Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 180(†) St. Nikolai 1567

Beschreibung

Epitaph für Margarete Schermer. Öl auf Holz.1) Im Jahr 1981 restauriert, dabei wegen beträchtlicher Schäden teilweise auch im Bereich der Inschriften erneuert.2) Heute am zweiten nördlichen Chorpfeiler in großer Höhe angebracht, zu Beginn des 20. Jahrhunderts im nördlichen Seitenschiff zwischen dem dritten und vierten Joch.3) Im Mittelfeld vor einem Ruinenhintergrund die Darstellung der Auferweckung des Lazarus. Dazu auf dem Gebälk die zentriert gemalte Inschrift A. Am unteren Rand des Bildfeldes ein kleiner Kruzifixus. Aus der Seitenwunde Christi läuft Blut in einen Kelch, der auf einer Art Altarmensa steht. Auf deren Wandung die Jahreszahl B. Rechts neben dem Kreuz die kniende Verstorbene mit drei Töchtern, links ihr Ehemann mit einem Sohn. Unter diesem von Halbpfeilern flankierten Mittelfeld in der Sockelzone des Epitaphs in drei Kolumnen die erneuerte Inschrift C,4) auf den Postamenten daneben links und rechts zwei gemalte Vollwappen. Der Aufsatz des Epitaphs zeigt dieselben Wappen im Relief. Gesimse und Rahmen sind marmoriert und goldfarben gefasst, die Halbpfeiler mit Arabesken verziert. Die Inschriften sind in Goldfarbe gemalt. Wo der aktuelle Befund sich vom rekonstruierbaren ursprünglichen Wortlaut unterscheidet, wird letzterem der Vorzug gegeben, der aktuelle Befund wird in Anmerkungen verzeichnet.

Maße: Br. 123 cm (Haselberg), H. 258 cm.

Schriftart(en): Fraktur (A), Kapitalis und griechische Buchstaben (C).

Jürgen Herold [1/2]

  1. A

    Jch bin die aufferstehung Vnd das Leben wer ‎/ an Mich gleubet der wird leben ob er gleich sturbe ‎/ Vnda) wer da lebet vnd gleubet an Mich wird ‎/ Nimermehr sterben5) iohansb) am xic)

