Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 263 St. Nikolai 1601–1602

Beschreibung

Epitaph für den Bürgermeister Joachim Klinkow. Sandstein mit Resten der Farbfassung, mehrere Risse. An der Ostwand der Hagemeister-Kapelle, am ersten Joch im nördlichen Bereich des Chorumgangs. In fünf übereinander angeordneten Feldern sind die folgenden Szenen und Inschriften zu sehen:1) auf dem Unterhang eine Kartusche mit Roll- und Beschlagwerk, darin Inschrift A. Im Feld darüber die auf Kissen knienden Gestalten Joachim Klinkows und seiner Ehefrau Anna Völschow, deren Kleidung der auf dem Grabstein (Kat.-Nr. 264) sehr ähnlich ist. Zwischen ihnen eine Kartusche mit Inschrift B, außen neben den Figuren zwei Vollwappen, zwei weitere auf den Kragstücken außen. Darüber im größten Feld des Epitaphs ein Kreuzigungsrelief mit Maria und Johannes, außerhalb der begrenzenden, vorgestellten Säulen Skulpturen der Evangelisten Matthäus und Johannes. Unter der Kreuzigung Inschrift C, die Bibelstellenangabe in kleineren Buchstaben auf dem Rahmen der Kartusche. Darüber auf dem gekröpften Gebälk Inschrift D. In der Ebene darüber ein Relief des auferstandenen Christus gerahmt von zwei Hermen, außen flankiert von Skulpturen der Evangelisten Markus und Lukas. An der Spitze des Epitaphs ein Putto mit einer Fahne, darunter unter einem Rundbogen eine Brustfigur des segnenden Gottvaters und eine Kartusche mit Inschrift E; u mit diakritischen Zeichen in Form von doppelten Umlaut-Strichen. Alle Inschriften sind erhaben ausgehauen. Inschrift A mit Interpunktionszeichen.

Maße: Br. 330 cm, H. 560 cm. Bu. 1,5 cm (A), 3,5–5 cm (B), 3 cm (C, D).

Schriftart(en): Kapitalis (B) mit Versalien (A), Fraktur (C–E).

Jürgen Herold [1/8]

  1. A

    IOACHIMVS CLINCOVIVS PATRE IOACH(IMO)a) IN HAC VRBE AN(N)O D(OM)NI ‎/ M DXVIIIb) NATVS, BONIS LITERIS A PVERO, ET IN IVRIS SCIENTIA A IOHA(N)NE ‎/ OLDENDORPIO I(VRIS) C(ONSVLTO) SAXONIAE CELEBERR(IMO) INSTRVCTVS, INGENYc) INDVSTRIA ET MO=‎/RVM MODESTIA, BONORVM BENEVOLENTIAM PROMERITVS. PRIMVM PATRIAE SECRETA=‎/RIVS MOX SENATOR POST ETIAM CONSVL FACTVS OFFICIO SVO EX FIDE VBIQ(VE) PRAE=‎/FVIT ET IN CONSVLATV INTEGROS XLIId) ANNOS VRBEM HANC CONSILYS MODERATIS ‎/ ET SALVTARIBVS REXIT. CIVIS ET VIR BONVS, BENEVOLVS OMNIBVS GRAVIS NVLLI SENA‎/TOR ET CONSVL VIGILANTISS(IMVS) GRAVISS(IMVS)Q(VE) PACIS ET TRANQVILLITATIS PERPETVO STV=‎/DIOSVS. CVM VIXISSETe) IN HIS TERRIS ANNOS LXXXIII. ET VIXISSET PLACIDE ET ‎/ BENE DIGNVM VITAE FINEM CONSECVTVS EST, OBDORMIVIT ETIAM PIE ET PLACIDE ‎/ IPSA DIE PENTECOSTES, ANNO MI DICI.f) ET HIC QVIESCIT A LABORIBVS QVOAD ‎/ DO(MIN)I TVBA EXCITATVS VIGILET ET VIVAT AETERNVM CVIVS FIDVCIA CONIVNX ‎/ SVPERSTES ANNA VOLSCHOVIA MARITOg) DESIDERATISS(IMO) MONVMEN=‎/TVM HOC P(ONI) C(VRAVIT)

  2. B

    HOMO ‎/ EST SICVT ‎/ FLOS ‎/ CAMPI2)

  3. C

    1 Timoth 1. ‎/ Es Jsth) gewißlich warr, ‎/ vnd ein thewres werdes wort ‎/ das Christus ist komme(n)i) in die welt ‎/ die Sünder selig zü machen3)

  4. D

    Das blutt Jesu Christi macht ‎/ vns rein von allen Sunden.4) Johannis: 1

  5. E

    Darzu Jst Christus Gestorben ‎/ vnd aufferstanden auch wiederu(m)bj) ‎/ Lebendich gewordenk) Das ehr vber ‎/ Todt vnd Leben einl) Herr seÿ5) ‎/ Roma: 14.

