Inschriften: Santa Maria dell’Anima

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DIO 3: Santa Maria dell’Anima, Rom (2012)

Nr. 102† Santa Maria dell’Anima 1544

Beschreibung

Epitaph des Mediziners und Botanikers Valerius Cordus aus Hessen, genauer Standort nicht überliefert, vermutlich verschollen seit in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts durchgeführten Baumaßnahmen. Es handelte sich um eine schlichte hochrechteckige Tafel, lediglich geschmückt mit einem Volutenaufsatz, mit Beschlagwerk und Masken versehenen Bändern an den Seiten und einem floral verzierten Unterhang.

Beschreibung nach Rybisch, Text nach Schrader.

  1. A

    VALERIO CORDO SIMESVSIO HESSO EVRICII MEDICI ET POETAE FILIO INTEGRITATE MORIBVS INGENIO COMITATE PRAESTANTISSIMO DOCTORVM OMNIVM ADMIRATIONEM MERITO QVI NATVRAE OBSCVRITATEM ET HERBARVM VIRES ADHVC ADOLESCENS SENIBVS EXPLICAVIT CVM EXPLERI CVPIDITATE COGNOSCENDI NON POSSET PERLVSTRATA GERMANIA ITALIAM ADIIT VENETIIS IN HONORE HABITVS ET ROMAM VIX INGRESSVS CRVDELISSIMA FEBRE INTER AMICORVM LACRYMAS NON RECVPERABILI STVDIORVM IACTVRA FLORENTE AEVO EXTINGVITVR ANNO AETATIS SVAE XXVIIII HOMINI OPTIME MERITO SOCII GERMANI PIETATIS ERGO POSVERVNT ANNO SALVTIS HVMANAE M D XLIIII VII CALENDAS OCTOBRIS

  2. B

    NOSCERE PAEONIAS HERBAS VIRESQVE MEDENDIIAM NATVRA HOMINI FACTA NOVERCA NEGATINVIDIOSA NIMIS RAPVIT MONVMENTA VETVSTASNVNC ETIAM CORDVM MORS VIOLENTA TVLITHVNC EXTINCTVM IGITVR VITAE FLORENTIBVS ANNISTAM PROCVL A PATRIA CRIMEN APOLLO TVVM ESTLILIA SIC VIOLAEQVE CADVNT ABSYNTHIA FLORENTQVANTA EHEV REBVS DAMNA PARATA BONISITALIA HVIC TVMVLVM TRIBVIT GERMANIA VITAMQVI POTERAT NASCI CLARIVS ATQVE MORI

  3. C

    OBIIT M D XLIIIa) VII CALENDAS OCTOBRIS HORA V NOCTIS

  4. D

    INGENIO SVPEREST CORDVS MENS IPSA RECEPTA ESTCOELO QVOD TERRAE EST MAXIMA ROMA TENET.

Übersetzung:

(A) Für Valerius Cordus aus Simtshausen in Hessen, den Sohn des Euricius, des Arztes und Poeten. Durch seinen unbescholtenen Charakter, sein Talent und seine außerordentliche Liebenswürdigkeit verdiente er sich die Bewunderung aller Doktoren, erklärte das Geheimnis der Natur und die Kräfte der Pflanzen schon als Jüngling den Greisen, kam nach der Durchwanderung Deutschlands, da sein Erkenntnisdrang nicht zu stillen war, nach Italien, wurde zu Venedig in großen Ehren gehalten, kaum aber in Rom angelangt, wurde er durch ein höchst grausames Fieber in blühendem Alter von 29 Jahren ausgetilgt, während die Tränen der Freunde über den unersetzlichen Verlust für die Wissenschaft flossen. Die deutschen Freunde errichteten (dieses Denkmal) aus Pflichtgefühl diesem sehr verdienten Menschen gegenüber im Jahr des menschlichen Heils 1544, sieben Tage vor den Kalenden des Oktobers (25. September).

(B) Die Natur, bereits zur Stiefmutter geworden, verweigert dem Menschen die Kenntnis der Arzneipflanzen und der heilenden Kräfte. Das allzu missgünstige Alter hat die Denkmäler weggenommen, und jetzt hat der gewalttätige Tod auch Cordus hinweggerafft. Dass dieser also in blühenden Lebensjahren ausgelöscht wurde, so fern der Heimat, ist dein Verbrechen, Apoll. So fallen die Lilien und die Veilchen, der Wermut blüht auf; o weh, welch große Verluste sind den guten Dingen bereitet! Italien gab ihm das Grabmal, Deutschland das Leben. Wer konnte glanzvoller geboren werden und sterben?1)

(C) Er starb 1544, sieben Tage vor den Kalenden des Oktobers zur fünften Stunde der Nacht.

