Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 104 Stralsund Museum E.15.Jh.

Beschreibung

Antependium.1) Braunes Leinen, bestickt und mit Applikationen. Unteres Ende ausgerissen. Das Antependium stammt aus dem Birgittenkloster Marienkron.2) Im Mittelfeld unter einem Baldachin Jakobus d. J. mit der Walkerstange.3) Links und rechts je zwei geneigte Wappenschilde in Tartschenform, aufgehängt an kurzen Aststücken; darin links ein rotes Kreuz und ein Kelch, rechts eine Krone und ein weißes Kreuz mit fünf Punkten, zu verstehen als ordens- bzw. konventsspezifische Wappen. Dazwischen und darüber mit Goldfäden gestickte und applizierte Ranken und Blüten. Am oberen Rand des Antependiums das Schriftband mit den aus hellem Leinenstoff applizierten Buchstaben. Der erste Buchstabe ist mit Ranken bestickt. Worttrenner in Form von Quadrangeln mit oben und unten eingerollten Zierstrichen.

Maße: Br. 151 cm, H. ca. 76 cm. Bu. 8,2 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Jürgen Herold [1/6]

  1. O Q(VAM)a) METVENDVS ˑ EST ˑ LOCVS ˑ ISTE4) ˑ

Übersetzung:

Oh, wie ist dieser Ort zu fürchten.

Wappen:
Birgittenorden

Kommentar

Die aufgenähten Buchstaben der Inschrift sind einfach und in breiter, nur geringfügig variierender Strichstärke gestaltet. Unziales D, N mit ausgebuchteter Schräghaste, vor allem aber kapitales M mit schrägen Hasten, dessen Mittelteil in der Zeilenmitte endet, gehören zum Formenkanon der frühhumanistischen Kapitalis, die im Norden des Reichs seit etwa 1480 bis um 1530, gelegentlich auch darüber hinaus, gebräuchlich war.5) Verglichen mit gestickten oder gemalten späten gotischen Majuskeln fällt das völlige Fehlen von Zierelementen wie abgeschlossenen Buchstabenformen, Bogenschwellungen und Sporen auf,6) stattdessen sind Schaft- und Balkenenden verbreitert. C, O und Q sind mit gerader Innenkontur ausgeführt, L mit einem keilförmigen Balkensporn. Das unziale E erinnert an die gotische Majuskel, ist auf dem Antependium aber offen gestaltet.

Haselberg zufolge stammt das Antependium aus dem Kloster St. Annen und Birgitten,7) das erst um 1560 durch die Zusammenlegung des St. Annenhauses mit dem Birgittenkloster Marienkron entstand. Das Antependium ist deutlich älter und lässt sich vor allem aufgrund des Devotionswappens auf der rechten Seite dem Birgittenorden zuweisen: ein Kreuz mit fünf roten Punkten. Zum Nonnenhabit dieses Ordens gehörte eine Krone aus Leinenbändern mit fünf roten Punkten für die Wundmale Christi. Dieses und ein schlichtes Kreuz sowie eine Krone sind auch Attribute der heiligen Birgitta von Schweden.8) Das 1421 in Stralsund gegründete Birgittenkloster wurde in mehreren Schritten auf- und umgebaut; für das Jahr 1470 ist die Weihe, für 1474 der Abschluss eines Neubaus bezeugt.9) Dafür, dass das Antependium in diesem größeren Zusammenhang angefertigt wurde, könnte die für die Inschrift gewählte Antiphon sprechen, die zur Liturgie von Kirch- und Grundsteinweihen gehört. In diesem Fall wäre die Inschrift ein früher Beleg für die Ausbreitung der frühhumanistischen Kapitalis. Die Heiligendarstellung könnte darauf hindeuten, dass das Antependium für einen Jakobusaltar angefertigt wurde.

Textkritischer Apparat

  1. Kürzung in Form zweier Quadrangeln über der Zeile (cc-a) gefolgt von einem Schluss-m bestehend aus Quadrangel und Bogen.

Anmerkungen

  1. Stralsund Museum, Inv.-Nr. 1879:0720.
  2. Vgl. den Kommentar.
  3. Die Figur wird von Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 460, irrtümlich als Christus gedeutet.
  4. Antiphon zur Weihe (des Grundsteins) einer Kirche: O quam metuendus est locus iste: vere non est hic aliud, nisi domus Dei et porta caeli; vgl. Digital Library of the Catholic Reformation (Online-Ressource, 11.4.2012), Pontificale Romanum (1595), Pars secunda, S. 292f., 312.
  5. Da für Mecklenburg-Vorpommern weiträumige Beobachtungen zum Auftreten der frühhumanistischen Kapitalis noch fehlen, werden hier die für Niedersachsen erhobenen Daten zugrunde gelegt; vgl. etwa DI 88 (Landkreis Hildesheim), S. 41.
  6. Vgl. etwa DI 24 (Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne), Banklaken, Nr. 45 (1492) mit Abb. 26–30; Weihnachtsteppich, Nr. 57 (1500) mit Abb. 40–48.
  7. Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 459.
  8. Vgl. Vincent Mayr, Birgitta von Schweden, in: LCI 5, Sp. 400–403, hier Sp. 401.
  9. Hoogeweg, Klöster 2, S. 728

Nachweise

  1. Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 459f.
  2. Hoffmann, Stralsund, S. 113 Abb. 2.

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 104 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0010403.