Inschriftenkatalog: Stadt Darmstadt und Landkreise Darmstadt-Dieburg sowie Groß-Gerau
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 49: Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau (1999)
Nr. 40 Kleestadt, Evangelische Kirche um 1450?, 1. H. 16. Jh.
Beschreibung
Namensbeischriften zu Evangelistensymbolen im Chorgewölbe. In den fünf Gewölbekappen des Chorschlusses sind die vier Evangelistensymbole und das Lamm Gottes dargestellt. Im Norden befindet sich der Engel des Matthäus (A), im Süden der Löwe des Markus (C), im Nordosten der Stier des Lukas (B) und im Südosten der Adler des Johannes (D). Die Symbole halten jeweils ein Spruchband mit der Namensinschrift. Die in mehreren Schichten überstrichenen gotischen Malereien wurden 1936 aufgedeckt, restauriert und ergänzt. Dabei wurde stellenweise auch eine Malschicht des 16. Jahrhunderts entfernt oder übermalt.1) Bei einer erneuten Restaurierung im Jahr 1963 wurde der gesamte Bestand der Malereien noch einmal sorgfältig untersucht. Dabei zeigte es sich, daß beim Stier des Lukas nur noch geringe Reste des gotischen Originals vorhanden waren, während es sich beim Adler des Johannes und beim Löwen des Markus vollständig um Nachbildungen von 1936 handelte. Unter den beiden Nachbildungen kam aber die gut erhaltene Fassung des 16. Jahrhunderts zum Vorschein, die die Evangelistensymbole wiederholt und die Minuskelinschriften durch Beischriften in Kapitalis ersetzt hatte. Da eine weitere Freilegung der gotischen Malerei nicht möglich schien, stehen heute bei den Symbolen von Markus und Johannes die Fassungen des 16. Jahrhunderts neben den Fassungen des 15. Jahrhunderts bei Matthäus und Lukas.2)
Schriftart(en): Gotische Minuskel. Kapitalis.
- A
s(anctvs) · maatevsa)
- B
s(anctvs) · lwcasb) ·
- C
M · · AR · C · V · S ·
- D
I · O · H · · A · N · N · E · S
Textkritischer Apparat
- Vermutlich aus mathevs verrestauriert. Auf Restaurierungsfehler weisen auch der überdimensionierte abgeknickte obere Bogenabschnitt des e sowie die senkrecht stehenden Zierstriche des Schluß-s hin.
- Sic! Das w ist möglicherweise das Ergebnis eines Restaurierungsfehlers.
Anmerkungen
- Herchenröder, Neuentdeckte Wandmalereien 367 – 370; Herchenröder, Kdm. 173 f. mit Abb. 163 und dazu Müller, Wandmalereien 273 und 275.
- Müller, Wandmalereien 275.
- Herchenröder, Kdm. 172 f. mit Abb. 160 f.
- Herchenröder, Neuentdeckte Wandmalereien 370.
- Vgl. Nr. 115 und Nr. 116.
- Herchenröder, Neuentdeckte Wandmalereien 370 f.: „In der Karmeliterkirche zu Frankfurt ... befindet sich auf dem Gewölbe des Chors eine Schar musizierender Engel. Diese Engel sind aus einem anderen Geist entstanden als die Kleestädter. Sie sind eine Generation weiter ...“.
- Herchenröder, Kdm. 173 f.
- Müller, Wandmalereien 277.
- Die Beischriften der Evangelistensymbole der ev. Pfarrkirche zu Effringen, die ebenfalls der 1. Hälfte des 16. Jh. zugeordnet werden, zeigen bei A, C, M und N vergeichbare Buchstabenformen. Die Buchstaben sind allerdings schlanker, und die Rechtsschrägenverstärkung fehlt, vgl. DI 30 (Lkr. Calw) Nr. 229 mit Abb. 61a – 61b.
- Müller, Wandmalereien 274.
Zitierhinweis:
DI 49, Darmstadt, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Nr. 40 (Sebastian Scholz), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di049mz06k0004000.
Kommentar
Aus den überarbeiteten gotischen Minuskeln der Inschriften läßt sich kein paläographischer Datierungsansatz mehr gewinnen. Herchenröder datiert die gesamte ältere Malschicht des Chors in die Zeit um 1450. Sie zeigt außer den Evangelistensymbolen des Matthäus und des Lukas auf der Nordwand des Vorjochs Szenen aus dem Leben Jesu, auf den Fensterpfeilern elf Apostel und in den Gewölbekappen neun musizierende Engel.3) Zunächst wies Herchenröder auf die stilistische Verwandtschaft zu den Wandmalereien in Babenhausen hin.4) Die Ausmalung des Langhauses in Babenhausen stammt aus der Zeit kurz nach 1472, und die Evangelistensymbole im Gewölbe der Seitenkapelle entstanden zwischen 1480 und 1504.5) Später sah er dann eine von ihm selbst zunächst abgelehnte Verwandtschaft der Kleestädter Engel6) zu den heute verlorenen musizierenden Engeln im Ostchor der Frankfurter Karmeliterkirche, die in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden.7) Müller folgte der Datierung Herchenröders auf die Zeit um 1450 ebenfalls unter Hinweis auf die Engel im Ostchor der Frankfurter Karmeliterkirche.8)
Bei der Kapitalis der Inschriften (C) und (D) sind das spitze A und das V mit Rechtsschrägenverstärkung gebildet. Das C zeigt eine deutliche Bogenverstärkung, und bei M reicht der nur aus zwei dünnen Strichen gebildete Mittelteil bis zur Zeilenmitte. Der Balken des H ist ebenso wie die Schräghaste des N als feiner Strich ausgeführt. Das R zeigt einen kleinen Bogen und eine fast gerade Cauda, die in der Mitte des unteren Bogenabschnitts ansetzt und in einem Sporn auf der Grundlinie endet. Die Hasten von H, M, N und R sind relativ breit. Die Bögen des S sind fast bis an den Mittelteil zurückgebogen und enden in weit ausgezogenen Serifen. Die nicht an klassischen Vorbildern orientierten Buchstabenformen weisen somit in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts.9) Otto Müller ordnet die Symbole des Markus und des Johannes aus stilistischen Gründen, die er aber nicht weiter präzisiert, in die Zeit zwischen 1520 und 1540 ein.10)