Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 23 St. Nikolai 1357

Beschreibung

Grabplatte für den Bürgermeister Albert Hovener. Messing. Die aus sechzehn Teilstücken zusammengesetzte Grabplatte liegt heute auf einem Backsteinsockel in der südöstlichen Kapelle des Chorumgangs.1) Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts befand sie sich in der Hovener-Kapelle am fünften Joch des südlichen Seitenschiffs. Um 1850 war sie bereits aus dem Boden aufgenommen und aufrecht an der Wand befestigt worden; dabei brach sie im unteren Drittel.2) Unter einem flachen Spitzbogen der Verstorbene in Lebensgröße, prachtvoll gekleidet und mit gefalteten Händen.3) Das Kissen unter seinem Kopf wird von zwei Engeln gehalten, die Füße stehen auf einem Wilden Mann und einem Fabeltier. In der Sockelzone jeweils außen zwei Paare, mittig eine Jagdszene. Außerhalb des rahmenden Baldachins üppige Architekturornamentik mit zahlreichen Nischen, die mit Apostel- und Prophetenfiguren besetzt und von Fialen bekrönt sind. Am Rand der Platte ein umlaufendes ornamentales Band, in den Ecken Vierpässe mit Evangelistensymbolen. Weiter innen das umlaufende Schriftband, in dem Buchstaben und Worttrenner vor schraffiertem Hintergrund stehen. Die Worttrenner sind jeweils in Form von vier im Rechteck angeordneten Punkten gestaltet, zwischen denen eine Raute steht. i-Punkte in Form schmaler Bögen. Auf halber Höhe der Langseiten zwei das Schriftband unterbrechende, von Vierpässen umgebene identische Wappenschilde; über dem linken Wappenschild ein Meisterzeichen (M1). Die erhaben in vertiefter Zeile gegossene Inschrift beginnt links oben mit einem Andreaskreuz.

Maße: Br. 129 cm, H. 258 cm. Bu. 4 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

Jürgen Herold [1/5]

  1. ˑ anno ˑ domini ˑ millesimo ˑ tricen‎/tesimo ˑ quinquagesimo ˑ septimo ˑ in ˑ ‎// ˑ vigilia ˑ annunciacionis ˑ sancte ˑ marie ‎/ ˑ uirginis ˑ obiit ˑ dominus ˑ albertus ‎/ ˑ houener ˑ proconsul ˑ zondensisa) ˑ cuius ‎// ˑ anima ˑ requiescat ˑ in ˑ pace ˑ amen ˑ

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1357 am Tag vor der Verkündigung an die heilige Jungfrau Maria (24. März) starb Herr Albert Hovener, Bürgermeister von Stralsund. Seine Seele ruhe in Frieden. Amen.

Wappen:
Hovener

Kommentar

Der t-Balken durchkreuzt nicht den Schaft, sondern ist als Deckbalken ausgeführt; v mit schrägem linken und senkrechtem rechten Schaft. Gegossene und gravierte Messingplatten wurden im 14. Jahrhundert vorwiegend in Flandern (Tournai, Gent etc.) gefertigt und oft schon eingelegt in eine steinerne Trägerplatte aus dieser Region an ihre Auftraggeber ausgeliefert.4) Für diese geografische Herkunft spricht auch die mittelniederländische Schreibung zondensis für ‚von Stralsund‘.5) Bei dem hier behandelten Grabmal handelt es sich möglicherweise um eine der ältesten Messingplatten mit einer Inschrift in gotischer Minuskel6) und eine von wenigen, die für einen bürgerlichen Verstorbenen angefertigt wurden.

Albert Hovener fungierte seit dem Jahr 1319 als Bürge bei Bürgerneuaufnahmen.7) Er saß seit 1328 im Rat und wurde 1341 Bürgermeister.8) Im Laufe seines Lebens erwarb er beträchtlichen Landbesitz auf der Insel Rügen, auch als herzogliche Lehen.9) Im Jahr 1337 war er Provisor des Hospitals St. Jürgen am Strande, für das er mehrere bedeutende Stiftungen tätigte.10) Seine Ehe mit Hebele, der Witwe Berthold Kurlands (vgl. Kat.-Nr. 10), mit der er sich 1322 oder früher verheiratet hatte,11) blieb kinderlos. Hebele und auch ihre Tochter Anneke wurden wohl in St. Jürgen bestattet.12)

Textkritischer Apparat

  1. condensis Haselberg.

Anmerkungen

  1. Siehe Grundriss St. Nikolai, Nr. 199.
  2. Vgl. Weitzel, St. Nikolai, S. 112, 148–150; Cameron, Brasses, S. 342f.; Hagemeister, Nikolaikirche, S. 17; Uhsemann, Nikolaikirche, S. 57.
  3. Zur Beschreibung der Grabplatte vgl. auch Wolkewitz, Messinggrabplatten, S. 59f.
  4. Die Fertigungstechnik nach Krüger, Messinggrabplatten, S. 26f. Die Hovener-Grabplatte liegt bis heute in ihrer ursprünglichen, steinernen Trägerplatte.
  5. Das anlautende z für s, mehr noch der folgende Vokal o für u weisen eindeutig auf eine Provenienz der Inschrift westlich des Ostseeraums hin; vgl. dazu Lasch, Grammatik, S. 105f., 172. Die Stadt Lübeck, die als möglicher Standort leistungsfähiger Gießerwerkstätten und damit als Herkunftsort von Messingplatten gelegentlich ins Spiel gebracht wird, kommt kaum infrage. – Für Hinweise im August 2016 zum Sprachstand dieser Inschrift danke ich Ingrid Schröder, Hamburg, vielmals.
  6. Nach Cameron, Brasses, S. 343.
  7. Nach Ebeling (Hg.), Bürgerbuch, Nr. 66, 414 u. ö., letzte Nennung Nr. 3355 (1347).
  8. Daten nach StA Stralsund, Hs. 359 (Dinnies, Verzeichnis 1), S. 67–72; ebenso Brandenburg, Magistrat, S. 82.
  9. Zum Landbesitz Albert Hoveners vgl. Dinnies (wie Anm. 8); auch Rosen, Hövener, S. 89f.
  10. Dazu Lusiardi, Stiftung, S. 98, 225f.
  11. Name der Ehefrau und Erwähnung der Stiefsöhne Albert Hoveners in Ebeling (Hg.), Stadtbuch 2, Nr. 610 (1322) und Nr. 1376 (1339).
  12. Nach Lusiardi, Stiftung, S. 224.

Nachweise

  1. StA Stralsund, Hs. 303, Bl. 38v.
  2. Kugler, Schriften 1, nach S. 786 (Abb.).
  3. Rosen, Hövener, S. 96.
  4. Cameron, Brasses, S. 343 (mit Tf. XXXII).
  5. Krüger, Grabplatten, S. 181.
  6. Wolkewitz, Messinggrabplatten, S. 60f. (mit Abb.).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 23 (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0002303.