Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 43(†) St. Marien 1411 o. später

Beschreibung

Gewölbemalerei. Im südlichen Seitenschiff (A–C), in daran angrenzenden Jochen und Bogenlaibungen des südlichen Querhauses (D–H) sowie im nördlichen Seitenschiff (I–M). Die Malereien wurden zwischen 1938 und 1941 durch den Kirchenmaler Hoffmann freigelegt und großflächig überarbeitet.1) Eine erneute, umfangreiche Restaurierung erfolgte seit 2004. Ihr Ziel war die Wiederherstellung der Hoffmannschen Fassung, die als ungewöhnlich qualitätvoll erachtet wurde.2) Dadurch blieben jedoch auch die in den dreißiger Jahren offensichtlich vielfach sinnfrei erneuerten Spruchbänder erhalten.3) Von den ehemals zahlreichen Kürzungszeichen sind nur noch wenige vorhanden. Daher lassen sich die ursprünglich gemeinten Einzelbuchstaben oft nicht eindeutig identifizieren; in einem Fall (E1) zeigt ein historisches Foto mehr von der Hoffmannschen Fassung, als heute noch zu erkennen ist. Gelegentlich ist nicht einmal die Leserichtung von Spruchbändern eindeutig festzustellen.4) Auch die Unterscheidung von verschiedenen Ausmalungsphasen ist aufgrund des heutigen Zustands der Malereien nicht sicher möglich. Die unterschiedliche Figurenkonzeption – Büsten und kurze Spruchbänder im südlichen Seitenschiff, Halbfiguren mit längeren Spruchbändern im nördlichen Seitenschiff – deutet darauf hin, dass mindestens zwei Ausmalungskampagnen erfolgten.

In den Zwickeln von drei Jochen des südlichen Seitenschiffs und von zwei sich daran anschließenden Jochen des südlichen Querhauses Köpfe mit dreizehn noch zu erkennenden Spruchbändern (A–E): im dritten Joch von West nach Ost5) ein Geistlicher mit Tonsur (A1), ein Mann mit einem Haarband(?, A2), im vierten Joch ein weiterer mit einer spitzen Mütze (B1), ein Bischof (B2), ein Mann mit Blumen im Haar (?, B3), ein weiterer mit einer Krone(?, B4), im fünften Joch zwei Männer im Profil mit Birett (C1) und mit Turban (C2), ein Mann mit einer Kappe mit Band(?, C3). Im sich daran anschließenden Querhausjoch ein weiterer Mann mit einem um den Kopf gewickelten Tuch (D), im südlichsten Querhausjoch ein König mit Bügelkrone (E1), ein Mann mit spitzem Hut (E2) sowie schließlich eine Frau mit einer Getreidegarbe (E3). Das Spruchband zu einem weiteren Kopf im südlichsten Joch des Südquerhauses ist nicht erhalten.

In der nördlichen (F1–F2) und östlichen Laibung (G) des an das südliche Seitenschiff anschließenden Querhausjochs sowie in der östlichen Laibung des südlichsten Querhausjochs (H1–H4) jeweils sechs Brustfiguren von Propheten, die von rautenförmigen Rahmen und geometrischer Ornamentik umgeben sind, mit teilweise gänzlich übermalten, teilweise nicht mehr sinnvoll lesbaren, weil unsachgemäß ergänzten Spruchbändern.

In den Zwickeln von vier Jochen des nördlichen Seitenschiffs Halbfiguren von Männern und Engeln mit zwölf noch erkennbaren Spruchbändern (I–L). Der Buchstabe M oberhalb des Spruchbandes L3. Alle Inschriften sind gemalt.

Inschrift E1 ergänzt nach LAKD/AD, Restaurierungsdokumentationen, Nr. 284.

Schriftart(en): Gotische Majuskel (M); gotische Minuskel (A, B, C, D, E, F, G) mit Versalien (H, I, J, K, L).

Jürgen Herold [1/10]

  1. A1

    her ˑ kalybe

  2. A2

    therrequast ˑ

  3. B1

    ˑ wy(n)kob

  4. B2

    ˑ pax ˑ vobisa) ˑ

  5. B3

    ˑ zychb) ˑ vt

  6. B4

    di ˑ hen ˑ

  7. C1

    war ˑ hel ˑ

  8. C2

    yk ˑ doet ˑ

  9. C3

    bade hel ˑ ok sel

  10. D

    [..] ˑ ba ˑ sta ˑ

  11. E1

    [.]ol ˑ v[.] ˑ mit ˑ vroude

  12. E2

    ˑ make ˑ gut di(n)k ˑ

  13. E3

    et ˑ vale ˑ

  14. F1

    [– – –] ˑ aius

  15. F2

    [– – –] dicit

  16. G

    dsehvtis edorosec) orr[..]

  17. H1

    abies ˑ der ˑ

  18. H2

    ˑ lebedegh ˑ iklmeoh ˑ [.]lmrltwlkied) ˑ

  19. H3

    ˑ csemo ˑ ladei ˑ tomfvm ˑ rmi ˑ

  20. H4

    ˑ Blew ˑ oldest ˑ mosei ˑ

  21. I1

    ˑ Oess ˑ Bede ˑ h[...] ˑ we ˑ

  22. I2

    ˑ [...] sach ˑ Boe ˑ

  23. I3

    ˑ Bel ˑ ˑ abela ˑ he ˑ

  24. J1

    Mie ˑ seid ˑ [– – –]i ˑ Caboi ˑ

  25. J2

    ˑ Bealo ˑ Obiel ˑ ololee) ˑ

  26. K1

    ˑ be[– – –] ˑ [– – –] ˑ

  27. K2

    Christ ei Vhrn [....]

