Inschriftenkatalog: Stadt Einbeck
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 42: Einbeck (1996)
Nr. 4 Hannover, Kestner-Museum Ende 12. Jh.
Beschreibung
Kelch mit Patene. Silber, graviert und nielliert, teilweise vergoldet. Der Kelch stammt aus der Kirche St. Johannis in Iber; seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts befindet er sich als Dauerleihgabe im Kestner-Museum. Die Wandung der halbkugeligen, oben leicht ausgestellten Kuppa ist abgesehen von einem ausgesparten schmalen Lippenrand mit gravierten Darstellungen bedeckt. In vier runden, von Ornamentbändern umgebenen und aneinandergrenzenden Medaillons ist je eine Szene graviert; die Darstellungen ragen zum Teil über den Rand der Medaillons hinaus. Jedem Medaillon ist ein Schriftband zugeordnet, das vor der betreffenden Szene in den oberen durch die Medaillons gebildeten Zwickel eingefügt ist und so das Ornamentband der Medaillons im oberen Teil zu einem um den Kelch laufenden geschwungenen Band verbindet. Oberhalb jedes Spruchbands jeweils die Büste eines Propheten. Die Zuordnung der Spruchbänder zu den Darstellungen: Inschrift A – Verkündigung, Inschrift B – Christi Geburt, Inschrift C – Kreuzabnahme, Inschrift D – Auferstehung. Das Ornamentband um die Darstellung der Kreuzabnahme wird oben durch den Titulus des Kreuzes (E) unterbrochen.
Der zum Schaft hin steil ansteigende Sechspaßfuß, der abgeflachte, gerippte Nodus und der sechsseitige Schaft stammen aus dem Jahr 1670; eine Inschrift, die auf diese Renovierung verweist, ist in ein Segment des Sechspasses eingraviert.1) Unter dem Fuß auf dem äußeren Rand eine Gewichtsangabe2), innen ein Monogramm (?), das aus einem D besteht, dessen Haste oben zu einer über dem Buchstaben stehenden Schleife ausgezogen ist.
Maße: H.: 17,8 cm; Dm.: 11,3 cm (Kuppa), 15,6 cm (Fuß); Bu.: 0,2 cm (A–D), 0,15 cm (E).
Schriftart(en): Kapitalis mit unzialen E, F und M (A, C–E), mit Minuskelbuchstaben (B).
- A
ECCE VIRGO CO(N)CIPIETa) ETb) PAREETc)3)
- B
PVER · NATV(S) · E(ST) · N(OBIS)d) · Fili(vs) · dAT(VS) · E(ST)4)
- C
ERO MORS TVA O MORSe)5)
- D
(CHRISTVS)f) RESVRG(E)NS A MORTVISe)6)
- E
IESVS / (CHRISTVS)f) REX
Übersetzung:
Siehe, eine Jungfrau wird empfangen und gebären. (A)
Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. (B)
Ich werde dein Tod sein, o Tod. (C)
Christus steht von den Toten auf. (D)
Jesus Christus, König. (E)
Textkritischer Apparat
- CO(N)CIPIET] Das Nasalkürzel fehlt.
- ET-Ligatur in der Form: &.
- PAREET] PARIET Mithoff, Sommer, Brandt. Inschrift in Scriptura continua. Es handelt sich zweifelsfrei um eine ET-Ligatur; der Balken des T links an der Haste ansetzend, die Balken des E rechts.
- N(OBIS)] Kein Kürzungszeichen.
- Inschrift in Scriptura continua.
- XPC.
