Inschriftenkatalog: Stadt Braunschweig. Kloster Riddagshausen und eingemeindete Dörfer

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 7: Stadt Braunschweig III (2023)

Nr. 48 Riddagshausen, Klosterkirche 1614

Beschreibung

Sog. Geschichtstafel. Stein, farbig gefasst. Am sechsten Pfeiler von Westen an der Südseite des Mittelschiffs angebracht. Die ädikulaförmige Tafel besteht aus einem von zwei Säulen flankierten Mittelfeld, das in zwei Inschriftenfelder unterteilt ist (Inschrift B1 und B2). Die arabischen Jahreszahlen stehen am linken Rand. Darüber abgesetzt ein schmaler Fries mit der zwischen zwei geflügelten Engelsköpfen befindlichen Inschrift A. Im Unterhang eine weitere Tafel, die durch reiche Verzierungen mit Voluten- und Rollwerk, Fruchtbündeln und Köpfen versehen ist (Inschrift C). Bekrönt wird die Tafel von einem von zwei Engeln gehaltenen Abtswappen. An den Seiten und oberhalb des Wappens je eine allegorische Figur, von denen nur noch die linke durch ihre Attribute (Kelch und Buch) eindeutig als Fides (Glaube) identifiziert werden kann.1) Alle Inschriften sind vertieft ausgehauen und in goldener Farbe vor grau-blauem Grund ausgemalt.

Maße: H. ca. 600 cm, B. ca. 240 cm. Bu. 5 cm (A), 4–7 cm (B), 4 cm (C).

Schriftart(en): Kapitalis (C) mit Versalien (A, B).

Niedersächsische Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Anna Weissmüller) [1/5]

  1. A

    ILLVSTRIS ET ANTIQVI MONASTERII ‎/ RIDDAGSHVSANI FVNDATIO, ITERATVM ‎/ EXCIDIVM, AC RESTAVRATIO.

  2. B1 IEHOVAE OPT(IMO) MAX(IMO) SACRVMˑ ‎/
        WANDALICAM REFERENS RIDAGVS COGNOMINE GENTEM, ‎/  
      1145.     ATQVE LVDOLFVS HVIC TECTA DEDERE LOCO. ‎/  
        DVX BRVNSVICENSIS LEO, QVEM DIXERE SVPERBVM,2) ‎/  
      1173.     A SOLŸMISa) REDIENS ACCVMVLAVIT OPES.3) ‎/  
    5     HIS BENE COENOBIVM PER MVLTOS FLORVIT ANNOS, ‎/  
          NATIO TVTA FERO DONEC AB HOSTE FVIT. ‎/  
      15524).   QVEM MALE GRASSANTEM POSTQVAM MANSFELDIA MISIT, /  
          MARCHIACVMQVE5) FVROR TRAXIT IN ARMA DVCEM: ‎/  
      1550.   ATQVE MANVS HABVIT VICINA VIRAGO RAPACES: ‎/  
    10       OMNIA COENOBII DISPERIERE BONA. ‎/  
        FLAMMA NEC ABSTINVIT TECTIS. PAX, HOSTE REPVLSO, ‎/  
          VT REDIIT, SACRA HAEC EST RENOVATA DOMVS. ‎/  
        PRAESTITIT HOC MAGNIS IOHANNES SVMTIBVS ABBAS, ‎/  
          CVI RELIQVVM NOMEN LAVREA BACCA DEDIT.  
  3. B2
        NON TVLIT ID SATHANAS HOSTIS PIETATIS ACERBVS, ‎/  
          CVM TEMPLO HANC ITERVM PERDIDIT ILLE DOMVM. ‎/  
        QVIPPE NOVO GRASSANS VICINA VIRAGO FVRORE ‎/  
      1606.     INTVLIT IN SACROS ARMA FACESQVE LARES. ‎/  
    5     SAEVA PRIOR CLADES. FVIT HAEC DIRISSIMA. TOTVM ‎/  
          VVLCANO MISERE DEPOPVLANTE LOCVM. ‎/  
        NEC TANTVM HVNC, SED VICINOS SIMILI IMPETE PAGOS . ‎/  
          CONSVLVIT TRISTI TVNC SIBI QVISQVE FVGA. ‎/  
        VIS CAVSSAM SCELERIS: NVLLA EST, NISI FORTE BENIGNE ‎/  
    10       FACTA ODIIS PENSARE INVIDIAQVE PLACET. ‎/  
        SED COMMISSA TIBI SINT, O DEVS, OMNIA, PER TE ‎/  
          NVNC MELIOR RIDAGI EST, QVAM FVIT ANTE DOMVS. ‎/  
        PRAESVLIS AVSPICIO PETRI, QVI NOBILE AB VVA ‎/  
          OMINE COGNOMEN CONVENIENTE GERIT. ‎/  

