Inschriftenkatalog: Enzkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 22: Inschriften Enzkreis (1983)

Nr. 122 Maulbronn, Kloster 1493

Beschreibung

Bauinschrift am Wendeltreppenturm im Parlatorium. Steinquader im Verbund des Mauerwerks, neun Zeilen Schrift über die ganze Fläche. Roter Sandstein. Auf einem zweiten Quader unmittelbar darunter Renovierungsinschrift aus dem Jahre 1862.

Maße: H. 65, B. 80, Bu. 4 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

© Nadja Lang, Heidelberg [1/4]

  1. DIVAE VIRG(INI) MARIAE. AC PO=
    STERITATI BENE MERENTI . IO(HANNES)
    BVRRVS DE BRETHEN ABBAS.
    PER. F(RATREM) CONRAD(VM) CONVERS(VM) DE
    SCHMYE. HOC OPVS. ERIG=
    ENS A FVNDAMENTIS. CON=
    SVMAVIT: AN(NO) DO(MINI)
    . MCCCCLXXXXIII .
    . L(AVS). O(PTIMO). D(EO).

Übersetzung:

Der göttlichen Jungfrau Maria (zur Ehre) und den würdigen Nachkommen (zum Nutzen) ließ Abt Johannes Burrus aus Bretten durch den Laienbruder Conrad von Schmie dies Werk von Grund auf errichten. Er vollendete es im Jahre des Herrn 1493. Lob sei dem höchsten Gott.

Kommentar

Die Restaurierungsinschrift auf dem Quader unmittelbar unter dem Schriftstein1 bezieht sich dem baugeschichtlichen Befund nach auf eine Restaurierung der gesamten Mauer; das Steinmaterial wurde teilweise ausgewechselt. Dabei wurde der Inschriftstein offenbar herausgenommen; seine Kanten scheinen nicht abgearbeitet zu sein, jedoch ist die Stärke des Quaders deutlich geringer als die des umgebenden Mauerwerks, seine Steinart fleckiger. An der Herkunft des Steins aus den mittelalterlichen Steinbrüchen besteht kein Zweifel2.

Die hervorragend gestaltete Kapitalis nach besten römischen Vorbildern ist für diese Zeit im deutschen Sprachbereich noch ein Novum, eine Capitalis quadrata von solcher Ausprägung erscheint allgemein erst Jahrzehnte später. Das M ist leicht konisch mit tiefem Mittelteil, O kreisrund, die Buchstaben haben sorgfältig geschlagene Sporen (Serifen) an den Schäften. Als Abkürzungszeichen und Worttrenner sind die kleinen Dreieckspunkte klassischer Inschriften verwendet. Die sprachliche Formulierung zeigt bis in die Wortwahl hinein (benemerenti, consummavit) klassische Diktion3. Den Zeitansatz der Inschrift anzuzweifeln, erscheint unbegründet. Er ließe sich allenfalls bis zum Tode des Abtes Johannes Burrus 1521 ausdehnen, da Burrus zwei Amtsperioden als Abt regierte (1491/1503 und 1518/1521). In seiner zweiten Amtsperiode ließ er den Bibliothekssaal erbauen4. In seiner ersten Amtsperiode war von 1495 bis 1503 Conrad Leontorius, klassisch gebildeter Humanist und Freund von Wimpheling, Reuchlin, Trithemius u. a., Mönch in Maulbronn5. Von 1489 bis 1495 war er Generalsekretär des Ordens und in dieser Eigenschaft häufig im Auftrag des Generalabts auf Reisen gewesen (Frankreich, Italien); seine tätige Mitwirkung an großen Druckvorhaben des Hauses Amerbach in Basel und sein vertrauter Umgang mit den bedeutendsten Humanisten im Oberrheingebiet sind bekannt6. Mit dem Abt Johannes Burrus stand er auf gutem Fuße, zumal dessen wissenschaftliche Interessen den seinen nicht fern standen. Es ist daher naheliegend, daß Conrad Leontorius der Bauinschrift des Abtes Burrus ihre sprachliche Form gab und ihre Ausführung nach dem Muster einer klassischen Monumentalschrift überwachte. Dabei konnte er sowohl auf römische Originale als auch auf Renaissance-Schriften zurückgreifen, die in Italien bereits um die Mitte des 15. Jahrhunderts eine hohe Vollendung erreichten7. Die Rezeption in Deutschland setzte erst im 16. Jahrhundert ein; Vorläufer dieser Entwicklung lassen sich jedoch immer da nachweisen, wo enge Beziehungen zu humanistischen Kreisen oder direkte Anregungen aus Italien einer Aufnahme neuen Gedankengutes förderlich waren8.

Anmerkungen

  1. Wortlaut: Restaur(avit) an(no) d(omi)ni / 1862. Die Schrift ist eine historisierende gotische Minuskel.
  2. Freundliche Mitteilung von Herr Architekt Rolf Burrer bei einer Besichtigung am Original im Oktober 1978.
  3. Ähnlich „klassische“ Wortwahl ist auch bei der Grabschrift des Johannes Burrus zu beobachten: vgl. nr. 176 (1521).
  4. Vgl. dazu W. Irtenkauf, in: Katalog Maulbronn (1978) 92.
  5. G. Wolff, Conradus Leontorius. Biobibliographie, in: Beiträge zur Geschichte der Renaissance u. Reformation (Festgabe Joseph Schlecht), München u. Freising 1917, S. 363–410.
  6. Vgl. auch die nrr. 105115 auf S. 32ff. (gelb) in: Katalog Maulbronn (1978), wo Werke des Leontorius und von ihm betreute Ausgaben verzeichnet sind.
  7. Vgl. dazu Kloos, Epigraphik 153ff. – Es fällt auf, daß in Maulbronn aus dem Jahre 1497 ein ehemaliger Kreuzsockel erhalten ist, dessen linke Schmalseite eine griechische Inschrift aufweist. Ihre Buchstaben sind denen der vorliegenden Inschrift in der Schlagtechnik ebenso wie in der Form (Serifen, Bögen) vergleichbar; vgl. nr. 127.
  8. Das gilt etwa für Basel 1474 (Grabstein des Peter zum Luft), für Mainz 1484 (Madonna der Palästinafahrer, vgl. DI. II nr. 206), für Augsburg und Straßburg, aber auch für den Grabstein eines 1415 in Konstanz verstorbenen griechischen Humanisten Emanuel Chrysoloras und den 1433 auf dem Baseler Konzil verstorbenen Mailänder Erzbischof Bartholomeo La Capra, der im Baseler Münster bestattet wurde.

Nachweise

  1. Jenisch 118v.
  2. Jenisch II 234.
  3. WürttLB. Cod. hist. 2° 311, 128.
  4. WürttLB. Cod. hist. 4°, 11v.
  5. Wickenburg II 295.
  6. Klunzinger, ArtBeschr. 7a.
  7. OABMaulbronn 156.
  8. Paulus, Maulbronn 2(1884) 74.

Zitierhinweis:
DI 22, Inschriften Enzkreis, Nr. 122 (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di022h008k0012204.