Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 335†? St. Jakobi 1632, 1704

Beschreibung

Gemälde, wohl nachträglich in das Epitaph für den Superintendenten Arnold Stappenbeck eingefügt. Öl auf Leinwand und Holz. Das Bildnis, das Stappenbeck in Halbfigur darstellte und durch eine darunter angebrachte Schrifttafel ergänzt wurde,1) war in der Mitte des 18. Jahrhunderts und noch 1931 am Kanzelpfeiler angebracht.2) Es ist unklar, ob das Gemälde im Kunstgutlager St. Jakobi aufbewahrt wird, das zum Zeitpunkt der Inschriftenbearbeitung (Februar 2014) nicht zugänglich war.3) Auf historischen Fotos ist rechts neben dem dargestellten Superintendenten eine sechszeilige Inschrift zu sehen (A), von der nur zwei in Kapitalis ausgeführte Zeilen lesbar sind. Hs. 245 überliefert eine weitere Inschrift B, die oben angebracht war. C und D sind auf der Schrifttafel unter dem Porträt in Kapitalis ausgeführt und in zwei Kolumnen angebracht, auf der Grundlage von Fotografien jedoch nur teilweise zu lesen. Die unregelmäßige, unsaubere Ausführung sowie die Versalschrift in der ersten Zeile von D weisen darauf hin, dass die Inschriften C und D ein Resultat der Erneuerung 1704 sind, die am unteren Ende der rechten Kolumne genannt wird (E). Alle Inschriften sind gemalt.

Inschriften A, C, D nach Foto Witt, Inschrift B nach Dähnert, Inschrift E nach Hs. 245. Inschriften C und E ergänzt nach Dähnert.

Schriftart(en): Kapitalis mit Versalien (A, C) und Versalschrift (D).

  1. A

    [– – –] ‎/ ANIMAM CHR(IST)O RED‎/DIDIT ANNO 1629 ˑ ‎/ [– – –]

  2. B

    D(eo) T(er) O(ptimo) M(aximo) Bonae Memoriae aeternae spei Reverendi multum clarissimi quondam Superintendentis Stralesundensis D(omi)n(i) M(agistri) Arnoldi Stappenbeckii Viri pii gravis optime de Ecclesia Christi meriti M(oestissima) V(xor) L(iberique) P(ie) P(osuerunt)a) A(nno) 1632

  3. C

    [ANGELICARUM OCTO H]EBDOMADVM MIHI TRANSIIT AETAS, [LABENTE F]ATI CLEPSYDRA[QUATUOR IMPENDI] HINC ATQEb) AMPLIVS AVSPICE CHRISTO[ARIS MINI]STER PATRIIS5[AEDE JACOBAEA UN]DENOS BIS PASTOR IN ANNOS, [CURA FI]DELI PRAEFVI.[HINC SUPERINTE]NDENS FACTVS CO[MMUNIB]US. ALMAE[ECCLESI]AE SVFFRAGIIS.[NECNON GYMNASII] SACRA IN PIETATE PROFESSOR10[HUTTERIO] E COMPENDIO.[QUOD POTUI FECI PA]SCENDO DOCENDO REGENDO[AUCTORI]TATE PATRIAc)[O QUOTIES NOSTRI] MORES ET TEMPORA4) SVNDI[TESTAT]VS ALTA ABHORRVI15[VOCE MALUM INVETE]RATAE CONSVETVDINIS VSVM[DIAETAM INORDI]NARIAM[QUAM GRAVIS ANTE FORES ANIMI (HEU)d) ADVERSIO DIXI CERNENTIS OMNIA NUMINISAD FRUGEM NI SE MELIOREM CONFERAT ISTHAEC20URBS ANTE SUPPLICANS DEO]e) ‎// IAMQVE ADEO INSTAT ET [URGET ADHVC MALEf) DEBITA] FACTIS GRAVIS DEI ANIMADVERSIOQUAM SVPERI ALMA TAMEN MODERATVR DEXTERA PATRIS.NE PESSVM EAMUS FUNDITVS ˑ 25CHRISTE TUAM IN MESSEM SERVOS EXTRVDE FIDELESOPERATIOSQUEg) IN VINEAM5) ˑQUI FODIANT STERILES SUBIGANTQVE LI[GONIBUS AEQUIS]STVPENTIVM ARMAh) PECTORUMQUI FRACTAS REPARENT VERBI MEDIC[AMINE MEN]TES30EVANGELII OLEO RECREENT ˑSIC ERIS VRBS PLANTANS COEL[OS6) ETi) RITE PLACERE]ALTISSIMO CVPIENS DEO ˑ

  4. D

    ANNO ORBIS REDEMTI ‎/ NE PESSVM DETVR GREX PIEj) CHRISTE TVVSk)7) ‎/ INTERPRETE M(AGISTRO) ANDREA HELWIGIO ˑ P(OETA) L(AVREATO) C(AESAREO)

  5. E

    HANC EX PIO EBULLIENTIS SANGUINIS ‎/ [AFFECTU] MEMORIAE ARAM RENOVANDAM ‎/ [CURAVIT A(NN)O 1704 DOMINI SUPERINTENDENTIS EX FILIA NEPOS PETRUS. SLEDANUS]

Übersetzung:

(A) (...) gab seine Seele an Christus zurück im Jahr 1629 (...).

