Inschriften: Santa Maria dell’Anima
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DIO 3: Santa Maria dell’Anima, Rom (2012)
Nr. 89 Santa Maria dell’Anima (1523) 1529
Beschreibung
Epitaph des Papstes Hadrian VI., an der nördlichen Wand des Chors eingebaut. Mehrteiliges monumentales Grabdenkmal aus Carrara- und Buntmarmor in Form einer Ädikula mit Dreiecksgiebel, Mitte des 18. Jahrhunderts im oberen Bereich durch den Einbau seitlicher Oratorienbalkone stark verändert1). In der Mitte des Sockels eine querrechteckige, in Voluten auslaufende Tafel mit der elfzeiligen Grabinschrift (E), auf den beiden leicht vortretenden Seitenteilen jeweils das gleiche, von Putten gehaltene Vollwappen des Kardinals Wilhelm van Enckenvoirt. Darüber ein hohes Geschoss mit vier Halbsäulen, die eine erhöhte rundbogige Mittelnische und zwei schmälere zweigeschossige Seitennischen bilden. Eine im Boden vor dem Epitaph eingelassene, bisher vom Chorgestühl verdeckte und daher unbekannte Namensinschrift (F) kam am 25. Juni 2011 während Renovierungsarbeiten zum Vorschein.
In der zurückgesetzten Mittelnische unten ein querrechteckiges Relief mit der Darstellung des Einzuges Papst Hadrians VI. in Rom: Die Mitte des Reliefs nimmt der auf einem reich geschmückten Pferd in die Stadt reitende Papst ein, bekleidet mit Rochett und Mozetta, Camauro und Hut, die Rechte segnend erhoben. Hinter ihm ist sein aus Beamten und geistlichen Würdenträgern2) zu Pferd sowie Hellebardenträgern zu Fuß bestehendes Gefolge zu sehen, vor ihm zwei ihn geleitende, Vortragekreuz und Hellebarde tragende Landsknechte. Empfangen wird Hadrian von einem bärtigen knienden Mann3) und von einer mit Inschrift (C) bezeichneten, ihm mit verschränkten Armen entgegengehenden, antikisch gewandeten und behelmten Frau – der Personifikation der Stadt Rom –, die von drei weiblichen Personen und einem Kind begleitet wird. Den Hintergrund der Szene bilden zivile und kirchliche Bauwerke der Stadt Rom, im einzelnen (von links nach rechts) ein offenes Stadttor, das durch die dahinter sichtbare Aurelianische Mauer und die mit Inschrift (D) versehene Cestius-Pyramide leicht mit der damaligen Porta Ostiensis (heute Porta S. Paolo) zu identifizieren ist. Dann folgen ein schmaler und ein breiter Turm, die Curia, die „Kapelle der Begegnung von Petrus und Paulus“ sowie der Glockenturm von St. Paul vor den Mauern (S. Paolo fuori le mura). Weiterhin wird die Stadt durch die rechts im Vordergrund liegende Personifikation des Tibers mit Füllhorn sowie die Wölfin mit Romulus repräsentiert.
