Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 64: Querfurt (2006)
Nr. 3 Nemsdorf (Gem. Nemsdorf-Göhrendorf), ev. Kirche (St. Georg) 2. H. 12.–A. 13. Jh.
Beschreibung
Glocke, Bronze. Die schlanke Zuckerhutglocke im Glockenstuhl des Turmes verfügt über eine fast halbkugelförmige Haube, unter der an der Schulter zwei Stege anliegen. Dazwischen erkennt man die linksläufige und spiegelverkehrt hervortretende Beschwörungsformel in vier Ausführungen. Diese werden jeweils durch die apokalyptischen Buchstaben unterbrochen, die über dem oberen Steg jeweils ein Kreuz tragen. Die nur wenig an Breite zunehmende Flanke ist schmucklos und schließt mit einem weiteren Steg am Wolm ab. 1617 brach der Klöppel und wurde ersetzt.1)
Maße: H.: 95 cm; Dm.: 100 cm; Bu.: 4,1 cm.
Schriftart(en): Romanische Majuskel.
AGLAa) A Ѡ AGLAb) A Ѡ AGLA A Ѡ AGLA A Ѡ2)
Textkritischer Apparat
- AGLA] Über dem ersten A ein Kreuz mit gespaltenen Schaft- und Balkenenden.
- AGLA] Das L mit schräggestelltem, stark durchgebogenem Schaft und mit leicht gewölbtem Balken.
Anmerkungen
- Vgl. PfA Nemsdorf, Neuß 1939/48, S. 113.
- Zu AѠ vgl. Apc 1, 8; 21, 6; 22, 13; s. a. Is 44, 6; 48, 12; 41, 4.
- Vgl. die Abreibungen in Otte/Wernicke 1, 1883, S. 404 (Iggenbach); Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 263 (Helfta). Zur Form des gebogenen L vgl. die Alberstädter Glocke, Nr. 9. Zu Zuckerhutglocken allg. vgl. Peter 1998, S. 76–80.
- Zum Begriff vgl. Wilpert 1989, S. 627.
- Vgl. DI 11 (Merseburg) 1968, Nr. 8 (Dom, Clinsa); Schubart 1896, S. 121 (Alsleben, St. Caecilia); Schubart 1896, S. 475f. (Vockerode); Otte 1852, S. 410 (Jüterbog, St. Nikolai); Sartori 1932, S. 85 (Bremen, Liebfrauenkirche); DI 27 (Würzburg) 1988, Nr. 15 (Würzburg, St. Burkhard) u. a.
- Vgl. Encycl. Jud. 1, 1928, Sp. 1042; HdA 1, 1927, Sp. 213 f. (Lit.).
- Vgl. Jüd. Lex. 1, 1927, Sp. 298; Otte 1856, S. 84.
- Vgl. Otte 1856, S. 84; Otte 1884, S. 124; Otte/Wernicke 1, 1883, S. 400 (Lit.); Franz 2, 1909, S. 65.
- Vgl. Encycl. Jud. 1, 1928, Sp. 1042.
- Vgl. TRE 7, 1981, S. 311. Allg. zur Ikonographie des Kreuzes vgl. LCI 2, 1994, Sp. 562 ff. (Lit.); speziell zum Kreuz auf Glocken vgl. Schubart, Friedrich Winfried: Signum crucis. Das Kreuzzeichen und die Kreuzigungsbilder auf mittelalterlichen Glocken, in: ders. 1896, S. 546–556.
- Vgl. LThK 1, 1993, Sp. 1. Allg. zur Herkunft vgl. TRE 7, 1993, S. 309 ff. (Lit.); Dornseiff 1925, S. 122 ff.
- Vgl. LCI 1, 1994, Sp. 1; DACL 1/1, 1907, Sp. 2. Beispiele auf Glocken siehe in Schilling 1988, Abb. 227 (Merseburg, Clinsa, um 1180), 237, 239 etc.
- Vgl. z. B. die Wettersegensformel in Franz 2, 1909, S. 95: „(...) alpha et o sit nobis salus, defensio atque protectio. Amen.“ Siehe auch Poettgen 1999/2000, S. 70–72; LThK 1, 1993, Sp. 1; HdA 1, 1927, Sp. 310; DACL 1/1, 1907, Sp. 24 ff.
