Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 19(†) St. Johanniskloster (Stadtarchiv) M.14.Jh., 2.H.16.–1.H.17.Jh.

Beschreibung

Wandmalerei. Im Jahr 1955 traten an der Brandmauer zum Haus Semlowerstr. 10 Wandmalereien zutage, die zum bereits 1944 weitgehend zerstörten Haus Semlowerstr. 11 gehörten.1) Sie waren an der Westwand des Erdgeschosses angebracht.2) Erhalten waren drei figürliche Szenen, zunächst eine Kreuzigung mit dem Titulus A auf einem geschwungenen Schriftband. Über dem Kruzifix wohl ein Pelikannest. Die Spruchbänder weiterer Figuren unter dem Kreuz, wohl Johannes und eine Stifterfigur, waren zerstört.3) In späterer Zeit wurde die Kreuzigungsszene erneuert und dabei auch der Titulus verändert (B). Diese Erneuerung wurde wieder entfernt, die Szene 1968 abgenommen und ins Johanniskloster transferiert.4) Heute sind nur noch geringe Spuren des Titulus erhalten. Freigelegt wurden in der Semlowerstr. 11 auch eine nur teilweise erhaltene Marienkrönung und die Geburt Christi (nicht erhalten).

Auf diesen mittelalterlichen Malschichten befand sich eine spätere Schicht, die 1956 zerstört wurde und daher nur fotografisch überliefert ist. Sie zeigte Rankwerk mit Blüten und Früchten, dazwischen Vögel und eine Eule. Darunter in einer Kartusche und in dunklen Buchstaben auf hellem Grund Inschrift C. Alle Inschriften waren gemalt.

Inschrift B nach Brockow, Inschrift C nach Abb. bei Voss.

Maße: Br. 180 cm (Kreuzigung), H. ca. 220 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel (A); gotische Minuskel (B); Kapitalis (C).

Jürgen Herold [1/2]

  1. A

    [I(ESUS)] N(AZARENUS) R(EX) [I(UDAEORUM)]5)

  2. B†

    i(esus) n(azarenus) r(ex) i(udaeorum)6)

  3. C†

    VIELa) VOGEL HASSEN MIC[H] ‎/ ICH [......]b) EVL VND ACHTS NI[CH]7)

Versmaß: Deutsche Reimverse (C).

Kommentar

Die Malereien, zu denen die Tituli A und B gehörten, werden stilistisch etwa in die Mitte des 14. Jahrhunderts datiert.8) Für Inschrift C wurde eine Entstehung im 16. Jahrhundert, möglicherweise einzugrenzen auf die erste Hälfte, angenommen.9) Der hochdeutsche Sprachstand und die Ausführung in Kapitalis legen jedoch eine spätere Datierung nahe. In dem Sprichwort C ist die ‚verfolgte Eule‘ gemeint, die Sinnbild für den Christus der Dornenkrönung oder allgemein die zu Unrecht Verfolgten sein kann.10)

Textkritischer Apparat

  1. VIEL] ALL Voss.
  2. Die nach ICH von Voss und Brockow gebotene Lesung BIN EIN ist anhand der Abbildung bei Voss nicht zu verifizieren.

Anmerkungen

  1. Dazu LAKD/AD, Akten Stralsund, Semlowerstr. 10/11, Schreiben von Käthe Rieck, Stralsundisches Museum für Ostmecklenburg, an das Institut für Denkmalpflege in Berlin, 6.1.1956.
  2. Nach Berckenhagen, Wandmalereien, S. 74; entsprechend auch Brockow, Wandmalereien, S. 161, 379.
  3. Brockow, Wandmalereien, S. 379, auch 164f.
  4. Nach LAKD/AD, Akten Stralsund, Semlowerstr. 10/11: Schreiben von Käthe Rieck an Johannes Voss, Institut für Denkmalpflege in Schwerin, 28.5.1968; vgl. auch Brockow, Wandmalereien, S. 161, 379.
  5. Io. 19,19.
  6. Io. 19,19.
  7. Wander (Hg.), Sprichwörter-Lexikon 4, Sp. 1662 Nr. 387 (dort in Vers 2: ‚ich bin ein Kauz und acht’ es nicht‘).
  8. Brockow, Wandmalereien, S. 165f., 380.
  9. Nach Brockow, Wandmalereien, S. 162, 380; Voss, Freskoübertragungen: um 1600.
  10. Vgl. Heinrich Schwarz, Volker Plagemann, ‚Eule‘, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte (RDK) 6 (1970), hier Abschnitt X. Die verfolgte Eule (Online-Version, 21.5.2014). Überlegungen zur Verbreitung dieses Bildmotivs auch bei Brockow, Wandmalereien, S. 162f.

Nachweise

  1. Berckenhagen, Wandmalereien, S. 74 (A).
  2. Voss, Freskoübertragungen, S. 97 (A–C), Abb. 1 (C).
  3. Brockow, Wandmalereien, S. 164, 379 (A), 380 (B), 162, 380 (C).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 19(†) (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0001906.