Inschriftenkatalog: Dom zu Halberstadt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 75: Halberstadt Dom (2009)

Nr. 103 Dom, Textilsaal 1459–1466

Beschreibung

Mitra des Weihbischofs Johannes Sartoris (1459–1466), Domschatz lnv. Nr. 137;1) roter Seidendamast mit Leinenfutter, Granatapfelmuster, in den Hörnern grüner Seidenstoff, darunter blaues Leinen, die Ränder mit brakteatenartig geprägten, vergoldeten Silberblechen besetzt, je drei kleine Schellen an den Schrägen der Mütze, die mittlere der vorderen Schräge fehlt, auf den Spitzen der Hörner je ein Metallknauf, Mittelstreifen mit Brakteaten und gefaßten Halbedelsteinen besetzt, Perlen, an der Vorderseite noch drei, auf der Rückseite vier runde brakteatenartige Plaketten erhalten. Die Schauseiten der Fanones mit rechteckigen und runden Silberblechen bedeckt, an ihren Enden je zwei grüne Seidenquasten erhalten, die mit Metallkügelchen versehen sind. Der Seidenstoff verschmutzt, Perlenbesatz und Silberbleche teilweise verloren, 1972 gereinigt und die Goldfäden gesichert. Beide Seiten der Mütze mit figürlichen Motiven in Seidenstickerei bestickt: aus den Spitzen der Hörner greifen aus einer Wolke die Hände Gottes, die perlenbesetzte Blütenzweige halten, die über je einer Heiligenfigur enden; auf der Vorderseite links in hellblauem Gewand Maria mit dem Kind, rechts in grüner Dalmatika Stephanus mit Palmzweig in der Rechten und Steinen in der Linken. Die Rückseite zeigt links in hellblauer Kutte Bernardinus von Siena, der eine runde von Strahlen umgebene Scheibe mit gesticktem Christusmonogramm (A) mit der Linken hochhält und in der Rechten ein aufgeschlagenes Buch mit dem gestickten Titulus (B) trägt, rechts den hl. Franziskus von Assisi in grünem Habit, der die Stigmata beider Hände und seiner Seitenwunde weist.

Maße: H. 36,5 cm, B. 30,5 cm, Bu. 0,2–0,4 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel? (A), Minuskelschreibschrift (B).

Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle (Joachim Fritz) [1/3]

  1. A

    ih(esu)s

  2. B

    Patera) F[r]at(rum)b) / M[i]nor(um)c)2)

Übersetzung:

B: Ein Vater der Minderbrüder.

Kommentar

Die Schrift ist winzig. Die Buchstaben der Inschrift A weisen keine Brechungen auf. Der Schaft des h ist nach links durchgebogen, der Bogen setzt unmittelbar unter dem oberen Schaftende an und wird nach links unter die Grundlinie gezogen. Das s ist schräggestellt. Inschrift B ist eine leicht gerundete Kursive. Ein nach rechts weisender Sporn kommt nur am Schaftende des letzten p vor. Das Schaftende des p wird leicht nach links umgebogen. In seiner runden Form kommt das a vor. Die Schaftspitze des t ist nach rechts umgebogen. Das F zeigt einen einfachen geraden Balken. Der Bügel des Kürzungsstrichs weist nach oben.

Das Bildprogramm der Mitra ist außergewöhnlich und aussagekräftig. Neben zweien der Patrone des Domes, Maria mit dem Kinde und dem hl. Stephanus, sind auf der Rückseite zwei Heilige der Franziskaner, nämlich der Gründer des Ordens, der hl. Franziskus (1181–1226), und dessen berühmtester Prediger, der hl. Bernardinus von Siena (1380–1444), abgebildet.3) Die Sonnenscheibe mit dem Christusmonogramm gilt zusammen mit einem Buch als sein Attribut. Auf Bernardinus bezieht sich entweder der Titulus, der sich über beide Seiten des Buches erstreckt, das er in seiner Rechten hält, oder aber der Text des geöffneten Buches, das er auf anderen Abbildungen gewöhnlich in der Linken hält, verweist auf eine Antiphon, die sich auf das Predigen bezieht: „Pater manifestavi nomen tuum hominibus“.2) Der Heilige betete sie, während er starb. Nach ihrem Buchstabenbestand läßt sie sich aber schlechter aus den Schriftresten der Stickerei herauslesen als der Titulus. Da Bernardinus von Siena im Jahr 1450 durch Papst Nikolaus V. kanonisiert worden ist, kann die Mitra erst in der Zeit danach entstanden sein. Damals wurde eine ganze Reihe von literarischen Texten und Abbildungen zur Person des Heiligen geschaffen.4) Weil ihm die größte Verehrung in räumlicher Nähe seines Wirkens entgegengebracht wurde, muß die Existenz einer solchen Mitra in Halberstadt eine besondere Bewandtnis haben. Größte Wahrscheinlichkeit kommt der Überlegung zu, daß der Träger der Mitra selbst Franziskaner war. Unter den Halberstädter Dignitären trifft dies ehestens auf einen Weihbischof zu. Unter denjenigen der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, dorthin gehört auch die Mitra nach ihrer Form und künstlerischen Ausstattung, ist nur ein einziger als Mitglied des Minoritenordens bekannt. Johannes Sartoris, der 1443 in Erfurt zum Magister promoviert worden war, wurde 1459 zum Titularbischof von Bersabee in Palästina ernannt und übernahm seit diesem Jahr bis zu seinem Tode 1466 auf Geheiß des Halberstädter Bischofs Gebhard von Hoym, der ausschließlich in Gröningen residierte, sämtliche Pontifikalhandlungen.5) Mit der hohen Wahrscheinlichkeit dieser Voraussetzungen schränkt sich dann auch die Entstehungszeit der Mitra vermutlich auf den Anfang dieses Zeitraums ein.

