Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 202 Greifswald, Pommersches Landesmuseum um 1570–1580

Beschreibung

Tafelbild.1) Öl auf Holz. Halbfiguriges Porträt des Philipp Melanchthon; 1728 übermalt.2) Aus der St. Jakobikirche in Stralsund. Der Porträtierte trägt eine schwarze Schaube mit geschlitzten Ärmeln und Pelzbesatz, darunter ein rotes Hemd mit offenem weißen Spitzenkragen. Rechts im Hintergrund der Schlagschatten seines Kopfes. Inschrift A in heller Farbe links neben dem Kopf. In Melanchthons Händen ein aufgeschlagenes Buch, dessen Seiten dem Betrachter zugewandt sind. Auf den Buchseiten in schwarzen kursiven Buchstaben Inschrift B. Im Vordergrund eine Balustrade, deren Wandung die in dunklen Buchstaben ausgeführte, erneuerte Inschrift C trägt.3) In Inschrift A nach HERRN und dem folgenden Worttrenner je ein Voluten- und ein Kreuzornament als Zeilenfüller. Die Ausführung von Inschrift B verrät große Unsicherheiten des Malers, die sich in Streichungen, ungenau gestalteten Buchstaben (ae-Ligatur, s, t) und grammatisch fehlerhaften Formen äußern. Auf der Grundlinie liegende doppelte Schrägstriche als Trennzeichen, am Ende ein rankenförmiger Abschluss. Inschriften mit i-Punkten, A mit u-Bögen, in C zwei Zirkumflexe. Alle Inschriften sind gemalt.

Maße: H. 104,5 cm, Br. 84,3 cm. Bu. 1,3–2,3 cm (A), 0,2 cm (B), 0,8 cm (C).

Schriftart(en): Humanistische Minuskel mit Versalien (B); Kapitalis mit Versalien (A, C).

Jürgen Herold [1/4]

  1. A

    BILDNIS DES ‎/ EHRWIRDIGEN ‎/ HERRN ˑ ‎/ PHILIPPI ‎/ MELANTHONS ˑ

  2. B

    Timo I ‎// Cap IIIIa) ‎// Nam Corporalis exerci=‎/Caliob) paululum habet ‎/ vtilitis,c) At pietas ‎/ ad omnia vtilis est ‎/ vt quaed) ‎/ promisiones habeat ‎/ vitae praesentise) ‎/ ac futuraf) Jnaubi=‎/lal(us)g) Sermoh) ‎// dignucq(ue)i) qui omnib(us) ‎/ modis approbiljj) ‎/ Jn hoc enim oelaboramusk) ‎/ et probris afficimur ‎/ quo[d s]pem fixam ‎/ habe[a]mus in Deo ‎/ vivente qui est ‎/ Servato[r]l) ‎/ omniumm) hominum4)

  3. C

    DVM ˑ SOPHIAE ˑ SIMVL ˑ ET ˑ SACRAE ˑ DVM ˑ CONSVLIT ˑ ARTI ˑ ET ˑ SIMVL ˑ HAEC ˑ DICI ˑ GAVDET ˑ ET ˑ ILLA ˑ SVVM ˑFATA ˑ DEV̂M ˑ MIDIOn) ˑ VENÊRE, IPSVMQVE PHILIPPVM ‎/ DEBERI AETHEREIS ˑ EDOCVERE ˑ PLAGIS

Übersetzung:

(B) Denn körperliche Ertüchtigung nützt wenig, die Frömmigkeit jedoch ist nützlich zu allem, so dass ihr das gegenwärtige und das zukünftige Leben verheißen ist. (Dies ist) ein unzweifelhaftes Wort und würdig, dass es auf jede Weise gutgeheißen wird. Dafür nämlich strengen wir uns an und werden mit Schmähworten bedacht, weil wir die feste Hoffnung auf den lebendigen Gott haben, der der Retter aller Menschen ist.

(C) Solange er sich zugleich um die Philosophie und um die Theologie kümmerte, freute sich diese und zugleich jene, sein genannt zu werden. Doch mittendrin kamen die Schicksalssprüche der Götter und belehrten ihn, dass selbst ein Philipp den himmlischen Gefilden geweiht (sterblich) ist.

Versmaß: Elegische Distichen (C).

Kommentar

Das Bild stammt aus der Werkstatt Lucas Cranachs d. J. (1515–1586) und gehört zu einer Gruppe von posthumen Bildnissen Luthers und Melanchthons (1497–1560), die kunstgeschichtlich „um 1570/80“ datiert werden;5) vgl. auch das Luther-Porträt in St. Jakobi, Kat.-Nr. 203.