(B) Dem dreifach besten und höchsten Gott. Dem guten Andenken und der ewigen Hoffnung des ehrwürdigen, weithin hochberühmten einstigen Superintendenten von Stralsund, des Herrn Magisters Arnold Stappenbeck, des frommen, würdevollen, um die Kirche Christi hochverdienten Mannes, haben dieses Denkmal im Jahr 1632 die tieftraurige Ehefrau und die Kinder pflichtgemäß errichten lassen.

(C) Der Zeitraum acht englischer Wochen8) verging mir, während die Wasseruhr des Schicksals ablief. Vier und mehr davon verbrachte ich unter der Führung Christi als Diener an Altären meiner Vaterstadt. In der Jakobikirche stand ich zweimal elf Jahre in treuer Sorgfalt als Pastor an der Spitze. Dann, durch gemeinsame Beschlüsse zum Superintendenten der segenspendenden Kirche ernannt und auch zum Professor des Gymnasiums in der heiligen Frömmigkeit nach dem Hütterschen Compendium, habe ich getan, was ich vermochte durch Weiden, Lehren, Lenken mit väterlicher Autorität. Oh, wie oft habe ich unseres Stralsunds Sitten und Zeiten mit lauter Stimme bezeugend verdammt, den schlimmen Brauch der eingerissenen Sitten, die unordentliche Lebensführung. Wehe, welche schwere Strafe des alles sehenden Gottes schwebt mir im Geiste vor Augen, habe ich gesagt, wenn sich diese Stadt nicht zur Besserung wendet und vorher Gott anfleht. Und schon sehr bedroht und bedrängt die bisher begangenen Übeltaten die verdiente schwere Strafe Gottes, welche gleichwohl die gnädige Rechte des himmlischen Vaters (Christus) mäßigt, damit wir nicht völlig zugrunde gehen. Christus, schicke treue Diener zu deiner Ernte aus, Arbeiter in den Weinberg, damit sie die Unfruchtbaren umgraben und mit gebotenen Hacken die Äcker der stumpfen Herzen umbrechen, die mit dem Heilmittel des (göttlichen) Wortes das zerrüttete Innere wiederherstellen und mit dem Öl des Evangeliums erfrischen. So wirst du die Stadt sein, die Himmel pflanzt, die rechtens dem höchsten Gott zu gefallen begehrt.

(D) Im Jahr des erlösten Erdkreises (1632). Damit deine Herde, gütiger Christus, nicht vernichtet werde. Übersetzt von Magister Andreas Helwig, kaiserlich gekröntem Dichter.

(E) Dieses Denkmal der Erinnerung ließ aus pflichtschuldiger Liebe des hervorsprudelnden Blutes (der Verwandtschaft) im Jahr 1704 Peter Sledan, der von der Tochter geborene Enkel des Herrn Superintendenten, erneuern.

Versmaß: Daktylische Hexameter im Wechsel mit jambischen Dimetern (C). Pentameter mit Chronogramm Z. 2 (D).

Kommentar

Seinem erst 1651 angefertigten Epitaph zufolge lebte Arnold Stappenbeck von 1573 bis 1629 und hinterließ seine Witwe Katharina Behrens, die 1643 starb.9) Sein Vater Peter war Altermann der Bäcker, seine Mutter U. Ketelhodt. Im Jahr 1588 immatrikulierte er sich an der Universität Rostock.10) Er wurde in Hamburg ordiniert und war in Stralsund seit 1600 Diakon, seit 1607 Pfarrer an St. Jakobi sowie seit 1621 Superintendent. Im Jahr 1627 stiftete Stappenbeck dem Gymnasium 100 Mark, von deren Zinsen Schulbücher angeschafft werden sollten; aus diesem Grund wird er auch als Gründer der Gymnasialbibliothek gewürdigt.11) Auf seinem Epitaph wird er darüber hinaus als Konsistoriumsmitglied (assessor consistorii), Lehrer an der Lateinschule (vgl. Inschrift C, Vers 9) und Senior des geistlichen Ministeriums bezeichnet. Er starb im August 1629 an der Pest.12)

