Inschriftenkatalog: Stadt Bonn
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 50: Bonn (2000)
Nr. 17 Münster nach Mitte 12. Jh.
Beschreibung
Gedenkstein mit Erinnerungsinschrift an Propst Gerhard von Are. Ursprünglich und noch zumindest bis zum 17. Jh. im Kreuzgang oberhalb der Eingangstür zur ehemaligen Cyriakuskapelle – der Grabstätte Gerhards –,1) heute an der Südseite des Westchores über der Tür zum Turm eingemauert. Kalkstein. Inschrift zwischen Linien tief eingehauen, von einer umlaufenden doppelten Linie eingerahmt.
Maße: H. 51, B. 112, Bu. 3,2 cm.
Schriftart(en): Romanische Majuskel.
NEMO · PRIORV(M)2) · TANTA · RESTRVXIT · QVANTA · GERARD(VS) · NOBILIS · ORTV · CLARIOR · ACTV · GLORIA · STIRPIS ·MVTAT · OPES · NON · PONIT · OPES · DV(M) · TALIA · CONDIT ·ATRIA · CLAVSTRI · MENIA · TEMPLI · PLENA · DECORE ·QVOD · FVIT · ARTV(M) · CONSTRVIT · AMPLV(M) · SORDIDA · MVNDANS ·DV(M) · NOVA · CONFERT · FVNDITVS · AVFERT · APTA · RVINE · VSIBVS · APTV(M) · QVICQVID · INEPTV(M) · PERFICIT · OMNE ·GRATIA · (CHRISTI)a) · CONFERAT · IPSI · PREMIA · REGNI ·
Übersetzung:
Keiner der Vorgänger hat soviel wiederhergestellt wie Gerhard. Adlig von Geburt, glänzender noch durch sein Handeln, der Ruhm seines Geschlechts, wandelt er den Reichtum um, legt den Reichtum nicht ab, indem er solches ins Werk setzt: Die Atrien des Klosters, die Mauern der Kirche voller Zierat. Was eng war, baute er weit, wobei er das Verschmutzte reinigte. Indem er von Grund auf Neues beibringt, trägt er ab, was für den Untergang geeignet ist. Was unvollendet ist, vollendet er alles, zum Gebrauch jeglicher Art geeignet. Die Gnade Christi möge ihm den Lohn des Himmels zukommen lassen.
Versmaß: Hexameter mit Binnenreim: Tripartitus Adonicus (V. 2, 4–8), Trininus saliens (V. 3).
Textkritischer Apparat
- Buchstabenbestand: XPI.
Anmerkungen
- Burman, S. 70f. und Pick.
- Möglicherweise hat der Versifikator hier mit der mehrfachen Bedeutung von „prior“ gespielt, das sowohl ‚Vorgänger‘ als auch ‚Prior‘ bedeuten kann. Als ‚Prior‘ kann Gerhard wiederum sowohl in seiner Funktion als Propst des Cassiusstiftes bezeichnet werden als auch aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Kölner Priorenkolleg (Groten, Priorenkolleg, S. 55–71).
- Meyer, Abhandlungen zur Rhythmik 1, S. 85–91.
- Neben zahlreichen anderen Beispielen vgl. z. B. das Epitaphium Hadriani (MGH Poetae I, S. 113): „Nobilis ex magna genitus iam gente parentum / sed sacris longe nobilior meritis“ und das Epitaphium Authelmi (MGH Poetae I, S. 407): „Nobilis in genere, placidus, bonus, omnibus aequus, / nobilior meritis, quam valet ore loqui“.
- Rhein. Landesmuseum Bonn, Inv.-Nr. U 175. Siehe dazu u. a. Clemen, Roman. Monumentalmalerei, S. 262ff.
- Vgl. z. B. „Lux decus ecclesiae Romanae gloria gentis“ (Alcuin. Carm. 28, 4); „Es splendor populi, lux mundi gloria regni“ (MGH Poetae III, S. 248). Zu zahlreichen weiteren Beispielen vgl. Hex.-Lex. 2, S. 435–449.
Nachweise
- StA Bonn, Burman, Historia universalis, S. 71.
- HStAD, Cassiusstift, A. 16.
- Hüpsch, Epigrammatographie II, S. 16, Nr. 37.
- HAStK, Slg. Alfter, Bd. 47, Bl. 92v.
- Vogel, Chorographia, S. 163.
