Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 172 St. Nikolai 1555

Beschreibung

Totenschild für den Bürgermeister Christoph Lorbeer. Eichenholz, geschnitzt und farbig gefasst. Am dritten südlichen Chorpfeiler in großer Höhe angebracht. Auf der quadratischen Holztafel ein Wappenschild im Flachrelief umgeben von Blattwerk. Darüber die skulptierte Helmzier, unter dem Wappenschild ein vierzeiliges Schriftfeld. Gegenstück zum Totenschild für Nikolaus Steven (Kat.-Nr. 173). Beide wurden Ende des 19. Jahrhunderts „ausgebessert, wieder ergänzt und nach den noch erkennbaren Farben neu bemalt“.1) Die Inschrift ist erhaben geschnitzt und farbig gefasst. I mit Punkt.

Maße: H. ca. 190 cm, Br. ca. 110 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Jürgen Herold [1/1]

  1. ANNO ˑ DOMINI ˑ 1555 ˑ IN ˑ DIE ˑ GALLI ˑ ‎/ OBIIT ˑ DOMINVS ˑ CHRISTOPHORVS ˑ ‎/ LORBER ˑ PROCONSVL ˑ SVNDENSIS ˑ CV=‎/IVS ˑ ANIMA ˑ REQVIESCATa) ˑ IN ˑ PACE ˑ

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1555 am Tag des (heiligen) Gallus (16. Oktober) starb Herr Christoph Lorbeer, Bürgermeister von Stralsund. Seine Seele ruhe in Frieden.

Wappen:
Lorbeer

Kommentar

Die Inschrift weist durchgängig retrogrades N mit kleinem Halbnodus am Schrägschaft auf. A ist mit gebrochenem Mittelbalken, M mit Schrägschäften und nur bis zur Zeilenmitte reichendem Mittelteil, O als schmales Oval gestaltet. Trotz einiger Unterschiede ist zu erkennen, dass die Inschrift aus derselben Werkstatt wie diejenige auf dem Totenschild für Nikolaus Steven (Kat.-Nr. 173) stammt. Das Formular der Sterbeinschrift mit ‚Anno-domini‘-Beginn und Heiligendatierung des Todestages entspricht mittelalterlichem Usus, der über Stralsund hinaus bis weit nach der Reformation beibehalten wurde. Totenschilde sind eine ursprünglich Mitgliedern des Adels vorbehaltene Grabmalsart, die im 16. Jahrhundert auch von Mitgliedern städtischer Führungsschichten übernommen wurde.

Christoph Lorbeer, seit 1507 Ratsmitglied, wurde 1524 vom sog. 48er-Gremium zum Bürgermeister gewählt.2) Er vertrat Stralsund mehrfach auf Hansetagen, war Provisor des Heilgeist-Hospitals sowie der Güter des früheren Kartäuserklosters Marienehe in Rostock und bewohnte ein Haus in der Badenstraße. Seine Eltern waren Olaf Lorbeer d. Ä., Altermann des Gewandhauses und Provisor von St. Nikolai, und Gertrud, Tochter von Blasius Schwarte. Aus seiner Ehe mit Gertrud († vor 1565), Tochter des Bürgermeisters Sabel Oseborn, stammten die Söhne Olaf d. J. und Sabel. Als Bürgermeister stand Christoph Lorbeer im Zentrum der politisch-reformatorischen Unruhen in Stralsund, was sich auch in teilweise konträren zeitgenössischen Urteilen über seine Persönlichkeit und Amtsführung niederschlägt.3)

Textkritischer Apparat

  1. REQVIESCAT] PIE QVIESCAT Hs. 245; PIA QVIESCAT Dähnert.

Anmerkungen

  1. Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 487.
  2. Vgl. zu diesen Ereignissen Kat.-Nr. 177.
  3. Biografische Angaben nach StA Stralsund, Hs. 359 (Dinnies, Verzeichnis 1), S. 553–563; StA Stralsund, Hs. 365 (Dinnies, Stammtafeln 2), S. 87a–88; vgl. auch Berwinkel, Weltliche Macht, S. 198.

Nachweise

  1. StA Stralsund, Hs. 245, S. 39 Nr. 45.
  2. Dähnert, Denkmale, S. 324.
  3. StA Stralsund, Hs. 359 (Dinnies, Verzeichnis 1), S. 562.
  4. StA Stralsund, Hs. 341, Bl. 107v.
  5. StA Stralsund, Hs. 303, Bl. 68v.
  6. StA Stralsund, Hs. 628, Bl. 81r.
  7. Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 487 (teilweise).
  8. Zaske, Kirchen Stralsunds, Abb. 61.

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 172 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0017201.