Übersetzung:

(A) Joachim Klinkow, vom Vater Joachim in dieser Stadt im Jahr des Herrn 1518 geboren, in der schönen (antik-lateinischen) Literatur von Kind an und in der Rechtswissenschaft durch Johann Oldendorp, einen höchst berühmten Rechtsgelehrten aus Sachsen, unterrichtet, verdiente sich durch fleißige Entfaltung seiner angeborenen Begabung und seine charakterliche Rechtschaffenheit das Wohlwollen der Guten. Er wurde zunächst zum Secretarius seiner Vaterstadt, dann bald zum Ratsherrn, danach auch zum Bürgermeister ernannt. Sein Amt nahm er überall gewissenhaft wahr und regierte als Bürgermeister diese Stadt ganze 42 Jahre mit besonnenen und heilsamen Entscheidungen. Er war ein guter Bürger und Mann, wohlwollend gegenüber allen, gegen niemanden hart, als Ratsherr und Bürgermeister höchst unermüdlich und konsequent, immer um Frieden und Ruhe bemüht. Nachdem er in dieser Welt 83 Jahre gelebt hatte, und zwar ruhig und gut gelebt hatte, war ihm auch ein entsprechendes Lebensende beschieden: Er starb fromm und friedlich am Pfingsttag im Jahr 1601 (31. Mai oder 10. Juni) und ruht hier von seinen Mühen aus, bis er, von der Posaune des Herrn aufgeweckt, erwacht und in Ewigkeit lebt. Im Vertrauen darauf hat seine noch lebende Ehefrau Anna Völschow dem sehnlich vermissten Ehemann dieses Denkmal errichten lassen.

(B) Der Mensch ist wie eine Blume auf dem Feld.

Wappen:
Klinkow IHeye(?)Völschow II6)Stevelin

Kommentar

Das Epitaph wurde wohl von derselben Werkstatt angefertigt wie die Epitaphien für vier Mitglieder der Familie von Putbus in Vilmnitz auf Rügen (Ldkr. Vorpommern-Rügen, 1601 und 1602). Als verantwortlicher Meister wird der Bildhauer Claus Midow, Schüler von Philipp Brandin, genannt, der im Frühjahr 1602 verstarb.7) Ähnlichkeiten sowohl der Buchstaben- als auch einzelner Zierformen des Stralsunder Denkmals und der Vilmnitzer Epitaphien bestätigen aus epigrafischer Sicht diese stilistische Zuordnung (vgl. zum Folgenden vor allem die in Fraktur ausgeführte Inschrift D des Klinkow-Epitaphs):8) Die erhaben ausgehauenen Inschriften zeigen s und S mit einem am oberen Bogenabschnitt ansetzenden, deutlich nach links zurückgebogenen Zierstrich, ferner spitzwinklig ansetzende Zierstriche an den unteren Hastenenden von e, i, n, t und u. Diese Eigenheiten sowie sichelförmige i-Punkte lassen einen flüssigen Schriftduktus entstehen. Bogen-r kommt neben Schaft-r vor.

Joachim Klinkow, Sohn Joachims d. Ä. († 1551) und seiner zweiten Ehefrau Margarete Heye,9) immatrikulierte sich im Herbst 1534 an der Universität Rostock.10) Sein auf dem Epitaph genannter Lehrer Johann Oldendorp war einer der bekanntesten Juristen seiner Zeit.11) Joachim Klinkow war seit 1534 Secretarius, seit 1549 Ratsherr, seit 1555 Kämmerer und seit dem Jahr 1559 bis zu seinem Tod am 31. Mai oder 10. Juni 1601 Bürgermeister von Stralsund. In den Jahren 1534 bis 1566 vertrat er seine Heimatstadt auf mehreren Hansetagen, 1561 schickte die Stadt ihn als Gesandten nach Schweden. Er war im Frühjahr 1563 Mitglied eines Gremiums der Universität Greifswald12) und 1579 Pate von Hedwig Maria, Tochter des Herzogs Ernst Ludwig von Pommern. Der Superintendent Konrad Schlüsselburg (Kat.-Nr. 235) widmete ihm eine 1599 gedruckte Schrift gegen die Wiedertäufer.13) Seine Ehefrau Anna Völschow († 1609) aus Greifswald war eine Tochter des Ratsherrn Johann Völschow und der Anna Stevelin und damit Schwester der Ehefrau von Jürgen (Georg) Möller (Kat.-Nr. 170).14) Die Ehe blieb kinderlos.15) Bei Inschrift B handelt es sich um die zum Wappen der Familie Völschow gehörende Devise; vgl. dazu den Grabstein für Joachim Klinkow und Anna Völschow in derselben Kapelle, Kat.-Nr. 264, Inschrift A.