Über dem Relief befindet sich ein mit dem Papstnamen (A) sowie dem Papstwappen geschmückter Wannensarkophag, auf dem Hadrian in Pontifikalkleidung mit geschlossenen Augen wie schlafend liegt, das mit der Tiara bekrönte Haupt auf die Linke gestützt, seitlich halten kauernde Putten umgekehrte Fackeln. Die beiden seitlichen, mit den Personifikationen der vier Kardinaltugenden (unten links „Fortitudo“ mit Löwe, rechts „Justitia“ mit den gleichlangen Federn des Straußes; oben links „Temperantia“ mit den Zügeln der Mäßigung, rechts „Prudentia“ mit Spiegel und Schlange) besetzten Rundbogennischen werden in der Mitte von einem horizontal verlaufenden Band mit der Spruchinschrift (B) durchschnitten. Der durchlaufende Architrav oberhalb des Sarkophags wird durch eine Lünette geschlossen, die ein Relief der Muttergottes mit dem Kind zwischen Petrus und Paulus füllt. Die Bogenzwickel sind mit fliegenden Genien geschmückt, die Tiara und Palmzweig bzw. Schlüssel und Lorbeerzweig in den Händen halten. Sie waren ursprünglich von den figürlichen Darstellungen der Tugendallegorien „Fides“ und „Spes“ flankiert, eine weitere Figur, „Caritas“, diente neben vier großformatigen Flammenvasen als Bekrönung des Giebels4). Flammenvasen und Tugenden wurden im Zuge der barocken Umgestaltung des Chors entfernt, die Figur der „Fides“ wurde statt der der „Caritas“ auf die Giebelspitze gestellt, und die „Spes“ erhielt ihren Platz auf dem gegenüberliegenden Jülich-Kleve-Bergschen Epitaph5). Der Verbleib der „Caritas“ und der vier Flammenvasen ist unbekannt6).
Maße: Br. 520, Bu. 1,5 (C), 3-4,5 (E), 9 (F) cm.
Schriftart(en): Kapitalis.
- A
ADRI//ANVS / • VI • // • P(A)P(A) •
- B
PROH DOLOR // QVANTVM REFERT IN QVAE TEMPORA VEL OPTIMI CVIVSQ(VE) // VIRTVS INCIDAT7)
- C
ROMA
- D
• S(EPVLCRVM) • / • C(ESTII)a)
- E
HADRIANOb) • VI • PONT(IFICI) MAX(IMO) EX TRAIECTO INSIGNI INFER(IORIS) GERMANIAE VRBE / QVI DVM RERVM HVMANAR(VM) MAXIME AVERSATVR SPLENDOREM / VLTRO A PROCERIB(VS) OB INCOMPARABILEM SACRAR(VM) DISCIPLINAR(VM) SCIENTIAM / AC PROPE DIVINAM CASTISSIMI ANIMI MODERATIONEM / CAROLO • V • CAES(ARI) AVG(VSTO) PRAECEPTOR ECCLE(SIAE) DERTVSENSI(S) ANTISTES / SACRI SENATVS PATRIBVS COLLEGA HISPANIAR(VM) REGNIS PRAESES / REIPVB(LICAE) DENIQ(VE) CHRIST(IANAE) DIVINITVS PONTIF(EX) ABSENS ADSCITVS / VIX(IT) ANN(OS) LXIIII MEN(SES) VI D(IES) XIII / DECESSIT XVIII K(A)L(ENDAS) OCTOB(RIS) AN(NO) A PARTV VIRG(INIS) MDXXIII PONT(IFICATVS) SVI ANNO / II / WILHELMVS ENCKENVOIRT ILLIVS BENIGNITATE ET AVSPICIIS T(I)T(VLI) S(ANCTORVM) IO(ANNIS) / ET PAVLI PRESB(YTER) CARD(INALIS) DERTVSEN(SIS) FACIVNDVM CVR(AVIT)
- F
ADRIANVS • VI • P(A)P(A)c)
Übersetzung:
(A, F) Hadrian VI., Papst. – (B) Oh Schmerz! Wie viel hängt davon ab, in welche Zeiten auch des besten Mannes Wirken fällt! – (D) Grab des Cestius. – (E) Für Papst Hadrian VI. aus Utrecht, einer ausgezeichneten Stadt in Niederdeutschland8), der, obgleich er dem Glanz irdischer Dinge äußerst abgeneigt war, von den Vornehmsten wegen seiner unvergleichlichen Kenntnisse in den heiligen Wissenschaften und der beinahe göttlichen Enthaltsamkeit einer überaus reinen Seele zum Lehrer Kaiser Karls V., zum Bischof der Kirche von Tortosa, zum Kollegen der Väter des heiligen Senats (des Kardinalskollegiums), zum Statthalter der spanischen Reiche und schließlich auf Gottes Eingebung in Abwesenheit zum Oberpriester des christlichen Staates berufen worden ist. Er lebte 64 Jahre, 6 Monate, und 13 Tage; starb am 18. Tag vor den Kalenden des Oktobers (14. September) im Jahr nach der Niederkunft der Jungfrau 1523, im zweiten Jahr seines Pontifikats. Wilhelm (van) Enckenvoirt, durch dessen Güte und Voraussicht Kardinalpriester von St. Johann und Paul sowie (Bischof) von Tortosa, hat (dieses Denkmal) machen lassen.
