Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 335 Limburg, Bischöfl. Diözesanmuseum (aus Kloster Eberbach) 1503

Beschreibung

Kußtafel1) mit Stifter- und Ablaßinschrift, Heiligennamen und Initialen. Silber vergoldet, getrieben und gegossen, Inschriften graviert, Schmuck aus Bergkristall. Nach der Aufhebung Eberbachs 1803 wurde das Stück von dem ehemaligen Greiffenclauschen Frühmesser zu Winkel, Prof. Müller, erworben, der es Josephine Brentano schenkte, einer Tochter Franz Brentanos. Nach ihrem Tod gab ihr Ehemann Anton Brentano 1876 die Kußtafel an den Bischof von Limburg, Peter Joseph Blum.2) Auf einem rechteckigen Kastensockel rundbogiger Oberteil mit rechteckigem Fenster vorderseits, darin wächsernes Reliefmedaillon des „Agnus Dei“ mit Umschrift,3) anstelle des in der Inschrift genannten Medaillons Papst Alexanders VI. von Papst Pius VIII. zwischen 1829 und 1830 geweiht. Breitgekehlter Rundbogenrand der aus vergoldetem Silber gefertigten Schauseite der Paxtafel mit neun kleinen, sowie über und unter dem Fenster je einem großen Bergkristall-Cabochon, spätgotisches Rankenwerk an den Außenseiten. Auf dem Sockel vorne Stifter- und Ablaßinschrift (A), auf der Rückseite fortgeführt in (B). Die Rückseite des Oberteils zeigt beiderseits des mittig gesetzten Scharniergriffes die eingravierten Figuren des hl. Martin im Bischofsornat mit kniendem Bettler und der bekrönten hl. Katharina mit Abtsfigur zu Füßen. Unter den Heiligenfiguren in eigenen Schriftfeldern die Heiligennamen (C) und (D). Auf den Schmalseiten links Abtswappen mit Initialen, rechts Teil der Inschrift (A) unter Eberbacher Klosterwappen. Im Boden eingeritzt Marke. 1954 restauriert.

Maße: H. 21, B. 12; H. Sockel 3,3, B. 8,6, Bu. 0,5-0,8 cm.

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Freundeskreis Kloster Eberbach, Foto: Steffen Meyer [1/6]

  1. A

    HIC · INCLVSV(S) · AGNVSa) · DEIb) · Abc) · ALEX/ANDRO · P(A)PA · SEXTO · CO(N)SECRATV(S) / RAIMV(N)DI · CARDINALIS · EbIRbACEN(SE)c) · / MO(NA)STERIVM · DONO · HAbETc) · DEVOTE / OSCVLA(NTE)S · SVM(M)IS · FESTIS · (et)d) · ALI(I)Se) · XL · DI//ESf) MERET(IS)

  2. B

    DAT(VM) · bENIGNEc) Abc) · EODEM / LOCO · PREFATO · ANNO · Mo · / CCCCCo · TERCIO

  3. C

    S(ANCTVS) MARTINVSa)

  4. D

    S(ANCTA) KATERINA

Übersetzung:

Das hier eingeschlossene Agnus Dei, geweiht von Papst Alexander VI., wurde dem Kloster Eberbach als Geschenk Kardinal Raimunds gegeben. Ihr, die es an höchsten und anderen Festen demütig küßt, verdient 40 Tage [Ablaß] (A). – Von demselben dem vorgenannten Ort gütigerweise geschenkt im Jahre 1503 (B).

Wappen:
Kloster Eberbach; Abt Martin Rifflinck (Initalen M(ARTINVS) B(OPPARDIENSIS), dazwischen Abtsstab).

Kommentar

Die im Westen erst seit dem 13. Jahrhundert gebräuchlichen, in Deutschland seit dem 14. Jahrhundert belegten Kußtafeln waren Gerätschaften zur Erteilung des Friedenskusses (sog. „instrumentum pacis“). Das zum Typus der beiderseitig verzierten4) Paxtafeln gehörende Eberbacher Exemplar weist eine Reihe für die frühhumanistische Kapitalis typischer Buchstabenformen auf. Die N sind durchgehend spiegelverkehrt; I tragen teilweise Ausbuchtungen, das B ist doppelbogig wie auch als Minuskelbuchstabe ausgebildet, das E durchweg unzial, aber nicht zweibogig. Das M besitzt einmal weit auseinanderstehende, schräggestellte Hasten und einen kurzen Mittelteil; es kommt zudem vor mit parallel stehenden Schäften und fast auf die Grundlinie geführtem Mittelteil sowie zweimal in der „byzantinischen“ Form wie ein H mit mittig vom Balken senkrecht herabgezogener Haste. Das S von SANCTVS ist mit Kontraschleifen wie bei der späteren Fraktur versehen. Beim R setzen der kleine Bogen und die gerade ausgebildete Cauda in einem Punkt am Schaft an. Worttrenner sind kleine Quadrangel.