    IOANNES ABBAS POSVIT; PETRVS SVCCESSOR ‎/ RENOVAVIT ET AVXIT.b)

  4. C1

    CHRISTE TRIVMPHATOR SATANAE, VINDEXQVE MALORVM ‎/ QVI TVA DEVASTANT TEMPLA, SCHOLISQVE NOCENT: ‎/ HVNC DEFENDE LOCVM TIBI SACRVM, AVERTE FVROREM ‎/ BARBARICVM, ET PACIS DVLCE TVERE DECVS. ‎/ CVM NVLLI NOCEAT, PROSIT MAGIS OMNIBVS AEQVE, ‎/ QVIS VELIT INSONTI NOXIVS ESSE LARI? ‎/

  5. C2

    ANNO REDEMPTORIS CHRISTI ‎/ M. DC. XIV.c) ‎/ QVI EST A FVNDATIONE ‎/ CCCC LIX

Übersetzung:

(A) Die Gründung, wiederholte Zerstörung und Wiederherstellung des berühmten und alten Klosters Riddagshausen.

(B1) Dem höchsten und größten Gott geweiht. (1145) Riddag, der sich mit seinem Beinamen auf die Familie von Wenden zurückführt, und Ludolf haben diesen Ort bebaut. (1173) Der Braunschweiger Herzog, der Löwe, welcher der Stolze genannt wurde, hat bei seiner Rückkehr aus Jerusalem die Besitztümer vermehrt. Durch diese blühte das Kloster über viele Jahre, solange das Volk vor dem wilden Feind sicher war. (1550/1552) Nachdem Mansfeld (= Vollrath von Mansfeld) den heftig wütenden Feind losgeschickt hatte und die Raserei den Markgrafen (= Albrecht II. Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach) zu den Waffen getrieben hatte, als die benachbarte Jungfrau (= Braunschweig) räuberische Truppen beherbergte, gingen alle Güter des Klosters zugrunde. Das Feuer verschonte auch die Gebäude nicht. Als der Feind zurückgeschlagen und der Friede zurückgekehrt war, ist dieses heilige Haus erneuert worden. Mit hohen Ausgaben leistete dies der Abt Johannes, dem die Lorbeere seinen Nachnamen gab.

(B2) Dies ertrug der Teufel, der grausame Feind der Frömmigkeit, nicht und vernichtete mit der Kirche abermals dieses Haus. (1606) Denn in neuer Kriegswut entbrannt, schleuderte die benachbarte Jungfrau (= Braunschweig) Waffen und Fackeln in die heiligen Häuser. Die vorherige Zerstörung war schrecklich, aber die jetzige ganz grauenvoll, da das Feuer den gesamten Ort elendig verwüstete. Und nicht nur diesen Ort, sondern in einem ähnlichen Ansturm auch die benachbarten Dörfer. Damals sorgte jeder durch eine schmerzliche Flucht für sich selbst. Du willst den Grund des Frevels wissen? Es gibt keinen, außer vielleicht, du hältst es für richtig, freundliche Taten mit Hass und Neid zu vergelten. Aber dir, o Gott, sei alles anvertraut. Durch dich ist Riddags Haus jetzt schöner als zuvor, unter der Leitung von Abt Petrus, der als passendes Omen den edlen Beinamen „Weintraube“ trägt.Abt Johannes hat diese Tafel gesetzt, sein Nachfolger Petrus hat sie erneuert und vergrößert.

(C1) Christus, Sieger über den Teufel und Rächer der Bösen, die deine Kirchen verwüsten und den Schulen schaden, verteidige diesen dir geweihten Ort, wehre den barbarischen Wahnsinn ab und schütze die schöne Zierde des Friedens. Da es niemandem schadet und allen gleichermaßen umso mehr nützt, wer würde dem unschuldigen Haus schaden wollen? Im Jahr Christi des Erlösers 1614, welches das 459. Jahr seit der Gründung ist.