Enckenvoirt9)Enckenvoirt |
Papst Hadrian VI.10) |
Textkritischer Apparat
- Die Auflösungen sind hypothetisch.
- Sic! Sowohl vor als auch nach seiner Wahl schrieb er sich stets Adrian(us).
- Die ehemals in Bronze ausgeführten Lettern fehlen.
Anmerkungen
- Unter der Leitung des Architekten Paolo Posi wurde zwischen 1747 und 1751 neben der Kirche auch der Chorbereich barockisiert und dadurch stark verändert. Beim Grabdenkmal Hadrians wurden das 3. Nischengeschoss reduziert, die Tugenden im oberen Geschoss versetzt und die originalen Fresken zerstört; vgl. dazu Lohninger 138ff. und die hinten links im Chor angebrachte Restaurierungsinschrift aus dem Jahr 1751. – Den ursprünglichen Zustand des Grabdenkmals geben die 1554 angefertigte Zeichnung von Colonna da Tivoli und ein Kupferstich von dem aus Brüssel stammenden Nicolaus van Aelst aus dem Jahre 1591 (vgl. Abb.) wieder; zudem ein vor 1638 von dem in der Anima begrabenen Protonotar Johannes Savernier in Auftrag gegebener, seit 1677 mehrfach nachgedruckter Kupferstich von Matthias Greuter, der allerdings im oberen Teil zusätzlich vier Münzbilder hinzufügte; vgl.die Abb. bei Chacon, Vitae 2, 439f. Eine weitere Zeichnung des späten 18. Jh. erwähnt Götzmann, Grabmal 82 Anm. 46.
- Schmidlin 268 identifiziert die beiden direkt auf Hadrian folgenden, in spanischer Edeltracht gekleideten Personen als den Oberarzt Dr. von Agreda und als den flämischen Oberkämmerer Peter von Rom.
- Es dürfte sich um den die weltliche Macht verkörpernden, dem Papst die Schlüssel der Stadt übergebenden Senator der Stadt Rom handeln. Die Figur wird bis heute gelegentlich aufgrund der äußerlichen Ähnlichkeit mit Kardinal Wilhelm van Enckenvoirt identifiziert (so zuletzt Bredekamp 264), einer Deutung, der bereits Traeger, Papst 78 mit Hinweis auf die Kleidung widersprochen hat.
- Die auf dem Stich von Greuter (wie Anm. 1) zwischen die Flammenvasen gemalten vier Münzbilder bzw. Medaillons Hadrians VI. (deren ursprüngliche Existenz noch Buchowiecki, Handbuch 421 annimmt) waren in Wirklichkeit nicht vorhanden und stellen einen Zusatz Greuters dar; vgl. dazu oben Anm 1. Dagegen fielen die von B. Peruzzi ausgeführten, das Grabmal rahmenden Fresken mit der Darstellung der beiden von Hadrian kanonisierten Bischöfe Antonius Pierozzi und Benno von Meißen der barocken Umgestaltung des Chors zum Opfer; vgl. dazu Götzmann, Grabmal 82f.
- Epitaph des 1575 in Rom verstorbenen und in der Anima beigesetzten Prinzen Karl Friedrich von Jülich-Kleve-Berg, vgl. dazu ausführlich Diedenhofen, Tod in Rom pass.