(D) Cordus bleibt dem Geist nach hier, seine Seele weilt oben im Himmel, was der Erde gehört, birgt das gewaltige Rom.

Versmaß: Sechs Distichen.

Kommentar

Valerius2) wurde am 18. Februar 1515 als Sohn des damals in Kassel als Rektor der Lateinschule amtierenden Euricius Cordus3) und seiner Frau Kunigunde Dünnwald geboren. 1531 erwarb er das Baccalaureat an der Universität Marburg, studierte danach bis 1534 an der Universität Wittenberg Medizin (und Botanik) und lehrte dort anschließend als Professor. Um die Pflanzenwelt real studieren und beschreiben zu können, unternahm er ausgedehnte Fußreisen nach Sachsen, Thüringen, Böhmen, Österreich und kam schließlich in Begleitung des Nürnberger Gelehrten Hieronymus Schreiber 1542 nach Italien, wo er in der Umgebung von Padua zwei Jahre verbrachte. Auf einer weiteren Forschungsreise Richtung Süden wurde er von einem Hufschlag am Schenkel getroffen und verstarb an den Folgen dieser Verletzung (vermutlich an Wundfieber) wenige Tage nach seiner Ankunft in Rom. Dort entging der Leichnam des protestantischen Gelehrten offensichtlich nur dank außergewöhnlicher Bemühungen seiner ihn begleitenden Freunde4) dem damals für Protestanten (und andere „Ketzer“) offenbar üblichen Schicksal, in den Tiber geworfen zu werden5). Einige in den Distichen verwendete Anspielungen verweisen nicht nur auf die Biographie6), sondern auch auf den humanistisch-gelehrten Hintergrund7) des Verstorbenen und seiner Freunde.

Der ungewöhnliche, nicht nur theologisch hochinteressante Vorgang um seinen Tod und sein Begräbnis in Rom hatte folgenden Hintergrund und spielte sich vermutlich so ab8): Um von römischen Ärzten wiederholt untersucht und behandelt werden zu können, musste der scheinbar an gefährlicher Krankheit Leidende zunächst seine Sünden gebeichtet und die Kommunion empfangen haben. Die kommenden Probleme offensichtlich ahnend, ließ Cordus einen deutschen Priester von eher schlichtem Gemüt („hominem indoctum, sed non malum“) rufen, beichtete ihm seine Sünden, verlangte die Absolution und zudem, wenn es möglich wäre, das Abendmahl in beiderlei Gestalt („si fieri posset, Eucharistiam sub utraque specie“). Dieses den Sterbenden offensichtlich als Protestanten entlarvende Ansinnen wies der Priester naturgemäß zurück und antwortete, wenn er das tue, dann würde ihm nicht nur die Folter drohen („paratos sibi carceres et ignes“), sondern alle Deutschen in Italien würden sofort der Häresie verdächtigt werden. Der also ohne den Empfang des Abendmahls zurückgelassene Cordus tröstete sich mit der ihm offenbar gut bekannten Augustinus-Sentenz „glaube, und du hast gegessen“ („crede, et manducasti“)9); der Priester hingegen verbreitete die Nachricht, der Kranke habe zwar fromm gebeichtet, aber vor Angst, er könnte wegen seiner Krankheit die Hostie verschlucken, das Abendmahl nicht empfangen. Dennoch scheint der Vorgang in Rom große Aufmerksamkeit erregt zu haben und schnell zur Kenntnis der Kleriker der päpstlichen Pönitentiarie gelangt zu sein, die äußerst aufgebracht damit drohten, falls Cordus vor seinem Tod das Abendmahl nicht empfangen habe, seinen Leichnam in den Tiber zu werfen („cadaver, ni ante obitum aeger communicaret, in Tyberim proiecturos minitari“). Wie es seine Freunde letztlich dann doch erreicht hatten, dass Cordus in der Anima begraben werden konnte, wird aus der vorliegenden Quelle nicht ganz klar, offensichtlich erhielt er von dem gleichen, von den Freunden unter inständigen Bitten wieder ans Krankenbett gerufenen Priester die letzte Ölung und vermutlich auch die Kommunion; so sorgten sie nicht nur dafür, dass der Tote christlich begraben werden konnte, sondern auch für ihre eigene Sicherheit („sic tum sepulturam mortuo, tum sibi securitatem procurant“).

