Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 368† Bleidenstadt, ehem. Stiftskirche 1506 oder 1516?

Beschreibung

Weihe- und Gründungsinschrift des Klosters, ehemals über dem Eingang.1) 1615 kopial überliefert.

Nach Helwich.

  1. Regalis abbatia monasterii Sancti Ferrutii in Bleydenstat a Carolo Magno primo funditus initiata qui conduxit martyrem Christi Ferrutium a loco Castel dicto circa Rhenum Moguntinama) in locum laetantium servans exuvias excubiis sacris hic Carolus Magnus dotavit martyrem Christi Ferrutium eiusque monasterium opibus locupletavitb). Hinc Richolphus archiepiscopus Moguntinus idem monasterium dedicavit sub anno dominicae incarnationis octingentesimo duodecimo mense Junio indicatione decima quarta octavo idus eiusdem mensis in honorem domini ac salvatoris nostri Jesu Christi et sanctae Mariae matris eius et sancti Johannis Evangelistae sancti Martini confessoris egregii ac Bonifacii et Ferrutii martyrum Christi.

Übersetzung:

Die Abtei des Königsklosters des hl. Ferrutius in Bleidenstadt ist durch Karl den Großen zuerst von Grund auf begonnen worden, der den Märtyrer Christi Ferrutius von einem Ort am Rhein bei Mainz, der Kastel genannt wird, zum Ort der Frohlockenden gebracht hat. Um die Reliquien zu hüten, hat Karl der Große den Märtyrer Christi Ferrutius hier mit einer heiligen Wache ausgestattet und sein Kloster reich beschenkt. Danach weihte der Mainzer Erzbischof Richolf im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 812, im Monat Juni in der 14. Indiktion und zwar am achten Tag vor den Iden desselben Monats (6. Juni), dasselbe Kloster zur Ehre unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus und der heiligen Maria, seiner Mutter, des hl. Johannes des Evangelisten, des ruhmreichen Bekenners, des heiligen Martin, sowie der Märtyrer Christi Bonifatius und Ferrutius.

Kommentar

Mit dieser, an hervorgehobener Stelle angebrachten Inschrift rekurrierten die Stiftsherren auf das Alter und die Würde des Klosters bzw. Ritterstiftes als Ort der seit dem 9. Jahrhundert bestehenden Ferrutiusverehrung. Die Bezeichnung locus laetantium ist als Wortspiel mit der latinisierten Form des Namens Bleidenstadt2) zu verstehen, war doch das alte Kloster durch die Reliquientranslation gewissermaßen zum „Ort der Frohlockenden“ geworden. Dieser Terminus findet sich in identischer Form auch auf dem reich beschrifteten Ferrutius-Sarkophag (vorherige Nr.). Auf diesen bezieht sich ebenfalls die hier vorgenommene Datierung.

Nicht nur die von Helwich mitgeteilte Inschrift, sondern auch eine als Randnotiz zu der älteren Bleidenstädter Grenzbeschreibung3) des Klosters angemerkte Datumsangabe weisen die falsche Indiktion 14 auf, während für das Jahr 812 die Indiktion 5 richtig wäre.4) Die Indiktion steht sowohl in der Inschrift als auch in der Weihenotiz am falschen Platz zwischen Monatsnamen und -tag. Kipke folgerte daraus, daß die oben mitgeteilte Weiheinschrift in der überlieferten Form nicht auf älteren Quellen beruht haben kann und daß man in der Randnotiz zum Weihedatum in der erwähnten Grenzbeschreibung diese Inschrift zur Vorlage nahm.5) Die Renovierung der Kirche wird von Serarius belegt.6)

Textkritischer Apparat

  1. Von Helwich 429 mit Auslassungszeichen am Rand nachgetragen; in 431 fehlt dieser Zusatz.
  2. Helwich 429: locupletibus.

Anmerkungen

  1. Helwich 429: „In latere (...) templi ad murum supra ostium“; Helwich 431 überliefert die Inschrift ein zweites Mal mit der Lokalisierung „ab altero latere meridionali“, offenbar als Gegenstück zu den an der Nordwand befindlichen Richolf-Versen (Nr. 2).
  2. Der Ortsname „Blidenstat“ kann als volksethymologische Umsetzung möglicherweise von der Personennamenkurzform „Blido“ oder von dem ahd. Adjektiv „blidi“ = froh, heiter, verknüpft mit der geographischen Angabe abgeleitet werden. Üblicherweise ist in der Literatur die Herleitung von der adjektivischen Form in deren Umsetzung zu „Freudenstadt“ verbreitet; frdl. Hinweise von Dr. Wolf-Dietrich Zernecke, Mainz.
  3. Von der Bleidenstädter Grenzbeschreibung gibt es nur zwei Überlieferungen: eine Abschrift Böhmers (vgl. Böhmer-Will, Mon. Blid. 24 u. Anm.) aus einem damals in Würzburg befindlichen, verlorenen Statutenbuch und eine Papierkopie eines ebenfalls verlorenen Notariatsinstruments des 16. Jh. Der eigentlichen Grenzbeschreibung geht die Weihenotiz voraus, die das Datum nennt, an dem die Abtei von Erzbischof Richulf geweiht wurde. In dieser Notiz, die im erwähnten Notariatsinstrument enthalten ist, stehen im Text lediglich die Monats- und Tagesbezeichnung, während die falsch plazierte Indiktion marginal nachgetragen wurde, vgl. ausführlich Kipke, Bleidenstadt 14f. Die Abschrift Böhmers hingegen enthält im Text Inkarnationsjahr, Monat und Tag, die Indiktion fehlt jedoch. Aufgrund der Differenzen zwischen beiden Überlieferungen vermutete NUB I,1 Nr. 46 m. Anm. eine Fälschung mit Hilfe der älteren Bleidenstädter Inschriften, wobei beide das auf Joannis, Rer. Mog. I 381 basierende Regest Böhmers I 48 Nr. 19 ins Feld führten. Sowohl Serarius, Mog. Rer. 292 als auch diesen kopierend Joannis teilten jedoch keine tatsächliche Inschrift, sondern lediglich das Weihedatum der Kirche mit. Offenbar nahmen diese Gewährsleute auf die von Helwich mitgeteilte Weiheinschrift Bezug.
  4. Vgl. hierzu Kipke, Bleidenstadt 15.
  5. Ebd. 16.
  6. Serarius, Mog. Rer. III 292.

Nachweise

  1. Helwich, Syntagma 429, 431.
  2. Kipke, Bleidenstadt 15.
  3. Silbereisen, Chronik II 1.

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 368† (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0036805.