- Nach Lohninger 141f. wurde die Figur der Caritas dem Bildhauer gegeben, der zwischen 1747 und 1751 den Chor und die darin befindlichen Grabdenkmäler umgestaltet hatte.
- Devise in Anlehnung an Plinius d. Ä., Naturalis historia, lib. 7, 106. „Etenim plurimum refert in quae cuiusque virtus tempora inciderit“ (zit. nach Götzmann, Grabmal 76 Anm. 24).
- Niederdeutschland ist hier lediglich die wörtliche Übersetzung des damals in Rom üblichen Begriffs für das Gebiet der ehemaligen römischen Provinz, in dem Utrecht liegt. Die Stadt gehörte zur Zeit Hadrians VI. zu den burgundischen Niederlanden und war damit Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Im 16. und 17. Jh. war auch die Bezeichnung „Nederduytsche tale“ für diese Gegend gebräuchlich, vgl. dazu ausführlich Verweij, Vlaams 14ff.
- Drei 2:1 gestellte Adler, darüber Bischofs- bzw. Kardinalshut mit beiderseits je 6 Quasten.
- Quadriert: 1/4. drei 2:1 gestellte Wolfsangeln, 2/3. ein gekrönter Löwe; darüber Tiara, hinterlegt von zwei gekreuzten Schlüsseln mit beiderseits je einer Quaste. – Das ursprüngliche Wappen Hadrians bestand aus den drei Wolfsangeln (so auf seinem von ihm 1517 erbauten Haus in Utrecht), erst als Papst quadrierte er seinen Schild und fügte die Löwen hinzu; vgl. dazu Pastor 26 Anm. 2.
- Hadrian hatte keinen Familiennamen. Er nannte sich mit bürgerlichem Namen Adriaan Floriszoon Boyens, auch Adriaan Florisz d' Edel oder Adrianus Florencii, unterschrieb aber auch als Adriaen van Utrecht oder Adrianus de Trajecto; vgl. zum Leben Hadrians nach wie vor Pastor 2ff. sowie die einzelnen Beiträge und die dort zitierte neueste Literatur in dem 2009 zum 550. Geburtstag Hadrians von M. Verweij hg. Katalog „De Paus uit de Lage Landen“ sowie zuletzt seine 2011 erschienene Monographie Adrianus VI.
- Vgl. dazu ausführlich Traeger, Papst 71ff.
- Das Grab lag zwischen den Gräbern seiner Vorgänger, der Päpste Pius II. und Pius III. (vgl. dazu die Skizze bei Houtzager, Le tombeau 219 sowie Verweij, Grafschrift 306) und trug folgende Inschrift D(EO) O(PTIMO) M(AXIMO) / HADRIANVS SEXTVS HIC SITVS EST: QVI NIHIL SIBI INFELICIVS IN VITA / QVAM QVOD IMPERARET DVXIT (Dem besten und größten Gott. – Hier liegt Hadrian VI., der über nichts in seinem Leben unglücklicher war, als dass er herrschen musste).
- Vgl. zur Interpretation des Zitats im eigentlichen Zusammenhang Götzmann, Grabmal 291.
- Vgl. dazu ausführlich Bejczy, Cardinal Virtues pass. und zur eigenwilligen Ikonographie der Figuren Götzmann, Grabmal 78ff. – Diesen Aspekt seiner Persönlichkeit spiegelt eindrücklich die anlässlich seines Todes von dem Humanisten Conrad Vecerius gehaltene Grabrede wider, die möglicherweise den Text der späteren Grabinschrift in der Anima beeinflusste; vgl. dazu Götzmann, Römische Grabmäler 235.
