Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 625(†) Egersdorffstr. 1 / Museum Lüneburg 1594 o. später

Beschreibung

Bemalte Holzbalkendecke. Die Balkendecke befand sich in dem 1956 abgebrochenen Haus Egersdorffstr. 1. Die stark beschädigten Balken wurden beim Abbruch des Hauses in das Museum für das Fürstentum Lüneburg gebracht, nach Anlegung einer Dokumentation durch Gerhard Körner im Jahr 1961 aber mit einer Ausnahme (Fragment von D) vernichtet, da eine Restaurierung nicht machbar erschien. Die Dokumentation, die den Befund in Fotos und Notizen festhielt, liegt dieser Edition zugrunde.1) Es handelte sich nach der Skizze von Körner um eine durch drei Trägerbalken in vier lange Felder unterteilte Decke, eines der langen Felder war durch die Architektur des Raumes unterbrochen und verkürzt. Das Malereiprogramm begann nach Körners Skizze mit dem Programmtitel A und endete in dem verkürzten Feld mit der Datumsangabe B. Dazwischen fanden sich im Wechsel runde Bildfelder mit der Darstellung von männlichen Halbfiguren, die jeweils durch einen Titulus (C) bezeichnet waren, sowie in eckigen gemalten Kartuschen jeweils vierzehnzeilige Kurzbiographien (D–K) der dargestellten – größtenteils dem Bereich der Sage entstammenden und auf Tacitus zurückgehenden – Zwölf ersten Könige und Fürsten Deutscher Nation. Erhalten waren nach Körners Dokumentation noch fünf Tituli sowie mehr oder weniger vollständig acht Kurzbiographien. Eigenartig an der von Körner skizzierten Anordnung ist der Umstand, dass diese weder in der den langen Feldern folgenden Leserichtung, noch in der von Feld zu Feld springenden Leserichtung eine durchgängig logische Folge ergibt. Möglicherweise war der Originalbefund beim Abbruch des Hauses bereits gestört, oder danach nicht mehr rekonstruierbar. Die Abfolge der Texte in der Edition ist entsprechend der angenommenen ursprünglichen Reihenfolge angeordnet. Die o und u waren durch Diakritika bezeichnet, die bei dem auf den Fotos dokumentierten schlechten Erhaltungszustand keine sichere Beurteilung darüber zulassen, ob es sich teilweise um Umlautbezeichnungen handelte oder nicht.

Die letzten sechs Verse der Inschrift D nach dem Original im Museum Lüneburg. Die Inschriften A, B, D–F, H–K nach den Fotos in der Akte Körner, die Texte ergänzt nach Burkhard Waldis2) (vgl. Kommentar), die Tituli C und Inschrift G nach den Notizen Körners

Maße: H.: 49 cm; B.: 113 cm; Bu.: 1,8 cm (Fragment D).

Schriftart(en): Fraktur.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/1]

  1. A

    Bildnussen der · XII · / Ersten Alten Teutschen Konig / vnd Fursten : wellcher Tugent vnd, / Tatten, vor andern gerumt vnd / [ – – – ] / Schreiberen gedacht wierd sampt / [........]er Beschreibung [....] vrsprung[es] / vnd herkom(m)en

  2. B

    An(n)o Christ[..] / 15[..]

  3. C

    Tuiscon · 1 · // Mannus · 2 · // Wygewon · 3 · 3) // Ariouistus · 10 · // Carolus · 12 · 4)

  4. D

    Ascenas den man nennt Tuisconderselbig war des gomers sonDen Japhet nach der Sundflut gbarwie solchs die schrifft bezeuget klar, Als Nymbrot Babylon nam einvnd schutzt dasselbst fur das seinDa das [gebew ward a]uffgefurt[vnd die Sprachen dasselb verwirt][Blib beÿ] Tuiscon die deu[tsche sprach]vnd beÿ seinem Geschlecht her nach,Vom vatter Noha gefertiget abder im auch disen Ort eingab,Mitt allen die von seinem stamdas Teutsche land zum erst eÿnnam

