Inschriftenkatalog: Stadt Wiesbaden
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 51: Wiesbaden (2000)
Nr. 1† Mainz-Kastel, ehem. Kath. Pfarrkirche St. Georg 565?
Beschreibung
Heiligenlob, Gedenkinschrift an einen Kirchenbau, Fürbitte für den Bauherrn. Art der Ausführung und Standort in der Kirche sind unbekannt.
Nach Venantius Fortunatus.
Martyris egregii pollens micat aula Georgicuius in hunc mundum spargitur altus honorcarcere caede fame vinclis site frigore flammisconfessus Christum duxit ad astra caput,qui virtute potens orientis in axe sepultusecce sub occiduo cardine praebet opem.Ergo memento preces et reddere vota, viator:obtinet hic meritis quod petit alma fides.Condidit antistes Sidonius ista decenterproficiant animae quae nova templa suae.
Übersetzung:
Es erstrahlt die mächtige Kirche des hervorragenden Märtyrers Georg, dessen hohe Ehre in dieser Welt verbreitet wird. Er, der im Kerker, im Tode, in Fesseln, bei Hunger, Durst, Kälte und Hitze sich zu Christus bekannte und sein Haupt zum Himmel erhob, wurde, machtvoll durch seine Tugend, im Osten begraben. Siehe, (auch) im Westen gewährt er Hilfe. Also gedenke der Bitten und erfülle die Gelübde, Wanderer: dieser erlangt durch seine Verdienste, was der segenspendende Glaube erbittet. Bischof Sidonius hat dieses (Bauwerk) stattlich erbaut, das als neue Kirche seiner Seele Nutzen bringen möge.1)
Versmaß: Fünf Distichen.
Anmerkungen
- Teilweise nach Übersetzung Dr. Sebastian Scholz, Mainz.
- Venantius Fortunatus II Nr. 11 u. IX Nr. 9.
- Broemser, Venantius 17; vgl. auch George, Venantius 26-28.
- Kurz erwähnt bei Staab, Mainz 76f., Büttner, Mainz 4f.
- Vgl. Le Blant Nr. 342 mit Verweisen auf Nr. 165f. und S. 249.
- Haubrichs, Georgslied 402f.
- Vgl. Ewig, Mainzer Patrozinien 157f.
- Ebd. 154 zu Venantius Fortunatus II Nr. 11.
- Schumacher, Siedlungs- und Kulturgeschichte III 166 will sich auf die Lage der Georgskirche nicht festlegen; Stimming, Mainz gibt einen Überblick über die Mainzer Kirchen, erwähnt jedoch die Georgskirche mit keinem Wort. Como, Lage 45 vermutete daher, daß beide Autoren das Gotteshaus in Mainz bzw. auf der linken Rheinseite gesucht haben.
- Vgl. Schaab, Geschichte I 361f. Falk, Geschichte II 7 suchte die Georgskirche linksrheinisch und hielt die Lokalisierung in Kastel für weniger wahrscheinlich.
- Como, Lage 45.
- Freundl. Hinweis von Prof. Jürgen Oldenstein, Mainz, vom 13. Januar 2000 auf seine noch unpublizierten Grabungsergebnisse in Alzey.
- Vgl. Brilmayer, Rheinhessen 26 und Haubrichs, Kult 68. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Haubrichs sei an dieser Stelle herzlich für die Überlassung seines ungedruckten Kultverzeichnisses des hl. Georg und für weitere Hinweise gedankt.
- Dorn, Beiträge 2, 231.
- Vgl. Herrmann, Quellen; Merian, Topographia Archiep.
- Vgl. Schoppa, Aquae Mattiacae 108.
- Vgl. Staab, Heidentum 148 mit Anm. 118.
Nachweise
- Venantius Fortunatus, Carminum liber II Nr. 12 (ed. F. Leo, MGH Auct. Ant. IV 1, 41).
- AASS Apr. III 111.
- Serarius, Mog. Rer. I, XXX, 104f.
- Joannis, Rer. Mog. I 67.
- Le Blant, Inscriptions chrétiennes I Nr. 341.
- Kraus, Christl. Inschriften I 26 Nr. 45.
- Como, Lage 45.
Zitierhinweis:
DI 51, Wiesbaden, Nr. 1† (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di051mz05k0000103.