- aus’m Weerth, Münsterkirche, S. 14f.
- Pick, Bonner Zeitung 1869, Nr. 54.
- Kraus II, Nr. 511.
- Maaßen, Dekanat Bonn-Stadt, S. 41, Anm. 5.
- Clemen, KDM, S. 89.
- Ders., Roman. Monumentalmalerei, S. 435, Anm. 8.
Zitierhinweis:
DI 50, Bonn, Nr. 17 (Helga Giersiepen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di050d004k0001708.
Kommentar
Die romanische Majuskel ist sehr sorgsam und gleichmäßig gestaltet. Die Hasten-, Balken- und Bogenenden tragen Sporen, die sich beim E und F schon berühren. Die Schrift ist noch weitgehend kapital bestimmt, runde bzw. unziale Formen sind kaum aufgenommen worden: Außer dem eingerollten G wird lediglich das E (neben der eckigen kapitalen Variante) auch in der runden Unzialform verwendet. Das kapitale M hat parallele Hasten und einen kurzen Mittelteil, der rechte Schrägbalken des X ist geschwungen. Die Worttrennung erfolgt durch Punkte auf der Zeilenmitte. In der weitgehenden Beschränkung auf Kürzungen durch Kompendienstriche, dem fast völligen Verzicht auf Ligaturen und der Auswahl der Buchstabenformen unterscheidet sich die Inschrift deutlich von der Inschrift auf der Bleitafel aus dem Grab Gerhards von Are (vgl. Nr. 18).
Die Hexameter weisen durchgängig Zäsuren nach der zweiten Hebung (Trithemimeres) und nach der vierten Hebung (Hephthemimeres) auf. Die Verse 2 bis 8 haben Binnenreime, die sich nur auf die zweite und vierte Hebung, nicht aber auf das Versende legen. Die Reimart wechselt zwischen Tripartiti Adonici (Vers 2 und 4–8) und Trininus saliens (Vers 3).3) Da die Verse 2 bis 8 gereimt sind, ist auch im ersten Vers nicht von einer bloß zufälligen Assonanz ( TANTA – QVANTA), sondern von einem bewußten Reim auszugehen. Reimtragend sind hier die dritte und fünfte Hebung mit der jeweils anschließenden Silbe; die Reimverschiebung erklärt sich vielleicht aus der Einbeziehung des Eigennamens GERARDVS, der die Anwendung des für die übrigen Verse gewählten Reimschemas erschwerte.
Die umfangreiche Bautätigkeit des Propstes Gerhard von Are (1126–1169) war etwa Mitte des 12. Jh. abgeschlossen (siehe dazu die Einleitung, S. XXXVI). Der Gedanke des durch gute Taten erworbenen Adels, der den durch Geburt bedingten Grad an Adel übersteigt, wird sowohl in dieser Inschrift als auch in der Inschrift auf der Bleitafel aus Gerhards Grab zum Ausdruck gebracht und greift einen beliebten Topos der lateinischen Grablyrik auf.4) Als zeitgenössisches Parallelbeispiel sei die Mosaikgrabplatte für Abt Gilbert von Maria Laach († 1152) erwähnt, deren Inschrift den Verstorbenen als PRECLAR(VS) GENERE MERITIS PR(E)CLARIOR („ausgezeichnet durch seine Abkunft, ausgezeichneter noch durch seine Verdienste“) bezeichnet.5) Der Aufbau des zweiten Verses entspricht dem zahlreicher anderer in hexametrischen Lobgedichten: Die Aufzählung preiswürdiger Eigenschaften endet mit dem als Daktylus hervorragend in den Vers passenden GLORIA und folgendem Genitiv.6) Der Wortlaut der Inschrift gibt keinen sicheren Hinweis darauf, daß sie erst nach Gerhards Tode verfaßt wurde. Der fast durchgängige Gebrauch des Präsens könnte vielmehr die Abfassung des Textes noch zu seinen Lebzeiten nahelegen. Andererseits wäre eine derartige Lobpreisung des Bauherrn zu einem Zeitpunkt, zu dem er selbst als Propst über die Ausführung einer solchen Inschrift zu entscheiden hatte, wohl eher ungewöhnlich. Auch die Fürbitte im letzten Vers und die Anbringung der Platte in der Nähe seines Grabes sprechen dafür, daß die Inschrift erst nach Gerhards Tod entstanden ist.