Inschriftenkatalog: Lüneburg (Stadt)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 100: Stadt Lüneburg (2017)

Nr. 139 Berlin, Kunstgewerbemuseum 1476

Beschreibung

Schale, ‚Kirchenväterschale‘.1) Silber, teilweise vergoldet. Ohne Marken und Beschauzeichen. Die Schale gehört zum Lüneburger Ratssilber und wurde 1874 von der Stadt an den preußischen Staat verkauft. Sie stellt das Gegenstück zu der Evangelistenschale Nr. 136 dar (vgl. Kommentar). Auf der Wölbung des Schalenbodens ein großes Medaillon mit dem emaillierten Wappen des Stifters in einem Blattkranz, außen verläuft die nach außen gerichtete Inschrift A in eingravierten und schwarz ausgelegten Buchstaben um das Medaillon; auf dem inneren Rand über dem Beginn der Inschrift ein Kreuzchen. Die Worttrenner in Form von Blumen, Rosetten und Sternchen. Der in der Grundform runde Fußring auf breiter Sockelplatte und einer Zarge aus durchbrochenem Fischblasenornament wird von vier vorspringenden Sockeln unterbrochen, auf denen unter Baldachinen die vier Kirchenväter Gregor, Hieronymus, Ambrosius und Augustinus thronen. In den aufgeschlagenen Büchern der Kirchenväter Ambrosius und Augustinus jeweils über beide Seiten verteilt die Inschriften B und C. Gebhardi bemerkt zu den kleinen Skulpturen der Kirchenväter: Die Bilder sind ungemein sauber.2)

Maße: H.: 16,5 cm; Dm.: 32 cm; Bu.: 0,8 cm (A), 0,15 cm (B, C).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis (A), gotische Minuskel (B, C).

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Sabine Wehking) [1/2]

  1. A

    HANC · APOTECARIVS · TRIBVIT · DOMINIS · MATHIAS · MVST · 1476a) ·

  2. B

    av/e m//ar/ia3)

  3. C

    av/g(us)t//in/us

Übersetzung:

Diese (Schale) hat der Apotheker den (Rats)herren geschenkt. Matthias van der Most 1476. (A) Sei gegrüßt, Maria. (B)

Wappen:
van der Most4)

Kommentar

Im Vergleich zur sonstigen Ausführung der Schale wirken die Buchstaben der Inschrift A in einer stark ausgeprägten frühen Form der frühhumanistischen Kapitalis in ihrer Ausführung sehr kunstlos, besonders auffällig die beiden überproportional großen O. Als typische Buchstaben der frühhumanistischen Kapitalis finden sich hier A mit gebrochenem Mittelbalken, byzantinisches M sowie N mit eingezogenem Schrägbalken. Es fehlen jedoch Nodi oder andere Merkmale dieser Schrift. Auffallend ist der Variantenreichtum bei M, das einmal als kapitales M mit schrägen Hasten, einmal mit geraden Hasten und einem in einen Mittelschaft übergehenden Mittelteil und einmal als byzantinisches M mit geraden Hasten, Balken und Mittelschaft vorkommt. Gerade im Vergleich zu der aufwendigen Goldschmiedeminuskel des Gegenstücks erscheint die Ausführung der einzelnen Buchstaben der Stifterinschrift äußerst schlicht.

Die Kreuzchen auf der Mitra des Ambrosius werden seit Schröder – ebenso wie das Kreuzchen über dem Beginn der Inschrift – als Meisterzeichen des Goldschmieds Cord van Hagen gedeutet (vgl. dazu Nr. 136 u. Nr. 257).5) Es ist allerdings fraglich, ob es sich nicht einfach um den Schmuck der Mitra handelt.

