Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 177(†) St. Nikolai 1565, 1678

Beschreibung

Epitaph für den Stralsunder Reformator Christian Ketelhodt. Gemälde auf Holz. Im ersten Joch des südlichen Chorumgangsbereichs, an der Südwand rechts neben der Archivtür. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts an einem südlichen Langhauspfeiler gegenüber der Kanzel,1) im 18. Jahrhundert an einem nördlichen Pfeiler in Kanzelnähe.2) Im Jahr 1678 und später erneuert.3) Der Geistliche ist stehend als Ganzfigur im Talar dargestellt. In der rechten Hand hält er ein Buch, in der linken eine Schriftrolle. Inschrift A zu beiden Seiten seines Kopfes in hellen Buchstaben; unter dem Nachnamen ein Rankenornament. Inschrift B unter der Personendarstellung auf einer separaten Tafel. Dazwischen auf der Querleiste des Rahmens Inschrift C. Die Inschriften D, E und F, ehemals auf einer weiteren Tafel unterhalb von B,4) gingen während der Auslagerung des Epitaphs im Zweiten Weltkrieg verloren.5) Alle Inschriften sind gemalt.

Inschriften D und E nach Dähnert, Inschrift F nach Hs. 245.

Maße: H. 215 cm, Br. 104 cm. Bu. 2,5 cm (A), 1,6 cm (B, C).

Schriftart(en): Kapitalis (A) mit Versalien (B, C) und humanistische Minuskel mit Versal (C).

Jürgen Herold [1/2]

  1. A

    ˑ CHRISTIANVSa) ˑ ‎/ ˑ KETELHODT ˑ ‎/ ˑ 1ˑ5ˑ6ˑ5 ˑ

  2. B

    ANNO DOM(INI)b) ˑ M D XXIIIc) ˑ DEN SONDACH VOCEM IOCVNDITATIS ‎/ DEN ˑ X ˑ MAY ˑ HOFF HER CHRISTIANVS KETELHODT ALHIR THOM ‎/ SVNDE AN DAT H(ILLIGE)d) EVANGELION THO PREDIGENDE VP S(VNTE) IVRGENS ‎/ KARCHAVEe) VNDER DER LINDEN ˑ ‎/ IS IN GOTT ENTSLAPEN IM IAR ˑ M D XLVIf) ˑ DEN ˑ XXI ˑ IVLIg) ˑ

  3. C

    RENOVATVM : Anno ˑ 1678 : 8 ˑ IANVAR : die MEMORABILI ˑ

  4. D†

    Epitaphium reverendi Patris D(omini) Christiani Ketelhodt repurgatoris Ecclesiae Sundensis

  5. E†

    Quanquam Romulei foeda impostura BaalisLuserath) astu homines riserat artei) DeumAtque diu stolidum nugis deceperat orbemInque Stygis multos praecipitarat aquas5Illuxit miserante Deo lux vera salutisSicut post noctem lux tua Phoebe soletEt multis monstravit iter felicis OlympiDivinae infundens lumina sacra facisj)Ipsa quibus freti reserare palatia coeli10Ausi hominemk) monitis erudiere suisUt Doctore Deo Ketelhot nova lumina verbiSparsit ubi Strelae moenia Pontus obitUrbi Sundanae patefecit iterque salutisEt pepulit Papae primus ab urbe dolos15Mille ubi quingentos viginti tres simul annosMatre Deus Maria Virgine natus eratO nimium Felix domino o gratissima ChristoHaec si servarit munera Strela diuNec sine fruge novae doctrinae semina iecit20Sed multo fructu credita reddit agerAusonii quoniam penitus mendacia PapaeRespuit urbs cultus dogmata sacra dolosAc uni servire Deo vel credere ChristoAeternae didicit esse salutis iter25Tandem cum vigili Christi pavisset ovileOfficio cura voce labore fideEmeriti Deus ipse senis fidique MinistriFatali clausit lumina bina manu

  6. F†

    Za(charias) Orthus P(oeta) L(aureatus) F(ecit)

Übersetzung:

(B) Im Jahr des Herrn 1523 am Sonntag Vocem Iocunditatis, dem 10. Mai, begann Herr Christian Ketelhodt, hier in Stralsund auf dem Kirchhof von St. Jürgen unter der Linde das heilige Evangelium zu predigen. Er ist in Gott entschlafen im Jahr 1546 am 21. Juli.

(C) Erneuert im Jahr 1678 am 8. Januar, einem denkwürdigen Tag.

(D) Epitaph des ehrwürdigen Vaters Herrn Christian Ketelhodt, Erneuerer der Kirche von Stralsund.