Bei dem in Inschrift C, Vers 10, erwähnten Hütterschen Compendium handelt es sich um das erfolgreichste Lehr- und Schulbuch der lutherischen Orthodoxie mit dem Titel ‚Compendium locorum Theologicorum ex scripturis sacris et libro Concordiae‘, das von Leonhard Hütter (1563–1616) zusammengestellt und erstmals 1610 in Wittenberg bei Johann Gormann gedruckt wurde.13) Andreas Helwig, geboren 1572 oder 1573 in Friedland (Ldkr. Mecklenburgische Seenplatte), gestorben am 19. November 1643, war Konrektor an den Schulen in Salzwedel, Friedland und Greifswald,14) danach Rektor in Berlin und Stralsund. Er befasste sich als Erster mit der Etymologie der deutschen Sprache.15)

Textkritischer Apparat

  1. Für die Kürzung M. V. L. P. P. wäre auch die Auflösung M(onumentum) V(oto) L(ibentes) P(osuerunt) möglich. P. P. wäre in diesem Fall als eine den Plural des Verbs anzeigende Buchstabenverdoppelung aufzufassen.
  2. ATQE] So statt ATQVE.
  3. [AVCTORI]TATE PATRIA] Patria auctoritate Hs. 245, Dähnert.
  4. Klammern so Hs. 245, Dähnert.
  5. Die gesamte Zeile wird in Hs. 245 in Versalschrift wiedergegeben.
  6. MALE] mala Hs. 245, Dähnert.
  7. OPERATIOSQUE] So statt OPERARIOSQUE.
  8. ARMA] So statt ARUA; arma auch Hs. 245, Dähnert.
  9. COEL[OS ET]] caelo se Hs. 245, Dähnert.
  10. PIE] PIA Dähnert.
  11. Chronostichon-Buchstaben nach Dähnert wiedergegeben. Auf der hier herangezogenen Fotografie, die das Chronostichon nur teilweise zeigt, fehlen viele Buchstabenmarkierungen; in Hs. 245 sind keine Buchstaben hervorgehoben.

Anmerkungen

  1. Angaben nach Fotosammlung Witt, Greifswald; diesem Foto fehlen die linke Seite und der untere Rand des Gemäldes. Vgl. auch die Abbildung des Bildnisses links neben dem Kanzel-Schalldeckel bei Zülch, Hans-Lucht-Kanzel, S. 130 Abb. 1.
  2. Nach Dähnert, Denkmale, S. 328; Deißner, Kanzel Jakobikirche (2).
  3. Zum Kunstgutlager von St. Jakobi vgl. die Einleitung, Kap. 3.1.3.
  4. Vgl. Cicero, Oratio in Catilinam 1,2.
  5. Vgl. Mt. 20,1–16.
  6. Vgl. Is. 51,16 (protexi te ut plantes caelos et fundes terram).
  7. Das Chronostichon ergibt die Jahreszahl 1632.
  8. Bei dem Zeitraum einer ‚englischen Woche‘ muss es sich um jeweils sieben Jahre handeln, denn nur so ergeben sich 56 Jahre, das gesamte Lebensalter Stappenbecks (vgl. dazu den Kommentar).
  9. Angaben nach der Inschrift auf dem Epitaph; vgl. Dähnert, Denkmale, S. 328 (Nr. 2).
  10. Matrikel Rostock 2, S. 225.
  11. Zur Gründungs- und Frühzeit der Stralsunder Gymnasialbibliothek siehe Zober, Gymnasium 3, S. 17f.; vgl. auch StA Stralsund, Rep. 22 Nr. 521d (weitere Stiftung für die Bibliothek, 1633, mit Bezug auf Arnold Stappenbeck; nach Archivverbund Mecklenburg-Vorpommern, Online-Recherche Ariadne, 2.6.2015).
  12. Biografische Daten, wo nicht anders angegeben, nach Heyden, Wolgast, S. 135f. (Todestag 9. August). Vgl. auch Lobes, Reformations-Werck, S. 60, 69 (Todestag 7. August). Auf dem Stappenbeck-Epitaph wird der 10. August genannt.
  13. Vgl. Hütter, Compendium 1, S. 731f.
  14. Vgl. DI 77 (Greifswald), Nr. 401.
  15. Biografische Angaben nach Jakob Franck, ‚Helvigius, Andreas‘, in: ADB 11 (1880), S. 715 (Onlinefassung, 26.9.2011); Flood, Poets Laureate, S. 833–835.

Nachweise

  1. StA Stralsund, Hs. 245, S. 90f. Nr. 14 (B, C, D, E).
  2. Dähnert, Denkmale, S. 328f. (B, C, D).
  3. Fotosammlung Witt, Greifswald (A, C, D).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 335†? (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0033508.