Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 64: Querfurt (2006)

Nr. 45 Querfurt, Burgmuseum 1485–90 (?)

Beschreibung

Wandelaltarretabel, Lindenholz. Nach Abriß des Vorgängerbaus der heutigen St.-Pancratius-Kirche zu Rothenschirmbach wurde der Altaraufsatz 1894 in das Hallesche Provinzialmuseum gebracht und 1918 in die Moritzburg umgelagert.1) Heute befindet er sich als Dauerleihgabe im Querfurter Burgmuseum. Der Schrein ist innen in drei vertikale Zonen gegliedert und das Zentrum zu einer polygonalen Nische erweitert. Darin steht unter einem aus drei Wimpergen zusammengesetzten Baldachin etwas erhöht die größere Figur der Muttergottes auf der Mondsichel.2) Sie wird von vier Märtyrerinnen flankiert, die paarweise übereinandergestellt sind und die ebenfalls von wimpergartigen Blendbögen überspannt werden. Links erkennt man die hl. Katharina und die hl. Barbara, rechts die hl. Margaretha und die hl. Dorothea. In den horizontal zweigeteilten Flügelinnenseiten befinden sich acht weitere Heilige unter je zwei vorgesetzten Rundbögen, oben v. l. n. r. die Heiligen Andreas, Petrus, Jacobus maior, Bernhard; unten Johannes Evangelista, Georg, Cyriacus, Laurentius.3) Der in voller Rüstung dargestellte hl. Georg hat die Linke auf seinen heraldisch bemalten Schild gelegt und war ursprünglich auch mit einer Lanze ausgestattet.4) Bernhard von Clairvaux ist wie die übrigen Heiligenfiguren in einen vergoldeten Mantel gehüllt. Er trägt auf dem Haupt die Mitra und preßt mit seinem rechten Arm den heute beschädigten Krummstab an sich. In den Händen hält er ein geöffnetes Buch, auf dessen rechter Innenseite der Betrachter zwischen grob ausgeführten Zeilenlinien den mit schwarzer Farbe aufgemalten Titel (A) liest, dessen Züge jedoch teilweise stark verblichen sind.

Die Außenflügel des Altares wurden bei der letzten Aufstellung vertauscht und sind gegenwärtig starr an den geöffneten Innenflügeln befestigt. Ihre Innenseiten und die Außenseiten der Innenflügel unterteilt ein gemalter roter Steg horizontal in zwei Bildzonen. Bei geschlossenem Schrein ergab sich somit folgende Szenensequenz, oben v. l. n. r. Christi Gebet am Ölberg, Auferstehung, Pfingsten, Himmelfahrt; unten: Geburt Christi, Epiphanie, Darbringung Christi im Tempel und Tod Mariens.3) Im ersten Bild der unteren Reihe, das sich gegenwärtig rechts außen befindet, liegt der nackte, von zwei Engeln angebetete Christusknabe zwischen Maria und Joseph. Letzterer hat sitzend den Kopf auf die rechte Hand gestützt und schläft, während die Linke einen knorrigen Wanderstab umschlossen hält. Seine Schultern umhüllt ein weiter Mantel, dessen unterer Abschnitt etwas gebauscht am Boden liegt. In einer der zahlreichen Falten entdeckt man in Höhe des Kindes die sich nur schwach vom Hintergrund abhebende Signatur (B).5)

Die Außenseiten der Außenflügel zeigen ganzflächig den hl. Stephanus und einen nimbierten Papst in tabernakelförmigen Räumen.6)

Maße: H.: 220 cm; B.: 192,5 cm; T.: 20 cm7); Bu.: ca. 1 cm (A), 1,2 cm (B).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (A), Kapitalis (B).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Johann-Jakob Hinz) [1/3]

  1. A

    ·a) scri(bi)tb) / sanc[t]vs · /c) waren · /c) ardvsd) ·

  2. B

    LSe)

Übersetzung:

Es schreibt (?) der heilige Bernhard (A).

Wappen:
Hl. Georg.8)

Kommentar

Die Buchstaben in (A) setzen sich aus Haar- und Schattenstrichen zusammen. Das s ist rechtsschräg durchstrichen, der rechte Schaft des w als Schwellzug gestaltet und der Balken des e zu einem steil rechtsschräg verlaufenden Haarstrich reduziert. Als Worttrenner dienen in Zeilenmitte kurze linksschräge Striche, die von rechtwinklig angesetzten Sporen begrenzt werden. Die Buchstaben in Inschrift (B) bestehen aus schmalen Linien, wobei der Schaft des L stark nach rechts geneigt und das S spitz ausgeführt ist.