Eine stilistisch enge Verwandtschaft der hl. Katharina wurde zu einem Stich der hl. Barbara Martin Schongauers festgestellt,5) während für den hl. Martin bislang keine Vorlage namhaft gemacht wurde. In diesem Heiligen hat der seit 14986) amtierende, aus Boppard am Rhein stammende Abt (Nr. 339) seinen Namenspatron darstellen lassen. Rifflinck selbst ist als Adorant der hl. Katharina, seiner besonderen Patronin, abgebildet. Der inschriftlich genannte Stifter des ursprünglich vorhandenen, aus dem Wachs der ersten Osterkerzen des päpstlichen Pontifikatsjahres hergestellten „Agnus Dei“ war Kardinal Raimundus Perauldi (Bertrand Perauld, †1505),7) der mehrere Jahre in Mittel- und Nordeuropa als päpstlicher Legat und Generalrevisor unterwegs war. Anfang 1503 besuchte er das Mainzer Erzstift, visitierte dort die Klöster und verkündete den Ablaß.8)

Textkritischer Apparat

  1. S aus der rechten Haste des V gebildet.
  2. D ohne Haste, vorne offen.
  3. b als halbunzialer Minuskelbuchstabe ausgebildet.
  4. Tironisches et, spiegelverkehrt zur Normalform.
  5. I über Balken des L eingestellt.
  6. Die letzten Worte auf der Schmalseite.

Anmerkungen

  1. Vgl. zu Funktion, Form und Verwendung von Kußtafeln Braun, Altargerät 557-572.
  2. Auf Brentanos Wunsch hin wurde die Kußtafel als „Josephine und Anton Brentano-Stiftung“ in den Domschatz aufgenommen, vgl. die ausführliche Provenienzgeschichte bei Heinrich Karell, Der Limburger Domschatz. Typoskript Limburg 1960, o.S., Inv.-Nr. unbekannt. An dieser Stelle ist Herrn Direktor Dr. Gabriel Hefele, Dom- und Diözesanmuseum Limburg, für die frdl. gewährte Gelegenheit zu näherer Untersuchung der Tafel herzlich zu danken.
  3. Wortlaut der Umschrift: ECCE AGNVS DEI QUI TOL(LIT) PEC(CATA) MVN(DI) unten zweizeilig: PIVS VIII · P(ONTIFEX) · M(AXIMVS) · / AN ·, Rest unleserlich.
  4. In der Regel war nur die Schauseite kostbar verziert. Auf der weniger aufwendig gestalteten Rückseite wurde meist dann Bildwerk verwendet, wenn an der Vorderseite mit Glas Reliquien eingeschlossen waren, vgl. Braun, Altargerät 572.
  5. Schongauer Stich B 63, vgl. dazu Zisterzienser, Ordensleben 593 Nr. G 19.
  6. Abtsliste bei Schnorrenberger 121.
  7. Vgl. zu ihm Hierarchia Cath. ed. Eubel III 5f.
  8. Zisterzienser, Ordensleben 593.

Nachweise

  1. Luthmer (Lahngebiet 1907) 111 m. Abb.
  2. Steffen, Liturgische Kunstwerke Nr. 2, 55ff.
  3. Rosenberg, Merkzeichen 5ff., Fig. 4/5.
  4. Karell, Domschatz o.S.
  5. Johann Michael Fritz, Gestochene Bilder. Gravierungen auf deutschen Goldschmiedearbeiten der Spätgotik. Köln, Graz 1966 (Beih. d. Bonner Jb. 20.) 68 Abb. 47, 48 Kat. Nr. 425.
  6. Zisterzienser, Ordensleben 593-96 Nr. G 19 m. Abb. S. 594f.
  7. Zisterzienser, Eberbach 61 Nr. 4.1 (Übers.), 62 m. Abb.

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 335 (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0033500.