Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 723† Rathaus 2. H. 16. Jh.?

Beschreibung

Inschriften in einem unbekannten Raum des Rathauses. Büttner überliefert die Inschriften A–E ohne Lokalisierung, die Inschriften F–H standen nach Büttner In pilis inter fenestras, also zwischen den Fenstern, die Inschriften J und K über einer Tür, die Inschrift L über einer weiteren Tür und die Inschrift M auf einer kleinen Tafel.

Inschriften nach Büttner.

  1. A

    Pareto legi quisquis legem sanxit1)

  2. B

    Principatum quem gesseris cures te ipsum vero non immutes

  3. C

    Amor et odium rectum pervertunt judicium

  4. D

    Ad paenitendum properat cito qui judicat2)

  5. E

    Loqui ignorabit qui tacere nescit3)

  6. F

    Periander / Concordiam sectare

  7. G

    Thales / Pacem dilige

  8. H

    Solon / Iracundiae moderare

  9. I

    Periander / Arcanum cela

  10. J

    Audiatur pars altera4)

  11. K

    Johannes Stigelius Nil statuat judex etiamsi litiget ActorSit nisi delati cognita causa Rei5)

  12. L

    Cic(ero) I Officiorum / Qui Reipub(licae) praesunt legibus similes sint quae ad puniendum non iracundia sed aequitate fruuntur6)

  13. M

    In controversiis causarum corporales inimicitiae oriuntur fit amissio Expensarum corpus quotidie defatigatur labor animi exercetur multa et inhonesta crimina inde consequuntur bona et utilia opera postponuntur et qui saepe credunt obtinere frequenter succumbunt ac si obtinent computatis laboribus et expensis nihil acquirunt7)

  14. N

    Nil praeclarius quam de Repub(lica) bene mereri8)

Übersetzung:

Du sollst dem Gesetz gehorchen – wer auch immer das Gesetz festgesetzt hat. (A)

Du sollst dich um das hohe Amt, das du verwaltest, kümmern, dich selbst aber nicht verändern. (B)

Liebe und Hass richten ein gerechtes Urteil zugrunde. (C)

Wer rasch urteilt, der bereut es schnell. (D)

Wer nicht schweigen kann, wird es auch nicht verstehen zu sprechen. (E)

Strebe nach Eintracht. (F)

Liebe den Frieden. (G)

Mäßige den Zorn. (H)

Wahre das Geheimnis. (I)

Man soll auch die andere Seite hören. (J)

Der Richter soll nichts beschließen, auch wenn der Kläger streitet, wenn der Fall des Angeklagten nicht bekannt ist. (K)

Die dem Gemeinwesen vorstehen, sollen den Gesetzen ähnlich sein, die zur Bestrafung nicht den Zorn, sondern die Gerechtigkeit nutzen. (L)

In gerichtlichen Auseinandersetzungen entstehen körperliche Feindschaften, man verliert Geld, der Körper wird täglich erschöpft, der Geist wird strapaziert, viele und unehrenhafte Verbrechen folgen darauf, gute und nützliche Werke werden zurückgestellt, und diejenigen, die oft glauben sich zu behaupten, unterliegen häufig, und wenn sie sich behaupten, haben sie, wenn man die Mühe und die Kosten berücksichtigt, nichts gewonnen. (M)

Es ist nichts ruhmreicher, als sich um das Gemeinwesen verdient zu machen. (N)

Versmaß: Ein elegisches Distichon (K).

Kommentar

Sicherlich sind alle hier ausgeführten Inschriften zeitgenössischen Sammlungen von Sentenzen entnommen, auch wenn nicht jeder Text nachgewiesen werden konnte. Besonders interessant ist die Inschrift L, die vermutlich nach dem Vorbild einer Mailänder Inschrift von 1448 (vgl. Anm. 7) ausgeführt wurde. Es ist durchaus denkbar, dass ein Lüneburger Patrizier auf einer Bildungsreise auf diese Inschrift gestoßen ist, sie notiert hat und in Lüneburg den Anstoß zu deren erneuter Ausführung gab. Während die Lebensregeln F–I Autoritäten der Antike zugewiesen werden und Cicero zum Thema des Guten Regiments zitiert wird (L), wird als Autor der Inschrift K der Dichter und Rhetoriker Johannes Stigel (1515–1562) genannt, der in Wittenberg und in Jena als Professor tätig war.9)

Anmerkungen

  1. Ausonius, Septem sapientium sententiae 2,5, dort Pittacos von Mytilene zugeschrieben. Vgl. a. Walther, Proverbia sententiaeque, Nr. 20708.
  2. Publilii Syri Sententiae, A32, S. 29.
  3. Ausonius, Septem sapientium sententiae 2,1, dort Pittacos von Mytilene zugeschrieben.
  4. Römischer Rechtsgrundsatz, vgl. u. a. Walther, Proverbia sententiaeque, Nr. 1723 mit Verweis auf Seneca, Medea.
  5. Walther, Proverbia sententiaeque, Nr. 16852.
  6. Cicero, De officiis 1,89.
  7. Inschriftlich auf einer Tafel ausgeführt in Mailand am Broletto Nuovo, dem Justizpalast, signiert von Thomas de Caponago mit der Jahreszahl 1448. Vgl. http://commons.wikimedia.org/wiki/File:6783_-_Milano_-_Broletto_-_Iscrizione_di_Tommaso_da_Caponago,_1448_-_Foto_Giovanni_Dall'Orto,_16-Feb-2008.jpg (28.09.2016).
  8. Die Sentenzen in den Inschriften B, C, F–I und N so nicht nachweisbar.
  9. Vgl. ADB, Bd. 36, S. 228–230.

Nachweise

  1. Büttner, Inscriptiones.

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 723† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0072303.