Kommentar
Das in der Sammlung des Venantius Fortunatus überlieferte Gedicht wird mit zwei anderen zusammen2) als Beleg für dessen Besuch beim Mainzer Bischof Sidonius († 580-586) gesehen. Dieser Aufenthalt müßte in das Jahr 565 gefallen sein, da Venantius kurz darauf, nämlich nach dem Tod Bischof Nicetius' von Trier († 565) dessen Bischofsstadt besuchte und diese beiden Orte auf seinem Weg von Oberitalien nach Westgallien lagen.3) In allen drei Gedichten wird Sidonius auch als Bauherr und Reorganisator des Mainzer Kirchenwesens gerühmt.4) Mag der Text um 565 abgefaßt worden sein, seine Ausführung als Inschrift bzw. seine Bestimmung für eine frühe Georgskirche in Mainz-Kastel sind damit keineswegs gesichert.
Le Blant hatte eine Realisierung des Textes als Inschrift angenommen, weil hier wegen des Formularteils ista templa wie bei ähnlichen Inschriften in Westgallien, in denen es HAEC DOMUS, HAEC FUNDAMENTA o.ä. heißt, vorauszusetzen sei, daß dem Leser, der direkt angesprochen ist, der Bau vor Augen stehe.5)
Der Venantius-Text stellt den frühesten Beleg für die Verehrung des hl. Georg am Rhein dar. Erst im 9. Jahrhundert darf man hier wieder mit der erneuten Intensivierung des Kultes rechnen, nachdem eine erste Blüte vor allem Aquitanien und den neustrischen Kernraum erreicht hatte.6) Im 6. Jahrhundert wurde die Verehrung Georgs auch von der Herrscherfamilie getragen.7) Da Sidonius in Beziehung zur Familie König Theudeberts I. († 548) stand, dessen Tochter Berthoara den Bau des Mainzer Baptisteriums gefördert hatte, und selbst wohl aus Aquitanien stammte, ließen sich sogar zwei Wurzeln für den Georgskult im Mainzer Raum benennen.8)
Die Lage der Kirche, auf die sich das Gedicht bzw. die Inschrift beziehen, geht aus dem Text nicht hervor und bot Anlaß zu Kontroversen.9) Schon 1604 hatte Serarius im Anschluß an die Verse des Venantius andere Georgskapellen im Mainzer Bereich erwähnt: „in vicino Bretzenheimio S. Georgii templum et alterum in Castello“, eine Kapelle des Siechenhauses und kleinere, in der Mainzer Altstadt gelegene Kapellen,10) vermied aber jeden Bezug zu Sidonius. Die von Serarius genannten und in der Neuauflage seines Werkes 1722 mit Erläuterungen von Joannis aufgeführten linksrheinischen Georgskirchen erweisen sich durchgängig als spätere Gründungen des 11.-13. Jahrhunderts. Bei der Bretzenheimer Kirche fand ein Patroziniumswechsel statt, da sie zuerst dem Erlöser (Salvator) geweiht war.11) In der weiteren Umgebung von Mainz findet sich in Alzey eine spätantike Kastellkirche des 5. Jahrhunderts außerhalb des Ortes,12) die allerdings erst im Hochmittelalter als Georgskirche bezeugt ist.13) Generell sind die frühesten Georgspatrozinien erst seit dem 8. Jahrhundert im deutschen Sprachraum zu belegen.14) Anders als seine Vorgänger suchte Como die Georgskirche des Sidonius auf dem rechten Rheinufer und identifizierte sie mit der Coemeterialkirche in Kastel, das als alter römischer Brückenkopf immer in enger Beziehung zu Mainz gestanden hatte und auch in kirchlicher Hinsicht der Domstadt eng verbunden war. Am Nordrand des Ortes, wo nach den Plänen15) Gottfried Maskopps und Merians eine Georgskirche inmitten eines ummauerten Friedhofs stand, soll ein spätantikes, in alemannischer und merowingischer Zeit weitergenutztes Gräberfeld gelegen haben.16) Mit Como wäre also gut nachvollziehbar, wenn Sidonius als Reorganisator der Mainzer Kirche den Christen rechts des Rheins eine eigene Kirche errichtet hätte, die Bezugspunkt einer später linksrheinisch gefeierten St. Georgs-Statio der Bittprozession wurde.17)