Anmerkungen
- DIESER / KELCH GEHORT / DER CHRISTLIGEN / GEMEINE ZU IBER / UND IST DER FUS UND / KNOPF ZUGEMACHT · / ANNO 1.6.7.0. / Ioachim · Clages · Kirchvater ·. Gegen die bislang allgemein verbreitete Ansicht, der Rippennodus sei bereits Bestandteil des romanischen Kelches gewesen (Zeit der Staufer 1, Nr. 579, S. 449; Stadt im Wandel 2, Nr. 1054, S. 1215; Heinrich der Löwe 1, G 35, S. 519), sprechen zwei Tatbestände. Zum einen gibt es keinerlei Anlaß, den Hinweis auf die Anfertigung des „Knopfes“ in der Inschrift nicht wörtlich zu nehmen. „Knopf“ ist die Entsprechung des lateinischen Wortes nodus sowie des hochdeutschen Wortes „Knauf“ (vgl. Art. „Knopf“, DWb 11, Sp. 1470) und kann nicht als Bezeichnung für ein Schaftstück gebraucht worden sein. Zum anderen weisen die romanischen Kelche durchgehend runde Nodi auf, deren Gestaltung in keiner Weise mit dem flachen gerippten Nodus des Iber-Kelchs zu vergleichen ist, der in dieser Form erst im Verlauf des 13. Jahrhunderts auftritt. Es ist zu vermuten, daß man im Jahr 1670 bei der Neuanfertigung des Nodus auf eine alte Form zurückgriff, von der man annahm, daß sie der Herstellungszeit der Kuppa entsprechen würde.
- · D(IESER) · K(ELCH) · W(IEGT) · 32 · loth ·
- Is. 7,14; auch Communio-Vers in der Vigil von Weihnachten.
- Is. 9,6; der Wortlaut folgt dem Introitus der dritten Messe an Weihnachten.
- Os. 13,14; wörtlich auch in der ersten Laudes-Antiphon des Karsamstags.
- Rm. 6,9; auch im Communio-Vers des Mittwochs in der Osterwoche.
Nachweise
- Mithoff, Kunstdenkmale, S. 111 (A–D).
- Sommer, Niellokelch, S. 109–119, Abb. ebd.
- Sommer, Romanischer Niellokelch, S. 17–20, Abb. ebd.
- Zeit der Staufer 1, Nr. 579, S. 449.
- Stadt im Wandel 2, Nr. 1054, S. 1215.
- Heinrich der Löwe 1, G 35, S. 519f.
Zitierhinweis:
DI 42, Einbeck, Nr. 4 (Horst Hülse), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di042g007k0000402.
Kommentar
Für die Inschriften A–E sind überwiegend Kapitalisbuchstaben verwendet worden, E kommt mit Ausnahme der Ligatur in PAREET nur in der unzialen Form mit breitem Mittelbalken vor, M in kapitaler und in vorne geschlossener unzialer Form, das einzige F ist rund. Die A sind trapezförmig ausgeführt, G hat die Form eines eingerollten Bogens. Alle Buchstaben sind mit deutlichen Sporen versehen. Auffällig sind die Minuskelbuchstaben innerhalb der Inschrift B: Die i reichen nicht über das Mittelband hinaus, l besteht nur aus einer Haste, d ist nicht in der unzialen Form ausgeführt mit nach links umgebogenen freien Bogenende, sondern als typisches Minuskel-d mit gerader Haste und Bogen. Die in die Kapitalis hereingenommenen Minuskeln und Unzialformen zeigen das Bemühen um Variation in der Buchstabengestaltung, das insgesamt – auch wenn die Benutzung von Kleinbuchstaben selten vorkommt – typisch für die Entwicklung der Schriften des 12. und frühen 13. Jahrhunderts ist. Die noch verhältnismäßig geringe Zahl von runden Buchstaben einerseits und andererseits die keilförmige Verbreiterung von Hasten- und Bogenenden sowie die deutlichen Sporen, die bei einzelnen E (PVER) bereits eine Tendenz zum Abschluß erkennen lassen, legen eine schriftgeschichtliche Einordnung auf das Ende des 12. Jahrhunderts nahe. Dieser zeitliche Ansatz wird bestätigt durch den Vergleich mit zwei Hildesheimer Kelchen, dem Bernhard-Kelch aus St. Godehard und dem Hezilo-Kelch aus St. Mauritius, die beide aus stilkritischen Gründen in das erste Viertel des 13. Jahrhunderts datiert werden (vgl. DI 58 [Stadt Hildesheim], Nr. 64). Ihre Inschriften weisen nicht nur erheblich mehr runde Formen auf, sondern zeigen schon einzelne Merkmale der frühen gotischen Majuskel wie z. B. einzelne Bogenschwellungen, vollständig abgeschlossene E oder eine aufgesetzte Schwellung am Balken des unzialen T.