- Vgl. zur neueren Forschungsliteratur über das Grabdenkmal Hadrians den ausgezeichneten Aufsatz von Götzmann, Grabmal pass; speziell zu den drei Künstlern ebd. 72f. und zu Molossi ebd. 76. Kajanto 104 macht zurecht darauf aufmerksam, dass es sich bei dem von Molossi verwendeten Latein um das auf die Antike zurückgreifende sogenannte Ciceroianisch ("unalloyed Ciceronianism") handelt und weist etwa auf den Austausch des zeitüblichen "collegium cardinalis" mit SACRI SENATVS PATRIBVS der Inschrift hin. – In der Biblioteca Communale in Siena hat sich ein wohl von Peruzzi gezeichneter Entwurf des Grabdenkmals erhalten, vgl. dazu Houtzager, Le tombeau 226 mit Abb.71.
- Er stellte dafür 1000 Dukaten bereit, vgl. dazu Burmannus, Hadrian VI., 505. – Enckenvoirt starb 1534 und wurde ebenfalls in der Anima begraben; vgl. zu seinem Grabdenkmal Nr. 98.
- Peruzzi orientierte sich dabei von der Gesamtkonzeption her einerseits am traditionellen dreigeschossigen römischen Grabmaltyp mit dem Motiv des Triumphbogens und der Wiedergabe des Verstorbenen als Schlafenden in der Mitte, andererseits bei der Konzeption des Mittelteils mit querrechteckiger Inschriftentafel, Relief mit der Darstellung einer zentralen geschichtlichen Begebenheit, Sarkophag und Madonnenrelief an den erstmals so gestalteten Grabdenkmälern für die Päpste Pius II. (†1464) und Pius III. (†1503) in S. Andrea della Valle; vgl. dazu Montini, Tombe 285ff. und Götzmann, Sepulchra 283f.
- Vgl. dazu Schmidlin, Anima 288f. – Lib. Mort. fol. 12 gibt den 12. August 1530 als Datum der Überführung an.
- Vgl. dazu Hocks, Papst 169.
- So Götzmann, Ehrung 99.
Nachweise
- Colonna da Tivoli, Zeichnung des Grabmals Hadrians VI. 1554 (abgebildet bei Götzmann, Sepulchra 285 Abb. 3).
- van Buchell (Buchellius), Iter Italicum 55 (B).
- Chacon, Romanas Epitafios fol. 184v.
- van Aelst, Kupferstich des Grabmals Hadrians VI., 1591 (abgebildet bei Verweij, Drie monumenten 410).
- Chacon (Ciaconius), Vitae 3, 438 (B, E), 439f. mit Abb. (Kupferstich von Matthias Greuter 1677).
- Moringus, Vita 80 (E) mit Abb. (Kupferstich von Matthias Greuter 1727).
- Magalotti 5 S. 783 (E).
- Foppens, Bibliotheca Belgica 24f.
- Mon. Sepulcralia 13f.
- Forster, Inschriften fol. 1r.
- Gaillard, Épitaphes 58 (mit Nachzeichnung).
- Kerschbaumer, Geschichte 25 (B, E).
- Gregorovius, Grabmäler 140 (B), 225 (E).
- Forcella 3, 1078 (A, B, E).
- NN, Inschriften fol. 289 (B, E).
- Graus, Anima 15 (B).
- Schmidlin, Anima 286 (A) mit Abb. S. 282.
- Lohninger, Anima 81 (B).
- Höfler, Papst Adrian VI., 547 (B).
- Pastor, Geschichte der Päpste 4.2, 149 (A, B).
- v. Graevenitz, Deutsche in Rom 121 Abb. 44.
- Pasolini, Adriano VI. 123 (B) mit Abb. Taf. 20.
- Gregorovius, Tombe 84 (B), 75* (E) mit Abb. Taf. LX.
- de Waal, Roma Sacra 421 (B).
- Hocks, Papst 9 (B) mit Abb. nach S. 16.
- Montini, Tombe (1957) 314f. (A, B, E) mit Abb. 124.
- Houtzager, Tombeau 223f. (A, B, C, E) mit Abb. 68.
- Chastel, Sacco di Roma mit Abb. 71-73.
- Lenzenweger, Anima Abb. nach S. 10 (A).
- Kajanto, Papal epigraphy 103f. (A, B, E) mit Abb. 18.
