Inschriftenkatalog: Stadt Bonn

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 50: Bonn (2000)

Nr. 19† Münster 1169 oder später

Beschreibung

Tumbendeckplatte mit Memorialinschrift für Propst Gerhard von Are. Standort des Grabdenkmals1) war die Ostwand der Cyriakuskapelle im Kreuzgang.2) Material unbekannt. Auf der Platte eine vollplastische Liegefigur des mit einer Albe bekleideten Verstorbenen, dessen unbedeckter Kopf auf einem Kissen ruht. Er hält ein Buch in der Linken und ein Modell des Bonner Münsters in der Rechten. Die am Rand umlaufende Inschrift ist von außen lesbar, beginnt an der oberen Schmalseite und reicht bis zur Mitte der rechten Langseite. Die Platte ging nach 1788 verloren, vermutlich während der französischen Herrschaft.

Inschrift nach Alfter.

Schriftart(en): Der (verlorenen) Nachzeichnung bei Laporterie (1788)3) nach zu urteilen romanische Majuskel.

  1. GERADVSa) COMES DEb) SEYNAc) PRAEP(OSITVS) / BONN(ENSIS)d) ARCHIDIOEC(ESIS)e) COLON(IENSIS)

Übersetzung:

Gerhard Graf von Sayn, Bonner Propst der Kölner Erzdiözese.

Kommentar

Es ist nicht zu entscheiden, ob die Inschrift vollständig überliefert ist. Das Kenotaph dürfte mit einer Langseite vor einer Wand gestanden haben. Der Text begann an der Kopfseite und endete in der Mitte der ersten Langseite. Er nahm demnach nur etwa die Hälfte des zur Verfügung stehenden Raumes ein. Alle an der Langseite befindlichen Wörter sind bei Laporterie stark gekürzt wiedergegeben. Es fragt sich daher, ob er nicht nur den Beginn der Inschrift überliefert. Aufgrund der irrtümlichen Bezeichnung Gerhards von Are als Graf von Sayn haben bereits Pick und Kraus die Echtheit der Inschrift angezweifelt. Tatsächlich spricht diese falsche familiäre Zuordnung dafür, daß die Inschrift erst längere Zeit nach Gerhards Tod angefertigt oder nachträglich überarbeitet wurde. Möglicherweise wurde Gerhard mit dem 1192 bis 1205 belegten Propst Bruno von Sayn4) verwechselt,5) oder der Irrtum stand in Zusammenhang mit den recht lebhaften Verbindungen des Cassiusstiftes zur Familie der Grafen von Sayn (unter ihnen auch ein Graf Gerhard von Sayn) im 15. Jh.6)

Die Überlieferung der Inschrift bleibt zudem hinsichtlich des zweiten Gerhard beigegebenen Titels recht unklar. Sicher ist nur, daß es sich um eine Funktion auf der Ebene der Erzdiözese handelt. Da Gerhard einer der vier rheinischen Archidiakone der Kölner Erzdiözese war, liegt die Bezeichnung als „archidiaconus Coloniensis“ am nächsten. Pick überliefert die Version ARCHIEPISCOPVS COLONIENSIS und bezieht sie auf die unbestätigt gebliebene Wahl Gerhards zum Kölner Erzbischof 1156.7) Unter der Prämisse, daß die Inschrift gleich nach dem Tode Gerhards oder wenig später entstand, ist diese Erklärung jedoch wenig plausibel, zumal die Wahl bereits mindestens dreizehn Jahre zurücklag. Nimmt man allerdings eine deutlich spätere Entstehung der Inschrift an, so kann eine Inanspruchnahme des Titels aus der zeitlichen Distanz heraus nicht ausgeschlossen werden. Schriftgeschichtliche Überlegungen können zur Beurteilung der Inschrift nichts beitragen, da die Schrift nicht paläographisch genau wiedergegeben ist. Die unsichere Überlieferung läßt letztendlich kein Urteil darüber zu, ob die Inschrift tatsächlich später ausgeführt wurde,8) oder ob die verdächtigen Stellen lediglich verlesen oder vielleicht überarbeitet wurden.