  2. B

    ˑ 6ˑ7 ˑ

  3. C

    HAEC QVICVNQVE VIDES POSITI MONVMENTA SEPVLCRI. ‎/ QVO SVBSCRIPTA LEGAS CARMINA, SISTE GRADVM, ‎/ VT TER QVINQVE IERANT A NATO SAECVLA CHRISTO ‎/ CVM BIS SEX LVSTRIS QVINTVS ET VNVS ERAT ‎/ 5LVCEBATQVEd) DIES SEPTEMBRIS TERTIA MVNDO ‎/ SI QVOS EXACTE TEMPORA SCIRE IVVAT: ‎/ EXŸT E VIVIS IPSO SVB FLORE IVVENTAE ‎/FAEMINA FAEMINEI GLORIA CLARA CHORI ‎/ QVAE, QVIA VIRTVTVM SEMPER FLAGRAVIT AMORE. ‎/ 10RECTE MARGARIDOS NOMINE DICTA FVIT ˑ ‎/ A CELEBRI DVXIT GENERIS PRIMORDIA STIRPE. ‎/ HIC VBI STRALSVNDAE MAENIA CELSA NITENT. ‎/ EIVS, IOHANNES, GENITOR, COGNOMINE SCHERMER ‎/ PATRITIVS VERAE NOBILITATIS ERAT. ‎/ 15AMPLA BONIS ANIMI GENETRIX EVPHEMIA DICTA ‎/ WILMERSTORFORVM STEMMATE CRETA FVIT ˑ ‎/PRAEBVITe) HIS PATVLAS MARGRITA PARENTIB(VS) AVRES. ‎/ET MORES DIDICIT CVM PIETATE BONOS. ‎// ANNOS NATA DECEM SEPTEMQ(VE) LICENTER. HONESTO ‎/20Nικολεω STEVEN CONSOCIATA FVIT. ‎/CVM QVO BIS SENOS VIXIT CONCORDITER ANNOS ‎/QVATVOR (et)f) VIDIT PIGNORA PVLCRA TORI. ‎/ANNAM, Νικολεον CHRISTIANAM. MARGARIDENQVE ‎/QVOSg) VERI INSTRVXIT COGNITIONEh) DEI. ‎/25ANNA SED OCTIDVO PRAECESSIT FVNERA MATRIS ‎/PVRPVREO CHRISTI SANGVINE NIXA SVI ‎/AC VELVTI VERO DILEXIT AMORE MARITVM. ‎/SIC AB EO VERE SEMPER AMATA FVIT ‎/NEC FVIT AVCTA MODO FORMAE PRAESTANTIS HONORE, ‎/30SED SVMMIS ETIAM DOTIBVS AVCTA FVIT. ‎/AVDITO SANCTI REVERENTER DOGMATE VERBI. ‎/SE CHRISTI IVSTAM CREDIDIT ESSE λυτρω.6) ‎/ILLVD ET EXTERNIS REBVS FACTISQVE PROBAVIT, ‎/OFFICIOSA PVDENS, SEDVLA, CASTA FVIT. ‎/35RIXARVMQVE FVGAX. FASTVMQVE PEROSA SVPERBVM ‎/COMIS NATIVA CVM GRAVITATE FVIT. ‎/HINC IPSAMi) PROPERA SVBLATAM MORTE PROFVSIS. ‎/LACRŸMVLIS PARITER DIVES INOPSQVE DOLENT ‎// HINC EIVS PRAESTANS OMNI VIRTVTE MARITVS ‎/40PRAEMATVRA PIO FVNERA CORDE GEMIT. ‎/NAMQVEj) NOVEM TANTVM CVM LVSTRIS QVATVOR ANNOSk) ‎/ATTIGERAT,l) POSTQVAM MORTE SOLVTA FVIT. ‎/SED QVIA CHRISTE TIBI SIC EST MITISSIME VISVM, ‎/QVOD SVMMAMm) PLACIDO CLAVSIT AGONE DIEM. ‎/45VT DECET ID FORTI PREMIT ALTVM CORDE DOLOREM7) ‎/ATQVE SVI LVCTVS TALE LEVAMEN HABET. ‎/GAVDET EAM RVRSVS PAVLO POST OMNE PER AEVVM. ‎/CAPTVRAM IN VERO GAVDIA VERA DEO. ‎/HOC AVTEMn) VOLVIT POST FVNERA MOESTA SEPVLCRO ‎/50EIVS CVM MERITO CORPVS HONORE TEGI: ‎/ET CVPIT HOC TVMVLO CHARA CVM CONIVGE IVNCTVS ‎/POST HVIVS VITAE FATA ˑ QVIETE FRVI ˑ ‎/CAELESTI DONEC RVRSVS CLANGORE TVBARVM ‎/EXCITVS. OPTATI MIGRET AD ASTRA POLI. ‎/55AC IBI PER CHRISTVM NATIS ET CONIVGE CINCTVS ‎/AVREA PERPETVAE TEMPORA PACIS AGAT ˑ

Übersetzung:

(C) Wer auch immer du das hier gesetzte Grabmal siehst, bleib stehen, um die folgenden Verse zu lesen. Wie dreimal fünf Jahrhunderte seit Christi Geburt vergangen waren, als zu zweimal sechs Lustren (60 Jahren) das fünfte Jahr und eines kam und der Welt der dritte Tag des September leuchtete, wenn es jemanden freut, genau die Zeiten zu wissen: Da ging aus dem Leben mitten in der Blüte der Jugend eine Frau, die der helle Ruhm des Chors der Frauen war, die, weil sie immer in der Liebe zu den Tugenden brannte, rechtens mit dem Namen Margarete (Perle) benannt war. Von einem berühmten Geschlecht leitete sie die Anfänge ihrer Familie her; hier, wo die hohen Mauern von Stralsund glänzen. Ihr Vater war Johannes mit Zunamen Schermer, ein Patrizier von wahrem Adel. Reich an Geistesgaben war ihre Mutter, Euphemia genannt. Sie stammte aus dem Geschlecht der Wilmersdorf. Diesen Eltern bot Margarete offene Ohren und lernte gute Sitten und Frömmigkeit. Mit siebzehn Jahren wurde sie frohgemut mit dem angesehenen Nikolaus Steven verheiratet. Mit ihm lebte sie zweimal sechs Jahre einträchtig zusammen und sah vier schöne Unterpfänder ihrer Ehe, Anna, Nikolaus, Christina und Margarete, die sie in der Erkenntnis des wahren Gottes unterrichtete. Anna aber ging ihrer Mutter im Tode um acht Tage voraus, sich auf das purpurne Blut ihres Christus verlassend. Und wie sie in wahrer Liebe ihren Gatten liebte, so wurde sie wahrhaftig von ihm immer geliebt. Sie war nicht nur erhöht durch den Glanz hervorragender Schönheit, sondern auch durch höchste geistige Gaben ausgezeichnet. Durch demütiges Hören der Lehre des heiligen Wortes glaubte sie sich durch Christi Lösegeld gerechtfertigt. Dies bewies sie auch durch äußere Dinge und Taten. Pflichtbewusst, sittsam, eifrig, keusch war sie und Streitereien meidend, übermütigem Stolz abgeneigt, freundlich war sie mit angeborener Würde. Daher beweinten sie, als sie vom vorschnellen Tod dahingerafft wurde, mit strömenden Tränen gleichermaßen Reich und Arm. Daher beklagt ihr durch jede Tugend ausgezeichneter Ehemann ihren allzu frühen Tod mit frommem Herzen. Denn nur neun Jahre und vier Lustren (20 Jahre) hatte sie hinter sich gebracht, als sie vom Tod erlöst wurde. Aber weil es dir, gütigster Christus, so gefiel, dass sie ihren letzten Tag in friedlichem Tod beschloss, unterdrückt er, wie es sich gehört, den tiefen Schmerz mit tapferem Herzen und hat diese Linderung für seine Trauer: Er freut sich, dass sie wieder nach kurzer Zeit für die ganze Ewigkeit im wahren Gott wahre Freuden finden wird. Er wollte aber, dass ihr Leichnam nach ihrem traurigen Tod in diesem Grab mit verdienter Ehre bestattet wird, und er wünscht, dass er nach dem Ende dieses Lebens in diesem Grab, mit seiner lieben Ehefrau vereint, die himmlische Ruhe genießt, bis er wiederum, durch den Klang der Trompeten auferweckt, zu den Sternen des ersehnten Himmels wandert und dort durch Christus, von Kindern und Ehefrau umgeben, goldene Zeiten des ewigen Friedens verbringt.

