Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 416(†) St. Nikolai 1649

Beschreibung

Inschriften vom Beinhaus. Erhalten sind noch zwei Steine mit Inschriften, die Reste einer Farbfassung zeigen. Ein Stein (A) wird heute lose in der zweiten Kapelle des nördlichen Seitenschiffs aufbewahrt. In einer Kartusche umgeben von Roll- und Knorpelwerk die dreizeilige Inschrift. Der zweite Stein (B), ursprünglich zwischen zwei Türen, ist an der Nordwand der Seitenkapelle südlich des Chorscheitels von St. Nikolai angebracht. Beide Inschriften sind eingehauen; B lässt noch erkennen, dass die Buchstabenkerben ehemals wohl hell ausgelegt waren. Die verwendeten Virgeln werden als Kommata wiedergegeben. In der handschriftlichen Überlieferung des 18. Jahrhunderts fehlt Inschrift A, jedoch werden dort sechs heute verlorene Inschriften des Beinhauses genannt, die offenbar außen angebracht waren: C am Bein-Hause gantz oben in der Länge, D und E an bzw. über der Tür, F über einer weiteren Tür, G und H rechts und links unter dem Gitter.

Inschriften C, D, E, F, G, H nach Hs. 245.

Maße: H. 29 cm (Stein 1), 53 cm (Stein 2), Br. 60 cm (Stein 1), 70,5 cm (Stein 2). Bu. 2–3 cm (A), 3 cm (B).

Schriftart(en): Fraktur (B) und Kapitalis mit Versal (A).

Jürgen Herold [1/2]

  1. A

    Zu der Ehre GOTTes jst dises ‎/ Beinhauß Neuw Erbauwet. ‎/ ANNO 1649.

  2. B

    Märcket an Vns Jhr Menschen all,Wie Wir verwesen nach dem Fall,Wir waren auch starck und mächtigDa Vns der Leib trug sehr Prächtig,Wie Wir jetzt jämmerlich rotten,So seÿna) Wir Euch Todes Botten.Was ihr seÿd, Wir waren auff Erden;Was Wir seÿn, Jhr müsset werden.1)

  3. C†

    Dies verweßliche muß anziehen das unverweßliche und dies sterbliche muss anziehen die Unsterbligkeit2) 1 Cor 15. v 21.b) Eüre Gebeine sollen grünen wie Gras da wird man erkennen die Hand des Herren an seinen Knechten und den Zorn an seinen feinden3) Es 66. v 14. Der Herr bewahret alle unsere Gebeine, daß denen nicht eines zerbrochen wird4) (Ps)c) 34. v 21

  4. D†

    Der Tod ist gewiß ungewiß ist der TagDie Stund auch niemand wißen mag5)Drum fürchte Gott und denck dabeyDaß jede Stund die letzte sey

  5. E†

    Memento mori nos adibis brevi

  6. F†

    Hodie mihi cras tibi6)

  7. G†

    Herr lehre uns bedencken daß wir sterben müßen auf daß wir klug werden7) (Ps)d) 90. v 12

  8. H†

    Der Tod ist der Sünden Sold aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christo Jesu unserm Herren8)

Übersetzung:

(E) Bedenke, dass du sterben musst. Du (Tod) wirst dich uns bald nähern.

(F) Heute mir, morgen dir.

Versmaß: Deutsche Reimverse (B, D).

Kommentar

Inschrift B ist in einer sorgfältigen, zierlichen Fraktur mit Elefantenrüsseln und zahlreichen Zierschleifen an den Oberlängen ausgeführt. Wie auch in anderen Fällen9) war das Beinhaus von St. Nikolai so gestaltet, dass von außen durch ein Gitter die Sicht auf die zusammengetragenen Knochen der Verstorbenen möglich war; dort waren die Inschriften G und H platziert. Zur Datierung der nicht erhaltenen Inschriften C–H liegen keine Informationen vor. Im Begräbnisregister von St. Nikolai werden zum 6. April und 13. August 1646 Bestattungen im oder beim Beinhaus erwähnt, das zum Alten Markt hin,10) also südlich der Kirche, bzw. in der Nähe des Südturms lag.11)

Textkritischer Apparat

  1. seÿn] sind Hs. 245.
  2. Zu diesem Stellennachweis vgl. Anm. 2.
  3. (Ps)] ψ Hs. 245.
  4. Wie Anm. c.

Anmerkungen

  1. Vgl. den lateinischen Spruch Quod sumus, hoc eritis, fuimus quod estis, ‚Was wir (Toten) sind, werdet ihr sein; wir waren, was ihr (Lebenden) seid‘.
  2. 1 Ko. 15,53.
  3. Jes. 66,14.
  4. Ps. 34,21 (Er bewaret jm alle seine Gebeine ...).
  5. Vgl. den lateinischen Spruch Mors certa, hora incerta.
  6. Vgl. Walther (Hg.), Proverbia 2, Nr. 11085a.
  7. Ps. 90,12.
  8. Rö. 6,23.
  9. Zu (mittelalterlichen) Beinhäusern vgl. allgemein Grewolls, Kapellen, S. 157–160.
  10. PfA St. Nikolai, R 33a (o. S.).
  11. Uhsemann, Nikolaikirche, S. 58, nennt die äußere südliche Turmecke als Standort des Beinhauses.

Nachweise

  1. StA Stralsund, Hs. 245, S. 49f. Nr. 59 (C–H).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 416(†) (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0041608.