Textkritischer Apparat

  1. Pater] Einige Fäden ausgefallen.
  2. Fratrum] Kürzungszeichen fehlt. Etliche Fäden ausgefallen.
  3. Minorum] Etliche Fäden ausgefallen.

Anmerkungen

  1. LHASA Magdeburg, Rep. A 14 Nr. 1852 von 1717 erwähnt „Im 3. Fach … 3, Bischofs Mützen von allerhand Sorten / mit Perlen und Steinen meistens / besetzt“. Lucanus 1866, S. 52 unter Nr. 11 schätzt ihre Entstehungszeit auf 1300; Nebe 1889/1890, S. 86; Zschiesche 1895, S. 152; Hermes 1896, S. 121; BKD, S. 286; Hinz 1964, S. 193. Es ist unsicher, ob sich Hinz’ Bemerkungen über den Niedergang der Mitra hinsichtlich der künstlerischen Qualität auf diese Mitra bezieht, was der Hinweis auf die „regelrechten Schellenglöckchen“ und „modisches Narrenschmuckwerk“ aber unterstützt. Sein unberechtigt hartes Urteil hat allerdings nichts mit dem von ihm angeführten päpstlichen Privileg zu tun, welches das Tragen der Mitra neben dem Bischof auch den Priestern, Diakonen und Subdiakonen des Halberstädter Doms erlaubte. Die entsprechende Privilegierung stammt nämlich schon aus dem Jahr 1063 und ist eine der frühesten Erwähnungen der Mitra überhaupt; vgl. UBHH Bd. 1, Nr. 83 S. 59–62 und siehe auch Nr. 18.
  2. Statt des kaum noch entzifferbaren Titulus enthält die Inschrift vielleicht auch den Anfang der Antiphon zum Magnificat der ersten Vesper an Christi Himmelfahrt bzw. zum 5. Sonntag nach Ostern nach Io 17,6; wenn, dann aber in folgender Anordnung der Buchstaben auf den aufgeschlagenen Seiten des Buches in Händen des Heiligen: Pater / M(a)n(i)//fest(avi) / [N]o(men) Übers.: Vater ich habe [deinen] Namen [den Menschen offenbart]. Vgl. Carmina scripturarum, S. 481; CAO Vol. III, Nr. 4237; Kaftal 1952, Nr. 53 S. 196; Kaftal 1965, Nr. 55 S. 195.
  3. Vgl. auch zum Folgenden LCI Bd. 6, Sp. 259–315 (Gerlach van s’Hertogenbosch); LCI Bd. 6, Sp. 388–392 (H[enk] W. van Os).
  4. Schon seit dem Todesjahr 1444; Kaftal 1952, Nr. 53 Sp. 195–200 und Kaftal 1965, Nr. 55 Sp. 195–217.
  5. Eubel 1901, S. 117; Gatz 1996, S. 617 (Josef Pilvousek). Die Anbringung des Textes auf einer Mitra eines franziskanischen Weihbischofs entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Hatte doch Bernardinus von Siena dreimal die Bischofswürde für italienische Bistümer (Siena 1427, Ferrara 1431, Urbino 1435), die ihm angetragen worden war, abgelehnt.

Zitierhinweis:
DI 75, Halberstadt Dom, Nr. 103 (Hans Fuhrmann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di075l003k0010305.