Inschrift C auf der Balustrade scheint identisch im Wortlaut – nicht jedoch in Details der Schriftausführung – auch in anderen Bildern dieser Serie vorzukommen. Der Text in dem von Melanchthon gehaltenen Buch (B) variiert: Neben dem Zitat aus dem ersten Timotheusbrief kommen auch Rm. 8,31–35 und ein griechisches Pauluszitat aus den Schriften des Kirchenvaters Basilius des Großen vor.6) Das hier gewählte Zitat ist der Übersetzung des Neuen Testaments durch Erasmus von Rotterdam entnommen, die erstmals im März 1516 erschien.7) Diese Bibelübersetzung wurde allerdings von Philipp Melanchthon selbst wie auch von den meisten Gelehrten des 16. Jahrhunderts nicht rezipiert. Die ungewöhnliche, im Hinblick auf Melanchthon-Porträts vielleicht sogar singuläre Quelle der Inschrift, deren Zielrichtung unklar bleibt,8) steht im Kontrast zur unsicheren handwerklichen und sprachlichen Ausführung der Inschrift: Sie weist viele Fehler auf, ist unregelmäßig spationiert und mehrfach korrigiert.

Textkritischer Apparat

  1. Timo I // Cap IIII] Der Stellennachweis steht in der Art eines Kolumnentitels auf der linken und rechten Buchseite.
  2. exerci=/Calio] Statt exerci=/tatio.
  3. vtilitis] Statt vtilitatis.
  4. quae] Danach ein Wort gestrichen.
  5. praesentis] i verbessert aus e.
  6. futura] Statt futurae.
  7. Jnaubi=/lal(us)] Statt indubi=/tat(us).
  8. Sermo] Falsch gesetzter u-Bogen auf den ersten beiden Hasten des m.
  9. dignucq(ue)] Statt dignusq(ue).
  10. approbilj] Statt approbet(ur). Danach in der Inschrift Nam gestrichen.
  11. oelaboramus] Statt elaboramus.
  12. Servato[r]] Danach zwei Wörter gestrichen.
  13. omnium] Wort mehrfach verbessert; o mit bogenförmiger Unterlänge ähnlich einer con-Kürzung, auf dem ersten m ein i-Punkt.
  14. MIDIO] Statt MEDIO.

Anmerkungen

  1. Dauerleihgabe der Stiftung Kulturkirche St. Jakobi, Stralsund.
  2. Vgl. Anm. 3.
  3. Für den Hinweis auf die Erneuerung dieser Inschrift danke ich Burkhard Kunkel, Stralsund (14. Mai 2014). – Laut StA Stralsund, Hs. 245, S. 104, war unter diesen Versen eine weitere Inschrift Renovatum 1728 angebracht, die heute nicht mehr vorhanden ist.
  4. I Tim. 4,8–10 (nach Desiderii Erasmi Roterodami Opera omnia Tomus sextus complectens Novum Testamentum, Leiden 1705, ND Hildesheim 1962): Nam corporalis exercitatio paululum habet utilitatis, at pietas ad omnia utilis est, ut quae promissiones habeat vitae praesentis ac futurae. Indubitatus sermo, dignusque qui omnibus modis approbetur. Nam in hoc laboramus et probris afficimur, quod spem fixam habeamus in Deo vivente, qui est servator omnium hominum.
  5. Vgl. ein Parallelbeispiel im Kat. Lukas Cranach 2, Nr. 647 S. 718f. mit Abb. 355.
  6. So Kat. Lukas Cranach 2, Nr. 647 S. 719. Der Text auf den Seiten des von Melanchthon präsentierten Buches (ebd., Abb. 355) ist nicht lesbar.
  7. Art. ‚Erasmus, Desiderius’, Theologische Realenzyklopädie 10, S. 1–18, hier S. 9f.; auch Kat. Biblia deutsch, Nr. 52 u. 52a, S. 87.
  8. Für Auskünfte zur Bibelübersetzung des Erasmus von Rotterdam im Kontext der Werke Philipp Melanchthons danke ich Christine Mundhenk, Forschungsstelle Melanchthon-Briefwechsel, Heidelberger Akademie der Wissenschaften (August 2011).

Nachweise

  1. StA Stralsund, Hs. 245, S. 103f. Nr. 26 (B, C).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 202 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0020204.