Valerius Cordus hinterließ eine Vielzahl naturhistorischer und botanischer Schriften, darunter das berühmte „Dispensatorium pharmacorum omnium“ von 1536, welches als die älteste in Deutschland gebrauchte Pharmakopoe (Arzneibuch, Vorschriften für die Arzneibereitung) gilt. Offensichtlich waren den römischen (katholischen) Antiquaren des 17. und 18. Jahrhunderts die diffizilen Umstände seines Begräbnisses bekannt, da seine Inschrift nicht - wie gewohnt - von ihnen, vielmehr lediglich in einem 1589 in Breslau erschienenen Sammelwerk mit Inschriften „clarorum doctrina virorum“ sowie von Lorenz Schrader, einem (protestantischen) Reisenden und Wissenschaftler Ende des 16. Jahrhunderts, überliefert worden ist.

Textkritischer Apparat

  1. Sic!

Anmerkungen

  1. Für die Übersetzung der Distichen und damit zusammenhängende weiterführende Hinweise danke ich meinem Mainzer Kollegen PD Dr. Michael Oberweis, Schreiben vom 24. Februar und 21. September 2012.
  2. Vgl. zum Folgenden ausführlich die biographische Skizze von Adam, Vitae sowie die darauf basierenden Kurzbiographien in ADB und NDB.
  3. Eigentlich Heinrich Ritze (gen. Eberwein); – 1486 als Sohn eines Müllers im oberhessischen Simtshausen (heute Mittelsimtshausen, Ortsteil von Münchhausen, Lkrs. Marburg-Biedenkopf) geboren, übernahm er 1527 den ersten Lehrstuhl für Medizin an der neu gegründeten protestantischen Universität in Marburg und erlangte sowohl als Humanist und Verfasser satirischer Epigramme als auch als Arzt und Botaniker europaweite Bekanntheit, vgl. dazu Dolezal, Cordus pass., Bryan, Cordus pass. sowie zuletzt Aumüller, Marburg pass. und Dilg, Cordus pass.
  4. Es handelte sich neben dem genannten Hieronymus Schreiber um den Kölner Medizinstudenten Cornelius Sittard und den aus Preußen stammenden Nikolaus Fridewald. Auf Kosten und Wunsch der Augsburger Patriziersöhne Johann Baptist und Paul Heinzelius (Haintzel) verfassten die Freunde die Inschrift und ließen das Grabdenkmal herstellen.
  5. Vgl. dazu grundsätzlich Sprenger, Gegenpapst pass.
  6. Apoll wird hier sicherlich als Gott der Heilkunst verstanden, wobei das ihm zur Last gelegte Verbrechen darin besteht, dass er Cordus trotz aller ärztlichen Bemühungen nicht am Leben gelassen hat. Die verwendete Pflanzensymbolik erklärt sich fast von selbst, wobei der Wermut (etwa nach Apokalypse 8, 11) als Symbol für Bitterkeit und Heimsuchungen gilt.
  7. So wird etwa der merkwürdige, vermutlich auf Epikur zurückgehende natura-noverca-Topos von antiken Schriftstellern ebenso rezipiert wie von Augustinus, der in Zusammenhang mit dem Ende des Goldenen Zeitalters aus dem verlorenen dritten Buch aus Ciceros De re publica zitiert „... hominem dicit non ut a matre sed ut a noverca editum in vitam“ (Augustinus, Contra Julianum IV, 1260): Vorher war die Natur dem Menschen wie eine Mutter, danach eben wie eine Stiefmutter.
  8. Die Szene wird bei Adam, Vitae in allen Einzelheiten geschildert. Als Quellen des verlässlich erscheinenden Berichts dienten u. a. Briefe des erwähnten Augenzeugen Hieronymus Schreiber.
  9. „Quid paras dentem et ventrem? Crede et manducasti“ (Augustinus, Tractus in Euangelium Ioannis, tract. 46/8). Dahinter steht die Vorstellung, dass bereits die kontemplative Anschauung der Hostie als eine Art geistliche Kommunion anzusehen sei, die einen vollständigen Ersatz für die tatsächliche Kommunion darstelle, vgl. dazu Meyer, Elevation 27f.

Nachweise

  1. Rybisch, Monumenta Taf. 17 (Nachzeichnung).
  2. Schrader, Mon. Italiae145.
  3. Chacon, S. Maria de Anima 225.
  4. Adam, Vitae 42.
  5. Sweertius, Selectae 33f.
  6. Boxhorn, Monumenta Abb. S. 35 (nach Rybisch).
  7. Forcella 3 Nr. 1099.
  8. NN., Inschriften fol. 319.

Zitierhinweis:
DIO 3, Santa Maria dell’Anima, Rom, Nr. 102† (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio003r001k0010200.