  5. E

    Mannus der alt vnd Edle [.]era)nach im hub zu regier[en an]Dann na[ch sein]es vatte[rs] tod vnd endblib auf im das gantz Regiment,Drumb vber all Teutschland Regiertda sich [da]s volck gar sehr vermehrtDa fast er im eÿn Regimentdamit das Reich [nicht wurd zutrent][Vnd] bracht dasselb in guten gang,in Ordenung vnd rechten zwang,Er wat gantz ernst in Gerechtigkeÿterzeigt der frummen gutigkeitDrum auch sein Nam ist von den altenalso gar theur vnd werd gehalten

  6. F

    [Wygewon war der erstgeborn]drumb er zum Erben ward erkornVom vatter Manno eingeben wardvom Teutschen Reich der groste Ort,Nachdem der Sohne waren dreÿmacht er sein [testam]ent [dab]eÿJeden sein Ort abdeÿlen woltda er Regiern vnd herschen soltWern voneÿnander gesundert abdarnach er in auch namen gab,Vnd wurden disem wygewondie nidern land all eingethan[Beÿ]d ost vnd westen runds vm(m)her[auff beÿden] seiten [an dem Meer]

  7. G

    Heriwon het den an[dern] Ortda[von ÿetz]t oben ist gehortDen [er]nachs vatters willen empfingmitten im Teutschland war ein KungDrumb nennt man in daselben herden herd oder ErdwohnerWeil er inn het das mittel landregiert die [orter all]esandtEin theil [Wes]tfalen vnd die hessenhartzländer disseit der Elb gesessenThuringen meyssen vnd Lusitzer[die Beheim vnd Silesier][Vnd was der selbig kreys vermucht][b]eÿ im gericht vnd gerechtigkeyt sucht,

  8. H

    [Wandalus der erst vnd Edle Wendt]regiert im Teutschland an dem end[ – – – ]b)mittler zeit han die alten wendenJm welschland mit den Romern kriegtihn grossen schaden zugefugt

  9. I

    Ariovistus der Ehrnvestwar seiner Zeitt der allerbestMit grossen ehrn trug die kronvber gantz Teutsche Nation[ – – – ]c)[offt] fur die [Teutsche freÿheÿt gstritten]Vnd blutig an [einander] kriegtheut einer, morgen der ander gsiegt,Wie man auch von dem Marte listdas er gemeiniglich zweÿsigig ist

  10. J

    Arminius den man nen(n)t Harmeneÿn iunger held eÿn kuner manVon leib vnd ge[mut wol auff erwachssen]geborn vom Hartz ein Furst zu Sachssen[Der hat oft ritterlich]ge[kriegt][ – – – ]d)[vnd solchs] Arminius vernimbtMacht sich bald auff, schlugs alle garsolch groß vnvber[windt]lich schar,Des vari kopff gen Rom ward geschicktderab der Keiser sehr [erschrickt]

  11. K

    Carolus der groß ein Franck des geblutseÿn theurer Furst eÿns edlen gemuts,Kun [weÿß mechtig vnd grosser] sterck[das zeugt sein that vnd all sein werck]Erlangt von wegen seins [hohen rhumbs][die Monarcheÿ] des KeÿserthumbsWelch er mit ehrn vnd [gr]oss[er macht][hat erstlich an die Teutschen brachtWelchs auch mehrn in Deutschen landen]hadt beÿ acht hundert Jarn gestanden,Da es biß an das end wol bleÿbtwie der prophet Daniel schreÿbt,Er hat Teutschland gar hoch erhabenerleucht mit vilen theuren gaben

Versmaß: Deutscher Reimvers (D–K).

Kommentar

Das heute verlorene Text-/Bildprogramm der Balkendecke des Hauses Egersdorffstr. 1 kann aus verschiedenen Gründen als singulär gelten. Im Vergleich zu den anderen Balkendecken mit Herrscherdarstellungen in Lüneburg fällt zum einen auf, dass hier den Inschriften ungewöhnlich viel Platz eingeräumt ist, zum anderen, dass hier mit Ausnahme von Ariovist, Arminius und Karl dem Großen Figuren aus dem Bereich der Sage dargestellt waren. Da die Inschriften wortgetreu aus dem 1543 gedruckten Werk des Burkhard Waldis über die ersten Fürsten Deutscher Nation (vgl. Anm. 2) übernommen wurden, liegt hier der seltene Fall vor, dass ausgefallene Textteile der Inschriften nach der direkten Vorlage ergänzt werden können. Die Texte der Vorlage, die alle aus 24 Versen bestehen, wurden für die Inschriften auf jeweils 14 Verse verkürzt. Da das Foto von der stark beschädigten Darstellung des Wygewon noch eindeutig erkennen lässt, dass es sich bei den Halbbildern um sehr qualitätvolle Darstellungen der als Krieger gezeigten Fürsten handelte (vgl. Anm. 2), die wohl sehr viel detaillierter und weniger schematisch ausgeführt waren als die anderen Herrscherserien, und die Inschriften bis ins Detail rekonstruierbar gewesen wären, ist es umso bedauerlicher, dass die Deckenbalken nicht mehr existieren.