(E) Obgleich der abscheuliche Betrug des Römischen Baal (des Papstes) mit List die Menschen hintergangen, Gott mit seinen Tricks verlacht und lange die törichte Welt mit Flausen betrogen und viele Menschen in die Wasser der Styx (Hölle) gestürzt hatte, erstrahlte durch Gottes Erbarmen das wahre Licht des Heils so wie nach der Nacht dein Licht, Phoebus (Sonne), (zu erstrahlen) pflegt und zeigte vielen den Weg zum glückseligen Olymp (Himmel), indem es heilige Funken der göttlichen Fackel in sie goss. Im Vertrauen auf dieses Licht wagten es (welche), sogar die Paläste des Himmels zu öffnen, und erzogen den Menschen durch ihre Mahnungen; wie zum Beispiel Ketelhodt durch Belehrung von Gott die neuen Lichter des (Gottes-)Wortes verbreitete, wo das Meer an Strelas Mauern stößt, und der Sund-Stadt den Weg zum Heil eröffnete und er als erster die Listen des Papstes aus der Stadt vertrieb, 1523 Jahre nachdem Gott von der Mutter Maria, der Jungfrau, geboren war. Oh überglückliche, oh dem Herrn Christus liebste Stadt, wenn Strela diese Geschenke nur lange bewahrt! Und nicht ohne Frucht säte er die Samen der neuen Lehre, sondern der Acker gab durch viel Ertrag das Anvertraute zurück, da die Stadt die Lügen des Ausonischen (römischen) Papstes gänzlich zurückwies, den Betrug des Kults und die heiligen Dogmen, und lernte, dass einzig Gott zu dienen und Christus zu glauben der Weg zum ewigen Heil ist. Endlich, nachdem er die Schafherde Christi mit wachsamem Pflichtbewusstsein, Sorge, Predigt, Mühe und Treue geweidet hatte, schloss Gott selbst beide Augen des ausgedienten alten Mannes und seines treuen Dieners mit den Tod besiegelnder Hand.

(F) Der gekrönte Dichter Zacharias Orth hat dies verfasst.

Versmaß: Elegische Distichen (E).

Kommentar

In der nicht erhaltenen Inschrift E werden alle Register antipäpstlicher lutherischer Polemik gezogen. Die Darstellung Christian Ketelhodts als Standfigur im schwarzen Talar orientiert sich an den ganzfigurigen Lutherbildern Lucas Cranachs d. J. Das Epitaph entstand Inschrift A zufolge, die möglicherweise noch im ursprünglichen Zustand vorliegt, knapp zwanzig Jahre nach dem Tod Ketelhodts (* vielleicht um 1492, † 21. Juli 1546 in Stralsund). Er war zunächst Chorherr des Prämonstratenserstifts Belbuck bei Treptow an der Rega (Białoboki, Polen), wo er Johannes Bugenhagen kennenlernte, und leitete auch die Treptower Stadtschule. Als Pfarrer von Stolp (Słupsk, Polen) wurde Ketelhodt wegen seiner reformatorischen Neigungen 1522 durch Herzog Bogislaw X. abgesetzt. Auf seinen nachfolgenden Wanderungen gelangte er 1523 nach Stralsund, wo er als ehemaliger Mönch erkannt und aufgefordert wurde, öffentlich zu predigen. Dies geschah zunächst außerhalb der Stadt am 10. Mai 1523 auf dem Kirchhof von St. Jürgen (B),6) am 1. Juni 1523 erstmals innerhalb der Stadtmauern. Die reformationsfeindliche Fraktion im städtischen Rat konnte kein Verbot dieser Predigten durchsetzen. Nach Unruhen, Protesten und Störungen von Gottesdiensten im weiteren Verlauf des Jahres 1523, die zur Einsetzung des lutherisch dominierten, bürgerschaftlichen 48er-Ausschusses führten, brach der Konflikt zwischen Altgläubigen und Reformationsanhängern offen aus und führte schließlich zum sog. Stralsunder Kirchenbrechen am 10. April 1525.7) Danach erhielten Christian Ketelhodt und sein Freund Johannes Kureke, ebenfalls früherer Chorherr in Belbuck, die Hauptpfarrstellen in St. Nikolai, Ketelhodt wurde darüber hinaus die Überwachung der neuen Kirchen- und Schulordnung übertragen. Im Jahr 1535 wurde er Superintendent von Stralsund.8) Bereits am 24. Juli 1524 hatte Ketelhodt die Tochter des Bürgers Detmar Röling geheiratet.

