Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 756† St. Nicolai 1603?, 1614

Beschreibung

Epitaph des Hiob Gigas. Das Epitaph wurde zu Lebzeiten des Pastors offenbar von diesem selbst gesetzt (vgl. Kommentar).1) Da Rikemann die Inschriften A und B in seinem Libellus wiedergibt, ist die inschriftliche Ausführung sicher. Rikemann überliefert die Variante der Inschriften, die auf dem der Inschrift B zufolge 1603 von Hiob Gigas errichteten Epitaph bis zu seinem Tod 1614 sichtbar war. Danach ersetzte man offenbar das letzte Distichon der Inschrift durch fünf weitere Distichen, die die Biographie des Pastors vervollständigten, und die von Bertram, Sagittarius und Reinbeck überliefert sind (B1). Da Rikemann seine Aufzeichnungen nur bis zum Jahr 1614 fortgeführt hat, sind die hinzugefügten Verse bei ihm nicht berücksichtigt.

Inschriften A und B nach Rikemann, B1 nach Bertram.

  1. A

    Epitaphium Reuerendi clariss(imi) et doctissimi Viri D(omini) M(agistri) Hiobi Gigantis Ecclesiae Lunaeburgensis ad D(ivum) Nicolaum Pastoris vigilantissimi Anno Domini 16<..> Die < – – – > pie defunctia)

  2. B

    Scire cupis Patriam quibus et natalibus ortusNomina qui magni magna Gigantis habetProtulit hunc lucis Nesselredina sub aurasCattorum claris subdita Principibus5Nobilium locus iste fuit notissima sedesQui sunt Treuscorum stemmate progenitiNon procul hinc quae Brandefels est nomen adeptaHassorum aereis arx iacet alta iugisIllius hic genitor Petrus deduxit ovile10Christigenum ad verae dulce salutis iterPost Demmershusam cara cum coniuge venitNomine Walburgis quae vocitata fuitIllic cum quatuor sacra dogmata sparserat annosIn statione sua tempore pestis obit15Filius hinc Iobus per duros mille laboresEt paupertatis vix memoranda malaIn studÿs primos exegit dulcibus annosImbuit atque animum cognitione DeiMoenius hinc iustus iuvenis miratus acumen20Et varias dotes nobilis ingenÿIllum bis scriptis tibi commendavit amicusNate Palatinob) Magne Philippe soloIpse quoque amplexus iuvenem es divine MelanthonAtque tibi illius Musa probata fuit25Inde scholae veteris Soltquellae nactusc) habenasAnnos per tredecim praefuit officioVerbid) etiam totos octo cum sparserat annosDivini magna dogmata sacra fideLunaeburgensem fuit accersitus ad urbem30Pasceret ut Christi more parentis ovesHic iam dante Deo docuit per lustra piorumQuinque gregem aeterna est cum reparata salus

  3. B1

    Ultra sic docuit coetum sex lustra piorumPer Christum aeterna est cui reparata salusCum tribus ut tandem bis septem lustra replessetTriste catarrosa tabe relinquit humumSucceditquee) polo quem fortif) mente docebatCum Christo aeternae tempora lucis agitg)Quisquis salvifico vis hoc gestire brabeoh)Crede Deo vitam corrige disce moriMartIa bIs nonos Vt LVna InDIXerat ortVsVIr probVs eXIVIt IobVs ab orbe GIgas

Übersetzung:

Epitaph des ehrwürdigen, hochberühmten und hochgelehrten Mannes Herrn Magister Hiob Gigas, des sehr umsichtigen Pastors der Lüneburger Kirche St. Nicolai, der im Jahr 16.. am Tag ... fromm entschlafen ist. (A) Du willst sein Vaterland wissen und von welchen Eltern er abstammt, der den großen Namen des großen Riesen trägt? Nesselröden brachte diesen an das Licht der Welt, das den berühmten Kasseler Fürsten unterstellt war. [5] Dieser Ort war der hochberühmte Sitz der Edlen, die hervorgegangen sind aus der Familie von Treuschen. Nicht weit von da liegt in den zum Himmel ragenden Bergen der Hessen die hohe Burg, die den Namen Brandenfels trägt. Hier hatte dessen (d. h. Hiobs) Vater Peter [10] die christliche Herde auf den süßen Weg des wahren Heils geführt. Später kam er mit seiner lieben Ehefrau, die mit dem Namen Walburgis gerufen wurde, nach Dommershausen(?). Als er dort vier Jahre lang die heilige Lehre verbreitet hatte, starb er auf seinem Posten zur Zeit der Pest. [15] Sein Sohn Hiob verbrachte danach unter ungezählten harten Mühen und kaum zu beschreibenden Übeln der Armut seine ersten Jahre in süßem Studium und erfüllte seinen Geist mit der Erkenntnis Gottes. Danach bewunderte der gerechte Menius den Scharfsinn des jungen Mannes [20] und die vielfältigen Gaben eines edlen Geistes. Der Freund empfahl ihn dir durch zwei Schreiben, großer Philipp, geboren im Land der Pfalz. Auch du hast den Jüngling liebend angenommen, göttlicher Melanchthon, und seine musische Begabung hat deine Billigung gefunden. [25] Darauf übernahm er die Leitung der alten Schule von Salzwedel und versah dieses Amt dreizehn Jahre lang. Als er schon acht ganze Jahre lang mit heiliger Treue die hohe Lehre des göttlichen Worts verkündet hatte, wurde er in die Stadt Lüneburg gerufen, [30] um die Schafe Christi nach der Art eines Vaters zu weiden. (Hier hatte er mit Gottes Hilfe seine Herde der Frommen schon 25 Jahre lang gelehrt, als ihm das ewige Heil beschert wurde.) (B) So lehrte er, für den Christus das ewige Heil erworben hat, mehr als 30 Jahre lang die Versammlung der Frommen. Als er schließlich vierzehn und drei Lustren (85 Jahre) vollendet hatte, verließ er beklagenswerterweise infolge einer katarrhösen Auszehrung die Erde und stieg zum Himmel empor, den er mit starker Leidenschaft verkündet hatte. Dort verbringt er mit Christus die Zeit ewigen Lichts. Wenn du, wer du auch seist, dich (auch) an einem solchen heilbringenden Siegespreis erfreuen willst: glaube an Gott, bessere dein Leben, lerne zu sterben. Als der Märzmond seinen 18. Tag angekündigt hatte, verließ der rechtschaffene Mann Hiob Gigas diese Welt. (B1)