- Vgl. Nr. 4, 6, 9; DI 11 (Merseburg) 1968, Nr. 8.
- Vgl. Steffens 1893, S. 179.
- Vgl. Meyer/Suntrup 1987, Sp. 332–402; LCI 4, 1994, Sp. 459f.
Nachweise
- Webel 1708, S. 9.
- LHASA Merseburg, Landraths Acta 1828, fol. 61r.
- Kdm. (Querfurt) 1909, S. 177.
- LfD Halle, Glockenbestandserfassung 1. Wk., Aufnahmebogen zu Nemsdorf vom 14. 3. 1917.
- EGB 1917, Nr. 5.
- PfA Nemsdorf, Neuß 1939/48, S. 111.
- LfD Halle, Glockenaktenslg. (ungeord.), Übersicht zur Glockenerfassung im Lkr. Querfurt o. J., o. S.
- Schilling 1988, S. 136.
Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 3 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0000301.
Kommentar
Die durch Einritzen in den Glockenmantel erstellten Buchstaben treten mit gratigen Rändern hervor. Ihre Form und Neigung variieren stark. Das G ist eingerollt, das A teils trapezförmig, teils spitz, teils unzial, jedoch stets mit einem beiderseits überstehenden Deckbalken versehen. Die freien Schaft- und Balkenenden sind durch rechtwinklig angesetzte Sporen verziert, die Schrägschäfte des Alpha- A hingegen nach außen eingerollt. Der Mittelschaft des Ѡ ist bis zum oberen Steg verlängert. Über diesen beiden apokalyptischen Zeichen steht regelmäßig ein Kreuz.
Die Datierung kann sich nur an der Gestalt der Glocke und der Buchstaben orientieren, deren Bestandteile noch keinerlei Schwellungen oder Abschlußstriche aufweisen. Das L mit schräggestelltem, gebogenem Schaft findet sich in schwächerer Ausprägung auf der Iggensbacher Glocke (Lkr. Deggendorf) von 1144, äußerst ähnliche A-Formen auf der im Jahre 1234 gegossenen Glocke zu Helfta (Lutherstadt Eisleben, Lkr. Mansfelder Land).3)
Das Notarikon4) AGLA begegnet auf zahlreichen mittelalterlichen Glocken.5) Es steht als kabbalistischer Gottesname für die Worte A(tha) G(ibbor) l(e-Olam) A(donaj), hebr. לְעוֹלָם אֲדֺנָי אַתָּה גִּבּוֹר (übers.: du bist stark in Ewigkeit, Herr), die den Anfang der zweiten Benediktion des jüdischen Schemone Esre (Achtzehnbittengebet) bilden.6) Dieser Wendung wurde apotropäische Kraft zugeschrieben,7) weshalb sie als magische Beschwörungsformel eine weite Verbreitung fand. Sie galt noch bis ins 18. Jahrhundert als Hilfsmittel gegen Wetterunbilden und Feuer,8) indem man die Abbreviatur aus Unkenntnis jedoch anders auflöste: A(llmächtiger) G(ott), l(ösch) a(us)!9)
Alpha und Omega sind in Verbindung mit dem Kreuzeszeichen eindeutig christologisch zu verstehen.10) Als erstes und letztes Zeichen des griechischen Alphabetes versinnbildlichen sie schon in der Buchstaben- und Zahlensymbolik der hellenistischen Literatur eine kosmische Universalität,11) in welcher Bedeutung sie in der Offenbarung des Johannes auf Gottvater und Sohn übertragen wurden.2) Die christlich-ikonographischen Belege reichen bis ins 4. Jahrhundert zurück, auf Glocken begegnen sie seit dem Ausgang des 12. Jahrhunderts12) Die Buchstaben übernehmen dabei eine Weiheund Schutzfunktion, die sich auch im liturgischen Sprachgebrauch nachweisen läßt.13)
Bemerkenswert ist die vierfache Wiederholung von Zeichen und Formel, die auf hochmittelalterlichen Glocken häufig wiederkehrt.14) Sie rekurriert auf den Weiheritus, nach dem die Glocke in allen vier Himmelsrichtungen mit einem Kreuz aus Chrisam versehen wird.15) In einem als orbis quadratus geordneten Kosmos wird somit ihr Klang den Segen in alle Weltteile tragen können.16)