Zacharias Orth (F) aus Pommern, verstorben 1579 in Barth, war Latinist und Gräzist. Nach seinem Studium in Greifswald (seit 1550) und Rostock war er in Wittenberg tätig, seit 1559 Professor für Poesie und Geschichte in Greifswald.9) Er war in Rostock zum Poeta laureatus ernannt worden, übersetzte und publizierte Werke humanistischer Autoren und war auch selbst dichterisch tätig. Sein bekanntestes Werk ist ein Lob der Stadt Stralsund in lateinischen Versen (1562).10)

Textkritischer Apparat

  1. CHRISTIANVS] Davor H(er) Hs. 245, Hs. 303, Hs. 628.
  2. DOM(INI)] Fehlt Witzendorff, Dähnert.
  3. M D XXIII]1524 Witzendorff.
  4. H(ILLIGE)] Fehlt Dähnert.
  5. KARCHAVE] KARCHEN Befund. Emendiert nach der kopialen Überlieferung: Kirchhave Hs. 245, karchave Hs. 303, Hs. 628, Haselberg; Kirchhoeff Witzendorff. Auch inhaltlich macht der heutige Wortlaut der Inschrift, die Predigten Ketelhodts hätten in einer Kirche unter der Linde stattgefunden, wenig Sinn.
  6. M D XLVI]1564 Witzendorff.
  7. IS IN GOTT ... IVLI] Mortuus est A(nno) C(hristi) 1564 D(ie) 21. Julii Witzendorff.
  8. Luserat] Lusebat Hs. 245.
  9. arte] ante Lobes.
  10. facis] Pacis Lobes.
  11. hominem] hominum Lobes, Hs. 245.

Anmerkungen

  1. Uhsemann, Nikolaikirche, S. 59; Hagemeister, Nikolaikirche, S. 35.
  2. StA Stralsund, Hs. 245, S. 164.
  3. Die Bildtafel wurde großflächig erneuert, die Beischrift A scheint jedoch freigekratzt, also im ursprünglichen Zustand erhalten zu sein. Die Schrifttafel mit Inschrift B ist wohl als Resultat einer Erneuerung des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts anzusehen (Auskunft Burkhard Kunkel, Stralsund, 16.6.2011).
  4. Nach Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 518; StA Stralsund, Hs. 628, Bl. 80v.
  5. LAKD/AD, Akten Stralsund, St. Nikolai, Mappe 1 (1896–1946), Bl. 157: Abschrift der Empfangsbestätigung für Kunstgegenstände aus St. Nikolai, die am 12. Mai 1942 in das Schloss Putbus ausgelagert wurden.
  6. Zum Ort der Ketelhodtschen Predigten, dem Kirchhof von St. Jürgen, wo man offenbar eine Kanzel errichtet hatte, vgl. Uckeley, Werdegang, S. 50 mit Anm. 2; Wehrmann, Ketelhut, S. 40.
  7. Zur Vorgeschichte und zum Ablauf der Reformation in Stralsund vgl. zuletzt Veltmann, Reformation in Hansestädten, S. 149–152; auch Troßbach, Unterschiede, S. 122–142. Bei Schnitzler, Kirchenbruch, passim, und Kunkel, Werk, S. 127–131, liegt der Schwerpunkt auf ikonoklastischen Aspekten.
  8. Biografische Angaben nach Theodor Pyl, ‚Ketelhodt, Christian‘, in: ADB 15 (1882), S. 666f. (Onlinefassung, 22.6.2011); Uckeley, Werdegang, S. 35–39; Heyden, Wolgast, S. 102; vgl. auch Berwinkel, Weltliche Macht, S. 196.
  9. Ältere Matrikel Greifswald 1, S. 231 (Immatrikulation am 5. Mai 1550, als Grypheswaldensis bezeichnet); S. 256, 258, 266 (1559 und 1561, Erwähnung als Professor, auf S. 258 als poeta laureatus Sundensis bezeichnet). Weitere Nachweise ebd., S. 267, 278 (1561, Weggang nach Schweden). – Matrikel Rostock 2, S. 131 (1555, Immatrikulation als Neobrandenburgensis), S. 136 (1557, Ernennung zum Baccalaureus und Magister).
  10. Biografische Daten, wo nicht anders nachgewiesen, nach Theodor Pyl, ‚Orth, Zacharias‘, in: ADB 24, S. 443–445 (Onlinefassung, 22.6.2011); Kosegarten, Universität 1, S. 205. Ein Inventar des Orthschen Nachlasses wird im Stadtarchiv Stralsund aufbewahrt (StA Stralsund, Rep. 3 Nr. 5057); nach Stadtarchiv Stralsund, Online-Recherche (22.6.2011).

Nachweise

  1. Witzendorff, Wegweiser, S. 62 (B).
  2. Lobes, Reformations-Werck, S. 42f. (E).
  3. StA Stralsund, Hs. 245, S. 28f. Nr. 35 (B, D, E).
  4. Dähnert, Denkmale, S. 322f. (B, D, E).
  5. StA Stralsund, Hs. 303, Bl. 60v–61v.
  6. Schattschneider, Pickenhan, Rugia me genuit, Bl. 80v (A, B, F).
  7. Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 518 (B).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 177(†) (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0017706.