Versmaß: Elegische Distichen (C).

Wappen:
StevenSchermer

Kommentar

Die Frakturinschrift A zeigt deutliche Spuren einer Erneuerung und ist daher für paläografische Beobachtungen nicht geeignet. Inschrift C, ebenfalls erneuert, bietet das überschwänglichste Frauenlob im Stralsunder Inschriftencorpus. Margarete Schermer († 3. September 1566)8) war die Ehefrau von Nikolaus Steven d. J., städtischer Secretarius und Sohn des gleichnamigen, 1555 verstorbenen Bürgermeisters (Kat.-Nr. 173). Ihre Eltern waren Johannes Schermer und Euphemia Wilmerstorf. Von ihren vier Kindern Anna, Nikolaus (Claus), Christina und Margarete starb Anna bereits im Kindesalter; Margarete selbst war bei ihrem Tod erst 29 Jahre alt. Das Epitaph wurde ein Jahr danach errichtet (B).

Textkritischer Apparat

  1. Vnd] denn Hs. 245.
  2. iohans] s verkleinert und hochgestellt.
  3. iohans am xi] Fehlt Hs. 245.
  4. LVCEBATQVE] Befund LVCEBATQE.
  5. PRAEBVIT] Befund PRAERVIT.
  6. Kursive et-Ligatur.
  7. QVOS] Befund QVAS; so auch der Wortlaut der kopialen Überlieferung.
  8. INSTRVXIT COGNITIONE] Befund COGNITIONE INSTRVXIT; Emendation aus metrischen Gründen zwingend.
  9. IPSAM] Emendation nach der kopialen Überlieferung; Befund IPSVM.
  10. NAMQVE] Befund NAMQE.
  11. ANNOS] Befund ANNAS.
  12. ATTIGERAT] Emendation nach der kopialen Überlieferung; ATLIGERAT Befund.
  13. SVMMAM] Summum Hs. 245.
  14. AVTEM] In diesem Bereich der erneuerten Inschrift ist die darunterliegende ursprüngliche Ausführung deutlich zu erkennen.

Anmerkungen

  1. Materialangabe nach Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 488.
  2. LAKD/AD, Akten Stralsund, St. Nikolai, Mappe 6, Schreiben vom 22.7.1981 und 26.8.1981. Vgl. dazu Anm. 4.
  3. StA Stralsund, Hs. 303, Bl. 15v; Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 488.
  4. Dass Inschrift C wohl vollständig erneuert wurde, zeigen die oft unsauberen Buchstabenkonturen sowie stellenweise unter den heutigen noch sichtbare Reste der ursprünglichen Buchstaben.
  5. Jh. 11,25f.
  6. Vgl. Mt. 20,28, Mc. 10,45.
  7. Vergil, Aeneis 1,209.
  8. Das in StA Stralsund, Hs. 365 (Dinnies, Stammtafeln 2), S. 111a, genannte Todesjahr 1565 ist zu korrigieren.

Nachweise

  1. StA Stralsund, Hs. 245, S. 5f. Nr. 7 (A, C).
  2. StA Stralsund, Hs. 341, Bl. 111r–v (A, C).
  3. StA Stralsund, Hs. 303, Bl. 15v–17v (C).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 180(†) (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0018003.