Versmaß: Elegische Distichen (B, B1), das letzte Distichon ein Chronodistichon, das das Sterbedatum 1614 ergibt.

Kommentar

Das in der detailliert biographischen Inschrift B erwähnte Nesselröden (heute Ortsteil von Herleshausen im Werra-Meißner-Kreis), in dem Gigas – wohl eigentlich mit Familiennamen Riese – geboren wurde, liegt in der Nähe von Eisenach. Daher immatrikulierte sich Hiob Gigas im Mai 1555 unter der Herkunftsangabe Eisenach an der Universität Wittenberg,2) auch wenn er zuvor mit seinen Eltern vermutlich in Dommershausen im Rhein-Hunsrück-Kreis gelebt hatte, wo sein Vater, der Pastor Peter Gigas/Riese an der Pest starb. Die Inschrift B, nach der auch Bertram die Biographie des Hiob Gigas verfasst hat,3) berichtet über den Werdegang des späteren Lüneburger Pastors. Sein Studium in Wittenberg absolvierte er der Inschrift B zufolge bei Melanchthon, dem er von Justus Menius empfohlen worden war. Danach ging er nach Salzwedel und war dort – errechnet ab 1558 – zunächst dreizehn Jahre lang als Lehrer, danach acht Jahre lang als Pastor tätig. Auf die erste Pfarrstelle an St. Nicolai in Lüneburg wurde Hiob Gigas nach dem Tod des Pastors Hieronymus Herberding (vgl. Nr. 516) im Jahr 1578 berufen. Danach errechnet sich auch die Datierung des durch den Pastor selbst errichteten Epitaphs auf das Jahr 1603, da er der Inschrift B zufolge zum Zeitpunkt der Errichtung bereits 25 Jahre lang in Lüneburg tätig war. Vermutlich verfasste er die Versinschrift B, die auch ausführlich an seinen Vater erinnert, selbst. Der Inschrift seiner Grabplatte Nr. 836 und des Chronodistichons am Ende von B1 zufolge verstarb Hiob Gigas am 18. März 1614.

Textkritischer Apparat

  1. Der durch die Sterbedaten ergänzte Text lautet bei Sagittarius: Epitaphium M. Hiobi Gigantis Pastoris ad. S. Nicolai Anno M D C XIV defuncti.
  2. So nach Bertram, Sagittarius und Reinbeck, Palatine bei Rikemann.
  3. So nach Bertram, Sagittarius und Reinbeck, exactus bei Rikemann.
  4. Über Deinde, wohl als Korrektur übergeschrieben.
  5. Succidentque Sagittarius.
  6. forte Sagittarius.
  7. apit Sagittarius.
  8. brabejo Sagittarius. Zu der Vorstellung von dem zu erlangenden Siegespreis (brabeum) 1. Cor. 9,24 u. Phil. 3,14.

Anmerkungen

  1. Bertram, Evangelisches Lüneburg, S. 732, unterscheidet dieses Epitaph ausdrücklich von dem hinter dem Altar aufgerichteten Epitaph Nr. 840.
  2. Matrikel Wittenberg, Bd. 1, S. 307b.
  3. Bertram, Evangelisches Lüneburg, S. 730–734.

Nachweise

  1. Rikemann, Libellus, fol. 52r/v.
  2. Bertram, Evangelisches Lüneburg, S. 732f. (B, B1).
  3. Sagittarius, Historia, Ex. Wolfenbüttel, fol. 137r.– Reinbeck, Chronik, p. 935f. (B).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 756† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0075608.