Textkritischer Apparat

  1. Sic! So auch bei Laporterie; danach Clemen, KDM. GERARDVS A. 16, Hüpsch, Vogel, Is. Münster, Lersch, Pick, Kraus.
  2. Fehlt bei A. 16, Vogel, Pick.
  3. Seino A. 16; Seynensis Is. Münster; Seyno Vogel, Pick.
  4. ET fügen hinzu A. 16, Hüpsch, Vogel, Is. Münster, Lersch, Pick.
  5. Zeichnung an dieser Stelle korrigiert. ARCHIEPISC(OPVS) A. 16; ARCHIEP(ISCOPVS) Vogel, Pick; ARCHIEPISCOPVS Is. Münster; ARCHIDIAC(ONVS) Hüpsch, Lersch; ARCHIDIAEC. Laporterie; ARCHIDI(ACONVS) EC(CLESIAE) Kraus; ARCHIDIAECOESIS Clemen, KDM.

Anmerkungen

  1. Die Tumba diente der Markierung der Grabstätte, nicht aber der Aufbewahrung der Gebeine des Toten. Im Sommer 1948 wurde bei Grabungen in der ehemaligen Cyriakuskapelle das Grab Gerhards von Are untersucht. Der Propst war in einem Rotsandstein-Sarkophag bestattet, dessen Deckel seitlich ausgebrochen war. Im Sarkophag, der bereits vor der Entnahme der in ihm niedergelegten Bleitafel im Jahre 1802 (vgl. Nr. 18) geplündert worden war, befanden sich noch Gebeine und Stoffreste. Über dem Grab war der Unterbau der Tumba aufgemauert. Siehe den Grabungsbericht in BJbb. 149, 1949, S. 360.
  2. HStAD, Cassiusstift, A. 16: „In ambitu, in sacello S. Cyriaci, a latere orientali prope ianuam Ecclesiae, in sarcophago a terra levato“.
  3. Wiedergegeben bei Clemen, KDM; siehe dazu die Einleitung, S. XX.
  4. Höroldt, St. Cassius, S. 206.
  5. Dies vermutet bereits Pick.
  6. Höroldt, St. Cassius, S. 180f.
  7. Ein zu Beginn des 19. Jh. angefertigter Text, der die Bleitafel aus dem Sarg Gerhards von Are umgibt und heute an der Nordwand des Westchores angebracht ist, erklärt, daß Gerhard aufgrund dieser Wahl im nachhinein als Erzbischof tituliert worden sei („postremo hoc titulo condecoratus“) (vgl. Nr. 18).
  8. Auch die Grabinschrift Ebf. Engelberts von Falkenburg († 1274) wurde in der zweiten Hälfte des 14. Jh., also lange nach seinem Tode, angefertigt, allerdings in der „modernen“ Schriftart, der gotischen Minuskel (vgl. Nr. 41).

Nachweise

  1. HStAD, Cassiusstift, A. 16, Bl. 49r.
  2. HAStK, Slg. Alfter, Bd. 47, Bl. 92v (Nachzeichnung).
  3. Vogel, Chorographia, S. 162.
  4. Laporterie (Nachzeichnung).
  5. Hüpsch, Epigrammatographie II, S. 16, Nr. 37.
  6. Inschrift im Münster, Nordwand des Westchores (Anf. 19. Jh.).
  7. Lersch, Niederrhein. Jb. I, 1843, S. 243.
  8. Pick, Bonner Zeitung 1869, Nr. 54.
  9. Kraus II, Nr. 511.
  10. Clemen, KDM, S. 90 und Fig. 41.

Zitierhinweis:
DI 50, Bonn, Nr. 19† (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di050d004k0001909.