Die Zwölf ersten Könige und Fürsten Deutscher Nation, die einen idealen Gegenstand für die in der Druckgraphik des 16. Jahrhunderts so beliebten ‚Porträtreihen‘ bildeten, sind eine Erfindung des Dominikanermönchs Giovanni Anni (Annius) aus Viterbo, der ihre Geschichte als Werk des spätantiken Autors und Priesters Berosus ausgab.5) Die Ursprungssage von den ersten Königen und Fürsten gründet sich auf die „Germania“ des Tacitus, die als Urväter der Germanen bereits Tuisco (vgl. Inschrift A) und seinen Sohn Mannus (vgl. Inschrift B) nennt. Die Schaffung weiterer Urväter der einzelnen Stämme geht auf Annius zurück, der sie zudem noch mit dem biblischen Personal genealogisch verknüpfte und Tuiscon als Sohn Noahs einordnete.6) Bei Burkhard Waldis (Inschrift D) ist dies etwas abweichend, aber näher am Bibeltext erläutert: danach war Japhet der Vater des Gomer und der Großvater des Ascenas (1. Mo. 10,3), der mit anderem Namen Tuiscon genannt wird. Auch wenn die Historizität der germanischen Urväter bereits im 16. Jahrhundert verschiedentlich angezweifelt wurde, waren sie oft Gegenstand der von den Humanisten gepflegten Genealogien. Dabei änderte sich gelegentlich die Namensschreibung, so dass die Namen bei Burkhard Waldis und demzufolge auch die Namen in den Inschriften von denen im Pseudo-Berosus abweichen. Auch tauschte Burkhard Waldis die drei letzten Fürsten durch historische Personen aus und schuf damit die Anknüpfung an historisch verbürgte Personen, die hier ebenso wie die germanischen Urväter zu idealen Fürsten und großen Heerführern stilisiert werden.

Die Auftraggeber der Deckenbemalung sind bekannt. Das Haus Egersdorffstr. 1 wurde im Jahr 1594 von seinen Besitzern Fritz von dem Berge und Leveke Hahn umgebaut (vgl. Nr. 631). Im Zuge dieser Maßnahme dürfte auch die aufwendige Deckenbemalung ausgeführt worden sein. Die Frage, warum Fritz von dem Berge ausgerechnet die Zwölf ersten Könige und Fürsten deutscher Nation als Motiv für seine Balkendecke auswählte, könnte man durchaus damit erklären, dass sie in der Druckgraphik des 16. Jahrhunderts äußerst ‚modern‘ waren und eine gerne gedruckte Bildfolge darstellten, die man mit anderen ‚Porträtreihen‘ kombinieren konnte. So war diese Zwölferreihe zusammen mit je einer Zwölferreihe der sieghaften Helden des Alten Testaments und der grausamen Tyrannen des Alten Testaments in ursprünglich insgesamt 36 Porträtreliefs am Celler Schloss dargestellt, die in eine Bauphase des Schlosses um 1560 gesetzt werden und heute nur noch fragmentarisch erhalten sind.7) Das bedeutet, dass die Reliefs an einem bislang unbekannten Teil des Schlosses vollendet waren, als Fritz von dem Berge 1574 an den Celler Hof kam, um dort als Page zu dienen.8) Die dort gewonnenen Eindrücke könnten später seine Themenwahl für die Balkendecke beeinflusst haben.