Versmaß: Elegische Distichen (B, C1).

Wappen:
Windruwe, Peter (Abt)

Kommentar

Sorgfältig und regelmäßig gearbeitete Kapitalis mit ausgeprägten Sporen an den Schaft-, Balken- und Bogenenden. R mit geschwungener, ausgestellter Cauda; G mit eingestellter Cauda. Der Schrägschaft des N ist über den linken Schaft hinaus verlängert, ebenso der linke Schrägschaft des M. Die Cauda des Q durschneidet den Bogen im unteren Bereich wellenförmig. Als I-Punkte dienen Dreiecke.

Die Tafel wird dem Braunschweiger Bildhauer Jürgen (Georg) Röttger zugeschrieben, der von 1583 bis zu seinem Tod am 14. Oktober 1623 in Braunschweig tätig war.6) Weitere Werke Röttgers in der Klosterkirche sind die Grabplatte des Abtes Peter Windruwe (Kat.-Nr. 47) sowie das Epitaph des Priors Christian Probst (Kat.-Nr. 45), die gleichartige Schriftmerkmale mit der Geschichtstafel aufweisen.

Die Geschichtstafel erzählt die Geschichte des Klosters von seinen Anfängen, seinen wiederholten Zerstörungen bis zur Wiederherstellung unter Abt Peter Windruwe, dessen Wappen die Tafel ziert. Sie ist ein Ersatz für eine unter Abt Johannes Lorber errichtete Tafel (IOANNES ABBAS POSVIT; PETRVS SVCCESSOR ‎/ RENOVAVIT ET AVXIT), welche vermutlich bei den Verheerungen des Klosters 1606 zerstört wurde. Eine Renovierung der Tafel fand 1691 unter dem Abt Johann Lucas Pestorf (1689–1693) statt.

Textkritischer Apparat

  1. SOLŸMIS] statt HIERSOLYMIS.
  2. IOANNES ... AVXIT] kleiner.
  3. M. DC. XIV.] zur rechten und linken Seite der Renovierungsvermerk RENOVATUM ‎// ANNO 1691.

Anmerkungen

  1. In der rechten Hand der oberen Figur ist noch das Griffstück eines Schwertes zu erkennen, welches sie vermutlich als Gerechtigkeit (Iustitia) ausweist. Die Waage, als weiteres Attribut, hielt sie vermutlich in ihrer linken Hand. Die Attribute der rechten Figur sind nicht mehr eindeutig zu identifizieren.
  2. Gemeint ist der sächsische Herzog Heinrich der Löwe (1142–1180). Als der Stolze wurde sein Vater Heinrich II. von Sachsen (1137–1139) bezeichnet.
  3. Die Pilgerfahrt Heinrichs des Löwen nach Jerusalem fand in den Jahren 1172 bis 1173 statt, von wo aus er zahlreiche Reliquien mitbrachte. Eine Schenkung von Reliquien an das Kloster Riddagshausen ist nicht belegt. Vgl. Zimmermann, Chronicon Riddagshusense, S. 83.
  4. Die beiden Jahresangaben 1552 und 1550 stehen in verkehrter Reihenfolge.
  5. Gemeint sind Vollrath von Mansfeld († 1578) und Markgraf Albrecht II. Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach (reg. 1541–1554).
  6. Vgl. Zimmermann, Chronicon Riddagshusense, S. 82. Zur Biographie und den Werken Jürgen Röttgers siehe Meier, Kunsthandwerk, S. 42–68 sowie DI 56 (Stadt Braunschweig II), Register 2, s. v. „Röttger, Georg“.

Nachweise

  1. Meibom, Chronicon Riddagshusense (1688), S. 409f.
  2. NLA WO, 126 Neu, Nr. 964 (Corpus Bonorum Riddagshausen), S. 17-21 (A, B).
  3. NLA WO, 11 Alt Ridd, Nr. 630 (Monumenta Sepulcralia), S. 40–42.
  4. Archiv für Kirchliche Baukunst und Archiv für Kirchliche Kunst, Jg. 6 (1882), S. 82 (deutsch).
  5. Pfeifer, Kloster Riddagshausen, S. 24 (A, B deutsch).
  6. Kdm. Kreis Braunschweig, S. 159f.

Zitierhinweis:
DIO 7, Stadt Braunschweig III, Nr. 48 (Anna Weissmüller), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio007g003k0004809.