Textkritischer Apparat

  1. PATRE IOACH(IMO)] Fehlt Hs. 359.
  2. M DXVIII] MDLXIIX Hs. 245; MDXVIIII Hs. 359.
  3. INGENY] ingenti Hs. 359.
  4. XLII] XLVI Hs. 245; XL Hs. 359.
  5. VIXISSET] vexisset Hs. 303.
  6. MIDICI.] So statt MDCI. MDCL Hs. 245, Hs. 303.
  7. MARITO] merito Hs. 245.
  8. Es Jst] Das ist je Hs. 245.
  9. Christus ist komme(n)] Jesus Christus kommen ist Hs. 245.
  10. aüch wiederu(m)b] und wieder Hs. 245.
  11. geworden] worden Hs. 245.
  12. Todt vnd Leben ein] Todte und Lebendige Hs. 245.

Anmerkungen

  1. Zu diesem Epitaph vgl. auch Römer, Renaissanceplastik, S. 37f.; Schumann, Epitaph, S. 34f.
  2. Ps. (H) 102,15 (homo ... sicut flos agri sic florebit).
  3. 1 Ti. 1,15.
  4. 1 Jh. 1,7.
  5. Rö. 14,9.
  6. Wappen Völschow: hier auf dem Stein die Sonderform Ib; vgl. dagegen Kat.-Nr. 264.
  7. Nach Römer, Renaissanceplastik, S. 37f.; Thieme/Becker/Vollmer, Künstler 23/24, S. 536. Zu den Vilmnitzer Epitaphien vgl. DI 55 (Rügen), Nr. 108, 109 (mit Abb. 87–90), Nr. 114, 115 (ohne Abb.). Zu den verschiedenen, auf stilistischen Vergleichen beruhenden Zuschreibungen vgl. DI 55 (Rügen), Nr. 108 Anm. 3. Claus Midow werden auch andere Werke vor allem in Mecklenburg (Rostock, Güstrow und Basedow) zugewiesen.
  8. Die Inschriften C und E zeigen einfachere Frakturformen, aber beispielsweise auch Bogen-r neben Schaft-r. – Die Kapitalisformen in Stralsund und Putbus konnten nicht im Detail verglichen werden, übereinstimmend ist jedoch C ohne Serifen und mit stachelförmig endendem unteren Bogenabschnitt ausgeführt.
  9. Laut StA Stralsund, Hs. 365 (Dinnies, Stammtafeln 2), S. 69a–70, war Joachim Klinkow d. Ä. mit Taleke Schüting und Margarete Heye verheiratet. Da das Wappen Schüting ein anderes ist als das auf dem Epitaph neben dem Klinkowschen Wappen dargestellte, muss es sich um das Wappen der Familie Heye handeln, das Dinnies nicht bekannt war; vgl. StA Stralsund, Hs. 365 (Dinnies, Stammtafeln 2), S. 10 (Schüting), S. 84 (Heye).
  10. Matrikel Rostock 2, S. 95.
  11. Zu Johann Oldendorp siehe Klaus Luig, ‚Oldendorp, Johann‘, in: NDB 19 (1999), S. 514f. (Onlinefassung, 3.3.2015).
  12. Ältere Matrikel Greifswald 1, S. 275.
  13. Konrad Schlüsselburg, Einfältiger Bericht von den groben Gotteslesterungen der vngläubigen auffrührischen Widertäuffer, Frankfurt a. M.: Johann Saur 1599, VD 16 ZV 13932, Vorrede (o. S.).
  14. Vgl. dazu Voeltzkow, Völschow, S. 5.
  15. Biografische Informationen, wo nicht anders angegeben, nach StA Stralsund, Hs. 359 (Dinnies, Verzeichnis 1), S. 650–654; StA Stralsund, Hs. 365 (Dinnies, Stammtafeln 2), S. 69a–70.

Nachweise

  1. StA Stralsund, Hs. 245, S. 8f. Nr. 12.
  2. Dähnert, Denkmale, S. 317 (A).
  3. StA Stralsund, Hs. 359 (Dinnies, Verzeichnis 1), S. 652 (A).
  4. StA Stralsund, Hs. 341, Bl. 110v (A).
  5. StA Stralsund, Hs. 303, Bl. 19v–21v (A–D).
  6. Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 490 (B).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 263 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0026307.