Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 118 Stralsund Museum 15.Jh.

Beschreibung

Korporale.1) Seidenstickerei auf Leinen. Aus dem sog. Kalandsschrank im Rathaus 1862 ins Museum gelangt. Querrechteckig, auf hellem Leinen rote und schwarze Seidenstickerei, wenig Goldstickerei. Einzelne kleine Brandlöcher, in den vier Ecken versäuberte kleine Löcher zur Befestigung des Tuchs. In der Mitte unter einem mit Lilien verzierten Bogen Christus am Kreuz mit dem Titulus A, unter dem Kreuz Maria und Johannes. Noch innerhalb des Rahmens über dem Kreuz der ausgeschriebene, zweizeilige Titulus B, zu beiden Seiten von Maria und Johannes die senkrecht verlaufende, zweiteilige Inschrift C. Außerhalb des Rahmens abwechselnd Evangelistensymbole mit den Namenbeischriften D in kleinen Schriftbändern sowie vier größere Schriftbänder mit Inschrift E. Inschrift F zwischen begrenzenden Linien umlaufend und beginnend in der linken oberen Ecke. Alle Inschriften sind in rotem und schwarzem Kreuzstich so gestickt, dass alle zwei oder drei Buchstaben die Farbe wechselt. Inschrift F weist i-Punkte und u-Bögen auf.

Maße: Br. 85 cm, H. 58 cm. Bu. 0,5 cm (A), 1,9 cm (B), 0,8 cm (C), 0,8 cm (D), 2,1 cm (E), 2–2,2 cm (F).

Schriftart(en): Gotische Majuskel (C) und gotische Minuskel (A, D); gotische Minuskel (B, F) mit Versal in gotischer Majuskel (E).

Jürgen Herold [1/1]

  1. A

    I(ESUS) N(AZARENUS) r(ex) I(UDEORUM)2)

  2. B

    (ihesus)a) na(zarenus) rex ‎/ iude‎//oru(m)3)

  3. C

    O CRVX AVE ‎// SPES VNICA4)

  4. D

    S(ANCTVS) MATEVSb) ‎// S(ANCTVS) IoHANNeS ‎// S(ANCTVS) LVCAS ‎// S(ANCTVS) MARCVS

  5. E

    Jhesus ˑ ‎// (christus)c) ˑ ‎// nostra ‎// salus5)

  6. F

    discubuit ihesus et discipuli ei(us) cu(m) eo et ait desiderio desideraui hoc pasca ma(n)duca‎/red) vobiscu(m) antequa(m) paciare) et accepto pane ˑ ‎/ gracias agens fregit et dedit illis dicens hoc est corpus meu(m)6) fecit assue‎/rus grande conuiuiu(m) cunctis principibus7)

Übersetzung:

(C) Oh Kreuz, sei gegrüßt, einzige Hoffnung.

(E) Jesus Christus, unser Heil.

(F) Jesus setzte sich zu Tisch und seine Jünger mit ihm und er sagte: „Ich habe ein Verlangen verspürt, dieses Pessachmahl mit euch zu essen, bevor ich leide.“ Und er nahm das Brot, dankte, teilte es, gab es ihnen und sprach: „Dies ist mein Leib.“ – Ahasver gab ein großes Fest für alle Fürsten.

Kommentar

Der waagerecht abgeknickte obere Bogenabschnitt von Schaft-s ist besonders ausgeprägt; die Zierstriche am r-Quadrangel sind unten gebogen, am t-Balken nur strichförmig. In Inschrift C weist A einen beidseitig überstehenden Deckbalken auf, C und unziales E ohne Abschlussstrich, O ist rautenförmig gestaltet, P oben nicht geschlossen.

Die Faltengebung der Gewänder von Maria und Johannes sowie der Christustyp mit eng anliegendem Lendentuch legen eine kunsthistorische Einordnung des Tuches in das 15. Jahrhundert nahe.8) Das Korporale9) liegt während der Messfeier auf dem Altar und dient als Unterlage für Kelch und Patene. Entsprechend stehen die Inschriften im Zusammenhang mit dem Kreuzestod Christi (A–C) und dem davor begangenen Letzten Abendmahl (F), wobei die Einsetzungsworte bezüglich des Weins in Inschrift F fehlen. Die Evangelistenymbole und -namen (D) stehen für die Übermittler der Leidensgeschichte Christi, deren Heilswirkung der Hymnenanfang E zusammenfasst. Am Ende von Inschrift F wird das Gastmahl des Königs Ahasver als alttestamentliche Präfiguration des Letzten Abendmahls aufgerufen.

Textkritischer Apparat

  1. (ihesus)] ihc, auf h Kürzungszeichen.
  2. MATEVS] V kleiner ausgeführt als die übrigen Buchstaben, möglicherweise auch U.
  3. (christus)] xpc, auf p Kürzungszeichen.
  4. ma(n)duca‎/re] a am Zeilenende aus Platzgründen auf zwei Quadrangeln (cc-a) reduziert.
  5. paciar] Statt patiar.

Anmerkungen

  1. Stralsund Museum, Inv.-Nr. 1862:0046.
  2. Io. 19,19.
  3. Wie Anm. 2.
  4. Beginn einer Hymnenstrophe, mehrfach überliefert; zur geläufigsten Fassung vgl. Analecta Hymnica 2, S. 45 Nr. 42; Bd. 43, S. 55 Nr. 86; Bd. 50, S. 74f. Nr. 67(2): O crux, ave, spes unica, Hoc passionis tempore, Auge piis iustitiam, Reisque dona veniam.
  5. Beginn eines Hymnus, der Jan Hus zugeschrieben wird; vgl. Analecta Hymnica 45, S. 2105 Nr. 125 (1. Strophe: Iesus Christus, nostra salus, Quod reclamat omnis malus, Nobis sui memoriam, Dedit in carnis hostiam).
  6. Vgl. Lc. 22,14f. und 19.
  7. Est. 1,3.
  8. Vgl. Fircks, Gewänder, S. 346
  9. Gegen die Deutung des Tuches als Substratorium (Fircks, Gewänder, Nr. 39) spricht die Tatsache, dass Substratorien üblicherweise an einer Kante Fransen oder eine besonders dekorative Borte aufweisen, weil sie mit dieser Seite von der Altarmensa herunterhängen. Vgl. Mannowsky, Paramentenschatz, S. 31, dazu die Nr. 297–323.

Nachweise

  1. Fircks, Gewänder, Nr. 39 (mit Abb. S. 344, 347, 348).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 118 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0011807.