Inschriftenkatalog: Stralsund

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

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DI 102: Inschriften Stadt Stralsund (2016)

Nr. 1(†) St. Nikolai 1318

Beschreibung

Schrifttafel. Kalkstein. An der Westfassade links (nördlich) des Portals, durch das der Zugang zur Kirche vom Rathaus aus erfolgt. Die Tafel wurde möglicherweise erst sekundär an dieser Stelle angebracht.1) Die Steinoberfläche ist verwittert, die Kanten sind teilweise abgeplatzt. Die Lesbarkeit der Inschrift wird darüber hinaus durch Mörtelreste in zahlreichen Buchstabenkerben beeinträchtigt.2) Die dreizeilige Inschrift ist zwischen einfachen Linien eingehauen. Ob, wie in der Literatur angegeben, in allen Wortzwischenräumen Trennzeichen eingemeißelt waren, lässt sich nicht mehr feststellen.

Inschrift ergänzt nach Huyer.

Maße: Br. 62,5 cm, H. 28 cm. Bu. 5 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Jürgen Herold [1/1]

  1. A[nn]o ˑ milleno ˑ tricen‎/[te]no ˑ octadeno ˑ Festo ˑ p[a‎/schali ˑ est ˑ inchoata ˑ eccl(esi)a]a)

Übersetzung:

Im Jahr tausend, dreihundert und achtzehn am Osterfest (23. April) ist mit (dem Bau) des Langhauses begonnen worden.

Versmaß: Elegisches Distichon (?).

Kommentar

Möglicherweise war ein elegisches Distichon intendiert.3) Die beiden am Westportal angebrachten Bauinschriften (vgl. Kat.-Nr. 3) berichten über Baumaßnahmen der Jahre 1318 und 1329. Geht man davon aus, dass in zeitlicher Nähe zu den genannten Jahren auch die Inschriften angefertigt wurden, stellen sie frühe Beispiele für die Verwendung der gotischen Minuskel dar; vgl. dazu die Einleitung, Kap. 7.2. Paläografische Beobachtungen an den beiden Steintafeln sind aufgrund ihres schlechten Erhaltungszustands jedoch kaum noch möglich. Sie dokumentieren Ereignisse, die elf Jahre auseinanderliegen. Fraglich ist, ob sie jeweils im genannten Jahr, also getrennt voneinander, oder in einem einzigen Herstellungsvorgang entstanden. Für die zweite Möglichkeit könnten paläografische Ähnlichkeiten, insbesondere das in beiden Fällen oben offene p, sprechen.

Die Tafel zu 1318 könnte ursprünglich an anderer Stelle angebracht und erst später in die Westfassade integriert worden sein. Bezieht man den zunächst unspezifischen Begriff ecclesia nicht auf den gesamten Kirchenbau, sondern im engeren Sinn auf das Langhaus,4) also den Bereich außerhalb des Chores, ergibt sich die übliche Abfolge der Bauphasen von Ost nach West: Baubeginn im Chorbereich kurz vor 1270, Bau des Langhauses seit 1318 und des Südturms seit 1329.5)

Textkritischer Apparat

  1. Bezüglich des Textanfangs stimmen die Lesungen in der Literatur in nahezu allen Fällen überein: Anno milleno tricenteno. Die folgenden Worte werden unterschiedlich wiedergegeben: octadeno festo paschali ... redi(n)choacio eccl(esi)e (Francke; Jahn, S. 45); undeno festo ni/colai inchoata ... (Haselberg; Jahn, S. 44); undeno festo pa(schali) inchohata ecclesie (Jahn, S. 110); u(n)deno festo Ni/colai inchoata eccl bzw. triadeno festo pa... fit dedicacio eccles (Fabricius in einer nicht genauer benannten handschriftlichen Aufzeichnung, nach Jahn, S. 120f.).

Anmerkungen

  1. Vgl. dazu die Überlegungen bei Huyer, Nikolaikirche, S. 203f.
  2. Die bei Jahn, Nikolaikirche, S. 44 Anm. 3 und S. 120, erwähnten Gipsabgüsse beider Tafeln müssen als verschollen gelten. Vgl. dazu Huyer, Nikolaikirche, S. 204 Anm. 292.
  3. Bei Anno (...) octadeno liegt ein rein spondeischer Hexameter vor, der folgende Text Festo (...) est bildet den ersten Teil eines Pentameters.
  4. Vgl. dazu Weilandt, Leere Mitte, S. 111.
  5. Vgl. die Zusammenstellung der Schriftquellen bis zum Jahr 1350 bei Huyer, Nikolaikirche, S. 31–42, sowie die Zusammenfassung der Baugeschichte S. 303f.

Nachweise

  1. Francke, Kirchen, S. 15 Anm. 1.
  2. Haselberg, Stadtkreis Stralsund, S. 503.
  3. Jahn, Nikolaikirche, S. 44f., 110, 120f.
  4. Huyer, Nikolaikirche, S. 37 Nr. 31; S. 204 (mit Abb. 204.1).

Zitierhinweis:
DI 102, Inschriften Stadt Stralsund, Nr. 1(†) (Christine Magin), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di102g018k0000107.