Textkritischer Apparat

  1. Bei Burkhard Waldis lautet das Ende des Verses Edle Man.
  2. Der ausgefallene Text ist nach Waldis zu ergänzen: Mit seim Geschlecht zu langen zeiten / An der Weissel auff beyden seiten / Von irem Vrsprung zum außfluessen / Von Mehrern biß hunab in Pruessen / Nachmals ein maechtig Volck vermuchten / Drumb sie einander Wohnung suchten / Bald seyn Poln, Zechen, sclauen kommen / Dieselben oerter eyngenommen /Sitzen biß heut an selben enden / ... .
  3. Der ausgefallene Text ist nach Waldis zu ergänzen: Von wegen seiner degenheit / Bekannt in aller Welt so weit / Das macht sein Ritterlich streiten / Als zu deß Keysers Julij zeiten / Von dem er auch vil Kampffs erlitten / ... .
  4. Der ausgefallene Text ist nach Waldis zu ergänzen: Staets obgelegen vnd gesiegt / Zu deß Keysers Augusti zeiten / Wolt Varus wider Teutschen streiten / Als von den Roemern außgesandt / Mit grosser gwalt wehrhaffter hand / Jns Teutschland biß an Hessen kuempt / ... .

Anmerkungen

  1. Akte im Museum Lüneburg.
  2. Burkhard Waldis, Ursprung und Herkummen der zwoelf ersten alten Koenig und Fuersten Deutscher Nation / wie und zu welchen zeyten ir yeder Regiert hat. Nürnberg 1543. Diese Ausgabe liegt ganz eindeutig den Inschriften zugrunde, die die Texte exakt übernehmen. Sie ist auch der Chronik des Aventinus (Johannis Aventini Des Hochgelerten weitberumbten Beyerischen Geschichtschreibers Cronica ... . Frankfurt a. M. 1566) vorangestellt. Körner identifizierte nach seinen eigenen Angaben die Texte nach dem – erst nach der Ausführung der Decke erschienenen – Exemplar von 1622 (Johannis Aventini Des Hochgelehrten ... Chronica ..., Anhang. Frankfurt a. M. 1622). Die Angabe von Dülberg (Ikonographie, S. 149), die von einer „Aretinischen Chronik“ spricht, zu Körners Textnachweis ist falsch und so bei Körner nicht zu finden. Die Ausführung der Halbfiguren wich von den Vorlagen der Chroniken (Ganzfiguren Burkhard Waldis, Halbfiguren Aventinus 1566) ab. Soweit sich das an dem einzig erhaltenen Foto mit der Darstellung des Wygewon feststellen lässt, scheinen sie jedoch stilistisch den bei Aventinus in Medaillons eingestellten Halbfiguren des Jost Ammann geähnelt zu haben. Weder das Werk von Burkhard Waldis noch die Chronica des Aventinus von 1566 lassen sich im alten Bestand der Ratsbücherei nachweisen (Katalog Büttner, StA Lüneburg, AA S10m 10, Nr. 1).
  3. Titulus in Körners Notizen unvollständig, aber am Foto lesbar.
  4. Es fehlen hier die Tituli: Heriwon · 4 · // Eusterwon · 5 · // Marsus · 6 · // Gambriuius · 7 · // Sueuus · 8 · // Wandalus · 9 · .
  5. Vgl. hierzu Dieter Mertens, Die Instrumentalisierung der „Germania“ des Tacitus durch die deutschen Humanisten. In: Zur Geschichte der Gleichung „germanisch-deutsch“: Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen. Hg. v. Heinrich Beck, Berlin 2004 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde Bd. 34), S. 37–101, hier S. 87–91.
  6. Mertens, wie Anm. 5, S. 88.
  7. Konrad Maier, Könige, Helden und Tyrannen. In: Niedersächsische Denkmalpflege 14, 1989–1990, S. 108–139.
  8. Zu seiner Biographie: Eckhard Michael, Fritz von dem Berge 1560–1623. Zur Biographie eines lüneburgischen Adeligen im Zeitalter der Glaubenskämpfe. Lüneburg 1986, S. 12f.

Nachweise

  1. Gerhard Körner, Dokumentation zum Haus Egersdorffstr. 1, Museum Lüneburg, Akte 1961.
  2. Dülberg, Ikonographie, S. 149 (A).
  3. Edgar Ring, Kaiser Könige und Gelehrte an Lüneburger Decken. In: Aufrisse. Jahresheft des Arbeitskreises Lüneburger Altstadt e. V., Nr. 12, 1996, S. 17–22, hier S. 19 (A, B).
  4. Haupt, Ratsstube, S. 205 (A, B).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 625(†) (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0062503.