- Götzmann, Ehrung (B) 107 (mit Abb. 1).
- Knopp/Hansmann, Anima 37 (B).
- Bredekamp, Kunst und Kultur mit Abb. 7.
- Altringer, Hadrian VI. 54 (B).
- Götzmann, Sepulchra 291 (B) mit Abb. S. 285.
- Verweij, Anima 33 (B), 76 (E).
- Götzmann, Grabmal 75f. (B, E).
- Bodar, Adriaan 67 (B).
- Verweij, Proh dolor 1 (B).
- Verweij, Grafschrift 299 (E).
- Fehl, Monuments 77 (B) mit Fig. 10.
- Daniels, Anfänge 35 (B) mit Abb. S. 36.
- Götzmann, Römische Grabmäler 278f. mit zahlreichen Abb.
- Verweij, Adrianus VI 123ff.
- Nikitsch, Hadrian VI. 15ff. mit Abb.1-3.
- Nikitsch, Netzwerke 284ff. mit Abb. 1-3.
Zitierhinweis:
DIO 3, Santa Maria dell’Anima, Rom, Nr. 89 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-dio003r001k0008907.
Kommentar
Sowohl die beiden in monumentalen erhabenen Bronzelettern ausgeführten Papstnamen im Boden vor dem Epitaph und auf dem Sarkophag als auch die beiden anderen, konventionell eingehauenen und schwarz gefassten Inschriften weisen den gleichen weitspationierten Schriftduktus aus. Die feinstrichig ausgeführten Buchstaben sind mit kräftigen Serifen und einer dezenten Linksschrägenverstärkung versehen. Auffällig ist die Gestaltung des E mit fast gleich langen Balken, M mit bis auf die Grundlinie reichendem Mittelteil und P mit offenem Bogen.
Hadrian11) wurde am 2. März 1459 in Utrecht (Niederlande) als Sohn des nicht unvermögenden Zimmermanns Florens Boeyenszoon und seiner Frau Gertrud geboren. Ab Juni 1476 studierte er in Löwen Artes, dann Theologie und Kirchenrecht, wurde 1490 zum Priester geweiht und 1491 zum Doktor der Theologie promoviert. Ab 1490 lehrte er Theologie an der Universität zu Löwen und fungierte zeitweise als deren Rektor bzw. Kanzler. An Pfründen hatte Hadrian verschiedene Pfarreien inne, war Kanoniker in Löwen, Propst in Utrecht sowie Propst und Dekan in Lüttich. Im Jahr 1507 wurde er von Kaiser Maximilian I. zum „paedagogus“, zum Erzieher seines in den burgundischen Niederlanden aufwachsenden Enkels, des späteren Kaisers Karl V., berufen. Seit 1512 Mitglied des Rats des jungen Fürsten, wurde Hadrian 1515 als Botschafter nach Spanien gesandt. Am 18. August 1516 zum Bischof im katalanischen Tortosa ernannt, fungierte er in der Folgezeit als Generalinquisitor für Aragonien, Navarra, León und Kastilien, zudem als Gouverneur für die Provinzen Kastilien und León, schließlich in Vertretung Karls V. als Statthalter für ganz Spanien. Auf Wunsch Karls V. erhob ihn am 1. Juli 1517 Papst Leo X. zum Kardinal mit der (auf dem Celio gelegenen) römischen Titelkirche SS. Giovanni e Paolo. Am 9. Januar 1522 als (nicht anwesender) Konsenskandidat zum Papst gewählt, nahm Hadrian als Hadrian VI. die Wahl nach einigem Zögern schließlich am 8. März an, schiffte sich am 15. August in Tarragona ein, ging am 28. August in Ostia an Land, übernachtete im Kloster San Paolo fuori le Mura und zog am 29. August durch die Porta Ostiense in die Stadt ein. Genau dieses Ereignis gibt das am Grabdenkmal angebrachte, dem Bildtypus des „Adventus“12) (feierlicher Empfang eines Herrschers durch die Bewohner der Stadt) folgende Relief wieder. Während seiner nicht unproblematischen Regierungszeit nahm Hadrian lediglich eine Erhebung zum Kardinal vor, die seines Vertrauten Wilhelm van Enckenvoirt, am 10. September 1523, wenige Tage vor seinem Tod. Hadrian starb nach mehrwöchiger Krankheit am 14. September 1523 und wurde in der Andreas-Kapelle in Alt-St. Peter in einem einfachen Backsteingrab13) beigesetzt.
