Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 139 Stralsund Museum 1522 o. früher

Beschreibung

Wangenstein.1) Kalkstein. Im östlichen Kreuzganghof des Museums angebracht, der Länge nach geteilt und durch Mörtel wieder zusammengefügt, dadurch Schriftverlust. Laut Haselberg wurde der Stein um 1890 gefunden, die Teilstücke waren bis dahin als Treppenstufen genutzt worden. Der Wangenstein stammt wahrscheinlich vom Haus Mönchstr. 23.2) Im oberen Bereich des Steins ein Wappenschild im Relief, zu beiden Seiten Kordeln mit je sechs Quasten. Der obere Rand des Steins fehlt. Unter dem Wappenschild auf einer Schriftrolle die erhaben ausgehauene Inschrift, der Versal zwei Zeilen hoch; nach verbo ein Ornament als Zeilenfüller.

Maße: Br. 60,5 cm, H. 167 cm. Bu. 5,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versal.

Jürgen Herold [1/2]

  1. Justicia[m] exerce ˑ ‎/ re e[t v]erbo3)

Übersetzung:

Übe Gerechtigkeit in der Sache und im Wort.

Wappen:
Wardenberg

Kommentar

Die Inschrift, in einer Spätform der gotischen Minuskel mit einem cadellenartigen Versal ausgeführt, stammt aus derselben Werkstatt wie der Stein Kat.-Nr. 136 (1519 oder später). Dies zeigen neben den ähnlich gestalteten Versalien auch Schriftdetails wie Bogen-r neben Schaft-r, das einen hochgebogenen Zierstrich an der Fahne aufweist, e mit einem am unteren Teil des gebrochenen Bogens ansetzenden Zierhäkchen sowie nach außen abgeschrägte Schaftenden bei u. Über dem Wappen Wardenberg ist der Hut eines Apostolischen Protonotars mit beiderseits herabhängenden Kordeln und je sechs Quasten zu sehen. Diese Insignien sind Bestandteil des Prunkwappens geistlicher Würdenträger. Das Haus Mönchstr. 23 bewohnte der Apostolische Protonotar Dr. Zutfeld Wardenberg, der im Sommer 1522 Stralsund verließ und seine Reise nach Rom antrat.4) Möglicherweise handelte es sich bei dem genannten Haus nicht um ein Privathaus, sondern um den Stralsunder Amtssitz Wardenbergs.5)

Zutfeld Wardenberg war der Sohn des Ratsmitglieds (seit 1482) und späteren Bürgermeisters Henning Wardenberg und der Margareta (vgl. Kat.-Nr. 131).6) Er studierte seit 1489 zunächst in Rostock die Artes und seit 1497 in Köln an der Juristenfakultät. Nach einem kurzen Aufenthalt 1509 in Greifswald, wo er sich als Doktor des kanonischen Rechts und Dekan von St. Caecilien in Güstrow (Ldkr. Rostock) immatrikulierte,7) wurde er nach Rom berufen. Als Apostolischer Protonotar war er in Stralsunder, aber auch in kaiserlichen Rechtsangelegenheiten tätig. Wardenberg amtierte auch als Dekan des Domstifts in Schwerin sowie als Propst der Stiftskirche von Bützow (Ldkr. Rostock). Später kehrte er zurück ins Bistum Schwerin und verwaltete dieses seit 1516; zugleich übte er die Funktionen eines bischöflichen Offizials und Archidiakons von Tribsees (Ldkr. Vorpommern-Rügen) aus, wohnte aber in Stralsund. Alle diese Funktionen belegen seine Nähe zum mecklenburgischen Herzogshaus. Da Zutfeld Wardenberg in Stralsund Übergriffe der geistlichen Gerichtsbarkeit zur Last gelegt wurden, verließ er die Stadt und kam schließlich während der Plünderung Roms 1527 ums Leben.

Anmerkungen

  1. Stralsund Museum, Inv.-Nr. 1891:0018.
  2. Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 458.
  3. Hier scheint es sich um einen Spruch aus einer lateinischen Übersetzung der Pythagoras zugeschriebenen, ursprünglich griechischen Sammlung von Lebensregeln zu handeln. Vgl. etwa den Druck Pythagoras, Carmen aureum, Dicta septem sapientium Graeciae. Lateinische Übersetzung von Wilhelmus Raimundus, [Köln: Johann Guldenschaff, um 1485], s. Gesamtkatalog der Wiegendrucke, GW M36706; dazu http://diglib.hab.de/wdb.php?dir=inkunabeln/79-quod-3 (3.12.2010): Justiciam verbis et factis iusta sequere.
  4. Der ursprüngliche Standort des Wangensteins und die Identifizierung des Hausbesitzers nach Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 458. Die Angabe, Wardenberg habe im Sommer 1522 Stralsund verlassen, beruht auf einem schon unterwegs am 10. August 1522 an den mecklenburgischen Herzog verfassten Brief; vgl. Lisch, Brief-Sammlung, S. 171f. (Für den freundlichen Hinweis auf diesen Brief am 18. September 2015 danke ich Andreas Röpcke, Schwerin).
  5. Vgl. Lusiardi, Stiftung, S. 207f. Anm. 75.
  6. Biografische Angaben über die Universitätslaufbahn Wardenbergs hinaus nach Theodor Pyl, ‚Wardenberg, Zutfeld‘, in: ADB 41 (1896), S. 166f. (Onlinefassung, 9.10.2014); zu Zutfeld Wardenberg vgl. auch StA Stralsund, Hs. 359 (Dinnies, Verzeichnis 1), S. 476–479; StA Stralsund, Hs. 365 (Dinnies, Stammtafeln 2), S. 62a–63.
  7. Akademische Laufbahn nach ‚Zutfeld Wardenberg (ID: -108133654)‘, in: RAG, 9.10.2014. In Greifswald wird Wardenberg erneut im Jahr 1517 erwähnt (Ältere Matrikel Greifswald 1, S. 181).

Nachweise

  1. Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 458.

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 139 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0013903.