Inschriftenkatalog: Stadt Darmstadt und Landkreise Darmstadt-Dieburg sowie Groß-Gerau

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 49: Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau (1999)

Nr. 294† Gernsheim, kath. Wallfahrtskapelle Maria Einsiedel 2. H. 16. Jh.

Beschreibung

Wandmalerei mit Inschriften im Langhaus, die 1912 bei den Renovierungsarbeiten unter mehreren Schichten von Tünche aufgedeckt wurden. Die Malerei zeigte einen Mann, der einen leeren Wappenschild hielt und mit Pelzschaube und Barett, einem Wams, weiten, faltigen Kniehosen, eng anliegenden Strümpfen und spitzen Schuhen bekleidet war. Unter ihm befand sich die Inschrift (A), während Inschrift (B) neben der Figur angebracht war. Inschrift (C) stand etwas weiter rechts von der Figur. Nach Blum waren die deutschen Buchstaben „in sogenannter Nürnberger Schrift gemalt, die Initialen rot und seltsam verschnörkelt“. Die Malereien wurden beseitigt, ohne abgezeichnet oder photographiert worden zu sein.1)

Nach Blum.

Schriftart(en): Fraktur.

  1. A

    homo intellige tria praese[ntia . . .]a)

  2. B

    vitae brevitatem / Die kürtze deines Lebens in erde / salvandoru(m) paucitatem / die kleine zal der Frommy of erde

  3. C

    et vitae emedare d[. . .]b)

Übersetzung:

(A) Mensch, erblicke diese drei gegenwärtigen ...

Kommentar

Die Texte waren vermutlich wesentlich umfangreicher als es die freigelegte Stelle erkennen ließ. Dies wird besonders in Inschrift (B) deutlich, wo ein Subjekt zu den beiden Akkusativobjekten fehlt. Der schlechte Erhaltungszustand der Malerei hat zudem offenbar einige Lesefehler bedingt. Der ehemalige Gernsheimer Pfarrer Jakob Blum schlug eine Datierung der Wandmalerei in die Zeit zwischen 1504 und 1508 vor, da in einem Ablaßbrief von 1493 die Wiederherstellung der Kirche gefordert wurde und in einer Urkunde von 1500 der Gernsheimer Pfarrer zusammen mit dem Amtmann Spenden für die Errichtung einer Kapelle zum hl. Kreuz erbat.2) Gegen diese Datierung spricht jedoch die Mitteilung Blums, daß die Inschrift in „Nürnberger Schrift“, also in Fraktur geschrieben war. Zwar kommen die ersten Frakturversalien im Bearbeitungsgebiet bereits 1518 und 1522 auf den Babenhausener Metallgrabplatten vor,3) doch bilden diese qualitativ hochrangigen Arbeiten eine Ausnahme. In allen anderen Fällen läßt sich eine Übernahme der Frakturversalien und der Fraktur allgemein erst ab 1550 beobachten.4) Für eine Datierung der Wandmalerei in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts spricht auch, daß die Protokolle des Mainzer Domkapitels zum 8. Februar 1531 berichten, Maria Einsiedel sei baufällig.5) Wann die Instandsetzung erfolgte, ist nicht bekannt, doch könnten dabei auch die Wandmalereien angebracht worden sein.

Textkritischer Apparat

  1. Laut Blum 26 war der Rest der Inschrift verwischt.
  2. Laut Blum 27 war das letzte Wort verstümmelt. Möglicherweise ist emendare debeat oder eine ähnliche Wendung zu lesen.

Anmerkungen

  1. Der Jahresbericht der Denkmalpflege III 117 f. erwähnt die Malereien bei seinem Bericht über die Renovierungsarbeiten nicht.
  2. Blum 14 und 17.
  3. Nrr. 142, 150.
  4. Nrr. 189, 191, 193.
  5. Herrmann, Protokolle 468.

Nachweise

  1. Blum, Gnadenort 26 f.
  2. Schuchert, Gernsheim (II) 114.

Zitierhinweis:
DI 49, Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Nr. 294† (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di049mz06k0029407.