Das kurze Pontifikat Hadrians VI. von nur 18 Monaten war hauptsächlich geprägt durch die beginnende Reformation im Reich, der er trotz einiger Maßnahmen und dem Versuch durchgreifender Reformen nicht begegnen konnte, durch die Streitigkeiten zwischen dem Reich und Frankreich, bei denen er vergeblich zu vermitteln versuchte, seinen auf erheblichen innerkirchlichen Widerstand stoßenden Maßnahmen zur Begrenzung des Ablass- und Pfründenwesens sowie seine radikale Beschränkung der verschwenderischen päpstlichen Hofhaltung, die (weil dadurch auch zahlreiche Aufträge an Künstler und Handwerker storniert wurden) vor allem in Rom auf großes Unverständnis stieß. Während der Plinius d. Ä. indirekt entlehnte14) kurze Grabspruch (B) auf das letztlich unglückliche Pontifikat Hadrians anspielt, geht die eigentliche Grabinschrift (E) nicht darauf ein: Sie teilt zunächst die Herkunft des Verstorbenen mit, um dann in gewählten Wendungen über seinen Werdegang, seine Ämter und Titel Auskunft zu geben, mit besonderer Betonung seiner Tugenden wie persönlicher Bescheidenheit, Vermeidung von Luxus und der Liebe zur Wissenschaft, Eigenschaften, die ihn letztlich doch als obersten Priester der Christenheit auszeichneten. Daher dürfte es kein Zufall sein, dass die sein Grabdenkmal schmückenden Figuren der drei theologischen und der vier Kardinaltugenden wohl in enger Bezugnahme auf sein Leben und seine theologische Gelehrsamkeit ausgewählt wurden15).
Auftraggeber und Finanzier des (von Hadrian ausdrücklich nicht gewünschten) Grabdenkmals16) war Kardinal Wilhelm van Enckenvoirt17), der den Sieneser Architekten und Maler Baldassare Peruzzi mit dem Entwurf18) betraute; ausführender Bildhauer war Peruzzis ebenfalls aus Siena stammender Freund Michelangelo (alias Angelo di Mariano), kleinere Arbeiten an den Figuren führte der Florentiner Niccolò Pericoli gen. il Tribolo aus. Die Grabinschrift selbst verfasste der Mönch und Dichter Baldassare Molossi gen. Tranquillo (Tranquillus Molossus). Die Arbeiten an dem Grabdenkmal begannen im Jahr 1524 und waren (nach einigen Unterbrechungen, u. a. durch den Sacco di Roma) im Jahr 1529 beendet. Erst am 11. August 1533, zehn Jahre nach seinem Tod, wurde Hadrian VI. aus seinem Grab in Alt-St. Peter erhoben, in einer feierlichen Prozession19) in die Anima überführt und im Chor der Kirche beigesetzt. Wie neuere Untersuchungen ergeben haben20), befindet sich sein Sarg in der Mauer der Kapelle hinter der Chorwand, genau hinter dem großformatigen Relief, das seinen Einzug nach Rom darstellt. Das Grabdenkmal für Hadrian VI. stellt das erste prachtvolle Ausstattungsstück des bereits 1510 geweihten Chores der neuen Kirche dar und wurde durch den hier erstmals in römischen Kirchen verwendeten Buntmarmor zum stilbildenden Vorbild für den Typus des Buntmarmorgrabmals der Hochrenaissance21).