  28. L1

    [– – –]f) B[..] ˑ [– – –] ˑ [– – –] ˑ

  29. L2

    Bu[..]e[...] ˑ [..] ˑ [......] ˑ [.....] ˑ um ˑ

  30. L3

    [...] ˑ mxt ˑ ur[.] ˑ [....] ˑ ˑ

  31. L4

    ˑ Sanctus ˑ S[....] ˑ S[....]g) ˑ

  32. M

    E

Übersetzung:

(B2) Friede sei mit euch!

(E3) Und lebe wohl!

(F2) (...) sagt.

(L4) Heilig (...).

Kommentar

Die Ausmalung der Gewölbe muss nach dem Bauabschluss im Jahr 1411 erfolgt sein.6) Der heutige Befund der Spruchbänder ist wohl so zu deuten, dass die Inschriften sowohl in lateinischer (B2, E3, F2, J2 und L4) als auch in niederdeutscher Sprache (B1, B3, C1, C2 und E2) ausgeführt waren. Die Aussage des Inschriftenprogramms insgesamt lässt sich nicht mehr erschließen.7)

Textkritischer Apparat

  1. vobis] Vobiscum Zaske.
  2. zych] auch Berckenhagen.
  3. edorose] Vielleicht ursprünglich edocere.
  4. Ale erstes Wort dieses Spruchbandes ursprünglich vielleicht ‚lebendig‘, als letztes Wort möglicherweise ‚allmächtig‘.
  5. Vielleicht ursprünglich Beato [.....] glo(r)ie.
  6. Die von Berckenhagen gelesenen Buchstaben her sind nicht mehr vorhanden.
  7. Ursprünglich vielleicht dreimal Sanctus, möglicherweise auch gekürzt; Beginn des liturgischen Sanctus Sanctus Sanctus dominus deus Sabaoth.

Anmerkungen

  1. Die Jahresangaben nach LAKD/AD, Restaurierungsdokumentationen, Nr. 284: Björn Scheewe, St. Marienkirche. Malerei der Seitenschiff- und Kapellengewölbe. Restauratorische Voruntersuchung im vierten Joch des Langhauses, Untersuchungsbericht, Stralsund 2007, S. 5. Vgl. zu den Hoffmannschen Arbeiten auch Viering, Denkmalpflege, S. 345.
  2. Angaben zur jüngsten Restaurierung der Hoffmannschen Fassung bei Kuhnert, St. Marien (2004/2005), S. 131–133; Kuhnert, St. Marien (2008), S. 213; Kuhnert, St. Marien (2009), S. 180; siehe auch LAKD/AD, Restaurierungsdokumentationen, Nr. 284 (wie Anm. 1), S. 2.
  3. Kuhnert, St. Marien (2008), S. 213: Die Malereien präsentieren sich „partiell sowohl im mittelalterlichen Original als auch in seiner [d. h. der Hoffmannschen, C. M.] Neuinterpretation“. Schon Berckenhagen, Wandmalereien, S. 161 Anm. 284, bemerkt hinsichtlich der Authentizität der Inschriften: „Während u[nd] sofort nach ihrer Freilegung wurden anscheinend keine genauen Abschriften von den Tituli genommen. Die Inschr[iften] sind mehrfach stärker beschädigt, teils sogar weitgehend zerstört.“
  4. Dies gilt zum Beispiel für das Spruchband L2. – Da auch die älteren Lesungen in der Literatur, insbesondere bei Berckenhagen, weitgehend sinnfrei und somit bei der Textrekonstruktion nicht hilfreich bzw. teilweise nicht mehr nachvollziehbar sind, bleiben sie im Folgenden unberücksichtigt.
  5. Das westliche Joch des südlichen Seitenschiffs weist keine Malereien mehr auf, die Gewölbe wurden wohl durch den Kirchenbrand 1647 zerstört; vgl. dazu den Kommentar. Für den Wiederaufbau dieses Kirchenteils nach 1647 spricht auch die an den beiden westlichen Mittelschiffgewölben angebrachte Jahreszahl 1651 (nach Kossmann, Marienkirche, S. 12).
  6. Nach Kossmann, Marienkirche, S. 180.
  7. Zaske, Kirchen Stralsunds, S. 182 schreibt dazu, der Bilderreichtum der Marienkirche lasse „sich wahrscheinlich zu bestimmten Themenkreisen ordne[n], in denen sich himmlische und irdische Gedanken, Portraits von Heiligen und Bürgern der Stadt Stralsund zu einem vielfältigen Weltbild verbinden, das umfassend, aber nicht nach einheitlichem Programm ausgebreitet ist“. Mit den Heiligenporträts sind vermutlich die Propheten- und Engeldarstellungen gemeint; dass Porträts von Stralsunder Bürgern angebracht wurden, ist jedoch kaum anzunehmen. – Ein hinsichtlich der inschriftlichen Themenvielfalt vielleicht vergleichbares Beispiel stellen die nach 1420 entstandenen Gewölbemalereien von St. Nikolai in Greifswald dar; vgl. DI 77 (Greifswald), Nr. 113.

Nachweise

  1. Berckenhagen, Wandmalereien, S. 60–62 (ohne F).
  2. Zaske, Kirchen Stralsunds, S. 182 (A1, B2).
  3. Kuhnert, St. Marien (2008), S. 213 Abb. 18 (I2).
  4. LAKD/AD, Restaurierungsdokumentationen, Nr. 284 (E1).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 43(†) (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0004305.