene Matthias angehörte, war die neue Lehre, die zur Zeit seines Todes noch in stetem Wandel begriffen war, sicher nicht so verwurzelt wie in der folgenden.
Auftraggeber für das Veltheim-Epitaph war laut Stifterinschrift Veltheims Schwiegersohn Joachim II. von der Schulenburg (1522–1594).11) Er war Brandenburgischer Rat, besaß Güter hauptsächlich in der Altmark, der Nieder-Lausitz und Pommern. Neben der Teilnahme an mehreren Kriegszügen – er diente in den Heeren brandenburgischer Kurfürsten und des Braunschweig-Lüneburgischen Herzogs Franz und nahm an einem Türkenfeldzug (1566) teil – betrieb er auf seinen Gütern extensiv Landwirtschaft.12) Der Verstorbene war der Vater seiner ersten Gemahlin Sophie († 15. Mai 1558). Er, der 1522 geboren war, galt nicht nur für den reichsten Edelmann Deutschlands, ein Ruf, der ihm den Beinamen „der Reiche“ eintrug, sondern auch seine Religiosität wurde von den Zeitgenossen gerühmt. So hatte er Anteil an einer Kirchenvisitation, erließ als strenger Lutheraner eine Kirchenordnung für zwei seiner Herrschaften und war besonders gegen die Calvinisten eingestellt. Aus seinem Geiste heraus ist das Denkmal zu verstehen. Sein Einfluß, wie auch die Duldsamkeit des Kapitels mögen dafür gesorgt haben, daß im Halberstädter Dom im Jahre 1553 ein Denkmal für einen Laien aufgestellt werden konnte, dessen Text-Bild-Programm von der dort vorherrschenden Konfession abwich. Dazu mögen nicht zuletzt auch Joachims gute Beziehungen zu dem gleichnamigen Kurfürsten von Brandenburg, Joachim II., beigetragen haben. Denn dessen zwar katholischer, doch lutherisch gesinnter Sohn Friedrich war noch im Jahr 1552 Erzbischof von Magdeburg und Administrator des Stifts Halberstadt.13)