Die Figur Bernhards von Clairvaux ist das einzige sicher identifizierbare Bildnis des Heiligen in einem Altaraufsatz östlich des Harzvorlandes.9) Hornemann zieht auch deshalb in Erwägung, daß das für die kleine Gemeinde von Rothenschirmbach auffallend reich ausgestattete Altarretabel aus dem nahegelegenen Zisterzienserkloster Sittichenbach stammen könnte.10) Ohne dieser Überlegung ihren hypothetischen Charakter zu nehmen, spricht mit der hier durch scri(bi)t ergänzten Lesart der Inschrift (A) nun ein weiteres Indiz dafür. Das einleitende Prädikat lenkt die Aufmerksamkeit des Rezipienten nämlich mehr auf das Buch des hl. Bernhard, d. h. seine „Consuetudines“, als auf die Figur selbst. Dieser dem Betrachter ostentativ entgegengehaltene Verweis auf die Ordensregel der Zisterzienser kann sich kaum an die Rothenschirmbacher Gemeinde gerichtet haben.

Die hier erstmals veröffentlichte Buchstabenverbindung (B) ist so unscheinbar ausgeführt, daß sie wohl nur als Meistersignatur zu verstehen ist. Eine Zuordnung läßt sich jedoch gegenwärtig nicht vornehmen.11)

Der auf stilistischen Untersuchungen beruhenden Datierung Flechsigs in die Jahre zwischen 1485 und 1490 steht der epigraphische Befund nicht entgegen.12)

Textkritischer Apparat

  1. Kurzer senkrechter Strich in Zeilenmitte.
  2. scri(bi)t] Fehlt in Grössler, Flechsig, Hornemann. Etwas kleiner als die übrigen Worte. Die unteren Abschnitte des gebrochenen c-Bogens und des Bogen- r sowie eventuelle Kürzungszeichen nicht (mehr?) erkennbar. Auflösung fraglich.
  3. Leerzeile, gefüllt mit mehreren stark verblichenen und nur unsicher identifizierbaren Zierelementen. Zum Teil lassen sich liegende paragraphzeichenförmige Rauten erkennen.
  4. sanc[t]vs · / waren · / ardvs ·] sanctus / warnh/ardus Grössler; sanctvs/warenh/ardvs Flechsig; sactvs/warenh/ardvs Hornemann.
  5. LS] Befund unsicher.

Anmerkungen

  1. Vgl. Hornemann 1998, S. 137. Eine ausführliche Beschreibung des Retabels bietet Flechsig 1912, S. 22–29. S. a. Voß 1905, S. 71.
  2. Grössler 1906, S. 90 sah die Maria als Schreinaufsatz, im Mittelfeld hingegen als Symbol der Hl. Dreifaltigkeit drei von einem gleichschenkligen Dreieck umschlossene Punkte. Diese veränderte Anordnung vor der Restaurierung dürfte durch den zur „beginnenden Knorpelzeit“ vorgenommenen Umbau zum Kanzelaltar zu erklären sein, vgl. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 263.
  3. Vgl. Hornemann 1998, S. 138; Flechsig 1912, S. 25.
  4. Die von Hornemann 1998, S. 138 vorgenommene Identifizierung des Ritters mit dem hl. Pancratius läßt sich unter Berücksichtigung des auf den hl. Georg verweisenden Wappenschildes nicht aufrechterhalten, vgl. Anm. 8, obgleich hier der Drachen fehlt; vgl. zur Ikonographie des hl. Georg (auch ohne Drachen) LCI 6, 1994, Sp. 365–390, zum hl. Pancratius ebd. 8, 1994, Sp. 110f. Auch Flechsigs Vermutung, es handele sich um den hl. Mauritius, kann somit nicht überzeugen, vgl. Flechsig 1912, S. 23f.
  5. Von den zahlreichen den Faltenwurf betonenden Linien des Mantels unterscheiden sich die Schäfte der Signaturbuchstaben dadurch, daß sie an ihrem Platz keinerlei Stoffkonturen hervorheben und ihre Hasten dem Faltenwurf sogar zuwiderlaufen.
  6. Vgl. Hornemann 1998, S. 138; Flechsig 1912, S. 25. Als Halberstädter Bistumspatron kommt für die nicht identifizierte Figur des Papstes vor allem der hl. Sixtus in Frage.
  7. Maß ohne die tiefere Nische.
  8. In Weiß ein rotes anstoßendes Kreuz. Vgl. zum Wappen des hl. Georg Neubecker 1991, S. 80; Oswald 1984, S. 154.
  9. Vgl. Hornemann 1998, S. 138 mit Anm. 12.
  10. Vgl. Hornemann 1998, S. 146.
  11. Eine Identifizierung mit dem Augsburger Monogrammisten LS (1. H. 16. Jh.) ist aus stilistischen und topographischen Gründen auszuschließen, vgl. ThB 37, 1950, S. 430. Zur bisherigen Zuweisung des Retabels an die Werkstatt des anonymen Meisters der architektonischen Baldachin-Altäre vgl. Voß 1905, S. 71.
  12. Vgl. Flechsig 1912, S. 29.

Nachweise

  1. Grössler 1906, S. 91 (A).
  2. Flechsig 1912, S. 24 (A).
  3. Hornemann 1998, S. 138 (A).

Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 45 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0004509.