Der Lüneburger Apotheker Matthias van der Most ist im Jahr 1442 zusammen mit seiner Ehefrau Geseke, der Tochter des Albert von Gandersem, erwähnt.6) Da die Kämmereirechnungen erst im Jahr 1443 einsetzen und er unter den Bürgeraufnahmen nicht verzeichnet ist, lässt sich nicht feststellen, wann Matthias van der Most nach Lüneburg kam. Seine Ehefrau Geseke starb im Jahr 1468,7) Matthias van der Most im Jahr 1476.8) Das Ehepaar hinterließ keine überlebenden Kinder.9) Sein Testament verfasste der offensichtlich sehr vermögende Apotheker bereits am 22. September 1474.10) Darin verfügte er: so scholen mynen testamentarii maken laten eyne grote sulverne schale, so de ene is, der uppe deme radhusze twe syn, unnd scholen de geven uppe dat radhusz, dar scholen se myner dencken. Auch sonst sorgte Matthias van der Most, der an St. Johannis beigesetzt werden wollte, testamentarisch für sein Gedächtnis und das seiner Ehefrau Geseke, indem er zahlreiche kirchliche Institutionen bedachte, darunter auch den Kaland an St. Johannis. Dafür sollten die Kalandsherren jährlich an seinem eigenen Todestag und dem seiner Ehefrau Vigilien und Seelenmessen abhalten und uns beden ok denne to hope und scholen singen de antiphonen na der vigilien Salva regina unnd des morgens vor der zelemissen Alma redemptoris und na der missen Recordare virgo mater. Diese detaillierten testamentarischen Vorschriften für die Gestaltung der Liturgie zum Jahrgedächtnis der Verstorbenen stellen in den Lüneburger Testamenten die Ausnahme dar. Einer weiteren Bestimmung des Testaments zufolge wurde am Cosmas- und Damian-Altar in St. Johannis eine Kommende eingerichtet.11) Auch hier machte sich der Verfasser des Testaments Gedanken dazu, wie die drei wöchentlichen Messen an diesem Altar vlitigen von dem jeweiligen Amtsinhaber abgehalten werden sollten, jedoch ohne die anderen Gottesdienste in St. Johannis zu stören, wie er ausdrücklich vermerkte. Den einzusetzenden Vikar, Matthias Votmann von St. Gertruden, benannte Matthias van der Most in seinem Testament ebenso wie zwei potentielle Nachfolger, falls die Stelle vakant werden sollte. Dem Testament lässt sich auch entnehmen, dass der Apotheker in neun geistlichen Bruderschaften Lüneburgs Mitglied war, darunter auch – zusammen mit seiner Ehefrau – in der Kalandsbruderschaft an St. Johannis, in deren Verzeichnis der verstorbenen Mitglieder er im Jahr 1476 als Mathias apotecarius genannt ist.12)

Textkritischer Apparat

  1. Schlingenförmige 4 und lambdaförmige 7.

Anmerkungen

  1. Inv. Nr. 1874,393.
  2. Gebhardi, Collectanea, Bd. 2, p. 198. Gebhardi nimmt irrtümlich an, alle vier Kirchenväter hätten Bücher mit ihren Namen darin getragen.
  3. Mariengebet nach Lc. 1,28. CAO, Nr. 1041, u. Cantus Database, u. a. ID 001041, 001042, 001539.
  4. Wappen van der Most (drei Zweige mit Blatt nach oben und Weintraube nach unten abhängend, 2:1).
  5. Schröder, Ratssilber, Werke (o. S.), Nr. 24, Meister, [S. 8]. Rosenberg, Merkzeichen, S. 279, Nr. 3230, verzeichnet die Kreuze als Zeichen eines unbekannten Meisters.
  6. StA Lüneburg, UA b: 1442 April 12. Es geht in der Urkunde um den Verkauf einer Rente an einem Haus in der Bäckerstraße.
  7. Bodemann, Brüderschaften, S. 105.
  8. Bodemann, Brüderschaften, S. 105, dort unter dem Jahr 1476 verzeichnet. Vgl. a. StA Lüneburg, UA b: 1476 Juli 26 (als verstorben erwähnt).
  9. StA Lüneburg, UA b: 1476 Juli 26.
  10. Reinhardt, Testamente, Nr. 244, S. 373–377.
  11. Matthaei, Vikariestiftungen, S. 162. StA Lüneburg, UA b: 1476 November 12. Nach Matthaei befand sich der Altar am fünften nördlichen Mittelschiffspfeiler unter der Orgel.
  12. Bodemann, Brüderschaften, S. 105.

Nachweise

  1. Gebhardi, Collectanea, Bd. 2, p. 198 (A).
  2. Albers, Rathaus, S. 49 (A).
  3. Mithoff, Kunstdenkmale Fürstentum Lüneburg, S. 193 (A nach Albers).
  4. Krüger/Reinecke, Kunstdenkmale, S. 296 (A).
  5. Schröder, Ratssilber, Werke (o. S.), Nr. 24 (A).
  6. Appuhn, Ratssilber, Nr. 5, S. 12 (A).
  7. Kat. Stadt im Wandel, Bd. 2, Nr. 869c, S. 989 mit Abb. (A) – Bursche, Ratssilber, Nr. 5, S. 107–109, hier S. 107, Abb. S. 109 (A).
  8. Netzer, Ratssilber, Nr. 5, S. 58 (A).

Zitierhinweis:
DI 100, Stadt Lüneburg, Nr. 139 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di100g019k0013904.