Inschriftenkatalog: Stadt Darmstadt und Landkreise Darmstadt-Dieburg sowie Groß-Gerau

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 49: Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau (1999)

Nr. 288(†) Groß-Umstadt, Hanauer Gasse 1 / Markt (Rathaus) 1596, 1625

Beschreibung

Jahreszahl und Spruchinschriften am Rathaus. Die Jahreszahl (A) ist im Scheitel des Hauptportals eingehauen. Zwischen der zweiten und der dritten Ziffer ist ein Steinmetzzeichen (Nr. 30) angebracht. Auf dem von zwei Säulen getragenen Gebälk befinden sich eine Wappenkartusche und in dem Feld darüber zwei Vollwappen. Die Rollwerkkartusche der Bekrönung mit der Inschrift (B) stammt aus dem Jahr 1906.1) Die Inschrift war nach Winkelmann ursprünglich „mit goldenen Buchstaben“ über der Tür des Rathauses eingehauen. Eine weitere, nicht mehr erhaltene Inschrift (C) gehörte zu der Figur der Justitia, die links vom Zwerchhaus auf dem Traufgesims des Daches steht. Wo die Inschrift genau angebracht war, ist nicht bekannt.

(B) und (C) nach Winkelmann.

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Thomas G. Tempel) [1/2]

  1. A

    1596

  2. B†

    md salus populi suprema lex esto cxxv2)

  3. C†

    iustitia ius suum cuique distribuens3)

Übersetzung:

(B) Das Wohl des Volkes soll das höchste Gesetz sein. 1625. – (C) Die Gerechtigkeit, die jedem sein Recht zuteilt.

Wappen:
Groß-Umstadt; Kurpfalz; Hessen.

Kommentar

Das alte Rathaus wurde erst in den Jahren 1600/1601 abgebrochen, und in dieser Zeit begann man auch mit dem Bau des neuen Rathauses.4) Die ersten, vorbereitenden Arbeiten zum neuen Rathaus wurden aber bereits 1596 ausgeführt,5) worauf die Jahreszahl (A) Bezug nimmt. Für das in der Inschrift (B) genannte Jahr 1625 konnte bisher kein Zusammenhang mit der Baugeschichte des 16066) vollendeten Rathauses festgestellt werden.7) Vielleicht besteht hier ein Bezug zu den Kämpfen der Jahre 1622 und 1623 im Pfälzer Krieg, in dem Umstadt unter erheblichen Belastungen durch Einquartierungen zu leiden hatte. Der Sieg der ligistischen Truppen unter Tilly brachte es zudem mit sich, daß Umstadt 1623 vollständig an die Landgrafen von Hessen fiel.8) Auf diesen Umstand und den seit 1624 vorläufig wiederhergestellten Frieden könnte die Inschrift anspielen. Eine wesentlich spätere Anbringung als zu dem im Text genannten Jahr ist unwahrscheinlich, da sich Groß-Umstadt von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges nur langsam erholte und der Rathausbau bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts so zu verfallen begann, daß man ihn 1715 abreißen wollte.9) Zudem erschien Winkelmanns „Beschreibung von Hessen“ nach jahrzehntelanger Sammelarbeit bereits 1697, was ebenfalls eine Entstehung der Inschrift in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wahrscheinlich macht. Für Inschrift (C) ist kein Datum überliefert. Die Figur der Justitia wurde 1604 in Auftrag gegeben und noch in demselben Jahr auf dem Dach des Rathauses aufgestellt.10) Möglicherweise wurde gleichzeitig die Inschrift angefertigt, doch läßt sich auch eine etwas spätere Entstehung nicht ausschließen.

Anmerkungen

  1. Wickop, Jahresbericht der Denkmalpflege I 26 gibt für den Text der Kartusche an, er sei in den Akten bezeugt gewesen. Vermutlich hat er den Text jedoch bei Winkelmann gefunden, aus dessen Angaben sich freilich nicht entnehmen läßt, daß die Inschrift ursprünglich auf der Kartusche stand.
  2. Cicero, De legibus 3,3,8; vgl. Walther, Lateinische Sprichwörter II/4 Nr. 27445b und Liebs, Rechtsregeln 194.
  3. Paraphrase von Digesten 1,1,10pr. (Pseudo-Ulpian): „iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi“; vgl. Liebs, Rechtsregeln 106; vgl. auch Walther, Lateinische Sprichwörter II/2, Nr. 13289b und II/8 Nr. 37741 e.
  4. Sommer 9 und 44.
  5. Brenner 143.
  6. Die beiden vorgesetzten Säulen des Portals zeigten bis zu ihrer Erneuerung 1903 die eingemeißelten Buchstaben MDCV, die Schlußrechnung für den Bau stammt aus dem Jahr 1606, vgl. Brenner 141.
  7. Sommer 32 und 59.
  8. Schopp, Umstadt im 17. Jahrhundert 101 f.; zum Kriegsverlauf vgl. Schaab, Kurpfalz II 114 f.
  9. Sommer 45.
  10. Sommer 18 f.

Nachweise

  1. Winkelmann, Beschreibung 99.
  2. Herchenröder, Kdm. 138 (A, B).
  3. Spille, Rathäuser 173 (A).
  4. Kulturdenkmäler Darmstadt-Dieburg 226 (A, B).
  5. Sommer, Renaissance-Rathaus 31 f. und 33, Abb.(A, B).
  6. Brenner, Rathaus 140 f. (A, B).

Zitierhinweis:
DI 49, Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Nr. 288(†) (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di049mz06k0028808.