Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 414 Eltville, Kath. Pfarrkirche St. Peter und Paul 1539

Beschreibung

Epitaph des Pfarrers Adam Helsinger, der außerhalb des Chores vor dem St. Michaelsaltar begraben lag. In der Mitte des 18. Jahrhunderts wird das Epitaph „an der Cantzel“ lokalisiert,1) heute befindet es sich in der Südostecke des Chores. Qualitätvolles Renaissancedenkmal aus graugestrichenem Buntsandstein mit dreizonigem Aufbau. Über der Sockelzone mit sechszeiliger Grabinschrift (A) und dem dazugehörigen Datum (B) auf der Gesimsunterseite zeigt sich im zentralen Bildfeld das Relief des Gnadenstuhls über Wolkenfeld und Regenbogen. Unter dem Kruzifix mit Titulus (C) kleinformatige, kniende Gestalt des Verstorbenen als Adorant. Auf Kranzgesims Spruchinschrift (D), darüber gesprengter Segmentbogen mit mittig gesetztem Rundmedaillon, darauf die Halbfigur des Apostels Petrus mit Namensbeischrift (E). In den Zwickeln über dem Rundbogen zwei antikisierende Profilbüsten in Rundmedaillons. Initialen des Verstorbenen auf Wappenkartusche oben auf dem linken Pilaster, analog auf dem rechten die Jahreszahl (F). Bis auf einige Fehlstellen und Beschädigungen der Relieffiguren, vor allem beim Kruzifix, gut erhalten.

Erg. nach Helwich.

Maße: H. 253, B. 124,5, Bu. ca. 3 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

Forschungsstelle Die Deutschen Inschriften bei der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Foto: TGTempel [1/2]

  1. A

    ADAMO · HELSI(N)G[ER]a) SACRAE · THEO(LOGIAE) · LICEN(TIATO) · AC · H(VIVS) · PAROCH(IAE) · / PASTORI · VIGILA(N)[TIS]S(IMO)b) · P(ER) · M(V)LTA · ALIA · Q(VAE) · HIC · ET · MOGV(N)T(IAE) · IN · / SCHOLIS · ET · ECCLE(SIIS) · P(RAE)CLARE · DOCVIT · OB · SI(N)GVLARE(M) · I(N) · PAVP(ER)ESc) / PIETATE(M) · SV(M)MA(M)d) · ITE(M) · CVRA(M)d) · ERGA · CO(M)MISSV(M) · SIBI · GREGE(M) · / Q(VEM) · GRASSA(N)TE · PESTE · NO(N) · DESERVIT · AMICI · SVP(ERSTITES) · HOC · / MO(NVMENTVM) · F(IERI) · C(VRAVERVNT) · CO(N)CESSIT · Q(VI)B(VS) · DEBE(MVS) · O(MN)ES · FATIS ·

  2. B

    ANN(O) · A CHR(IST)O · NAT(O) · M · D · X[XX]IXe) · DIE · XXIII · NOVE(M)B(RIS)

  3. C

    I(ESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDEORVM)2)

  4. D

    QVI · MORTVOS · NOS · DICVNT · QVID · VIVERE · SIT · NO(N) INTELLIGVNT

  5. E

    SANCTVS PETRVS

  6. F

    1539

Übersetzung:

Adam Helsinger, dem Licentiaten der heiligen Theologie und wachsamsten Pfarrer dieser Gemeinde, haben wegen vielem anderem, das er hier und in Mainz in den Schulen und Kirchen vortrefflich gelehrt hat, wegen seiner einzigartigen Güte gegen die Armen und ebenso wegen seiner äußersten Sorge für die ihm anvertraute Gemeinde, die er nicht verließ, als die Seuche wütete, seine überlebenden Freunde dieses Denkmal machen lassen. Er gab dem Schicksal nach, dem wir alle nachgeben müssen (A). – Im Jahre von Christi Geburt 1539, am 23. November (B). -Die da sagen, daß wir tot sind, erkennen nicht, was es bedeutet zu leben (D).

Wappen:
Helsinger (Initialen A(DAM) H(ELSINGER), dazwischen zwei gegenläufig geschwungene Objekte).

Kommentar

Die Kapitalis orientiert sich an antiken Vorbildern. M zeigt leicht schräg stehende Schäfte und einen durchweg bis zur Grundlinie reichenden Mittelteil, R eine konkav gebogene, stachelartige Cauda. Worttrenner sind kleine Dreiecke.

Das Epitaph wurde von Lühmann-Schmid als zum Werk des Bildhauers und vermutlichen Schro-Schülers Hans (Johann) Wagner zugehörig beschrieben.3) Sie schlug eine postume Anfertigung in den Jahren 1540-1542 vor, wobei ihr als Anhaltspunkt für diese Datierung die Ähnlichkeit zu den Dekorationsformen der für 1543 gesicherten Gau-Odernheimer Kanzel diente.4) Dieser Zeitansatz wird durch die entsprechende Formulierung in der Grabinschrift abgedeckt, die die Auftragsvergabe für die Anfertigung des Denkmals durch Dritte vermerkt. Als Auftraggeber dürften Helsingers Testamentsexekutoren in Frage kommen. Es waren dies der Kanoniker am Mainzer Petersstift Wendelin Sporgenagel (Sporngel) und der Altarist zu St. Ignaz Johannes Frauenstein. Sie stifteten dem an einer Seuche5) Verstorbenen ein Anniversarium, dazu sechs hl. Messen, eine Armenspeisung und vier Gulden für die Kranken im Hl. Geist-Spital.6)

Adam Helsinger, gebürtiger Mainzer und Humanist, hatte als Lizentiat der Theologie, 1532 als „rector magnificus“ sowie als eifriger Lehrer und Pfarrer in Mainz und Eltville gewirkt.7) Die Grabinschrift hebt diese Lehrtätigkeit ebenso hervor wie seine Milde gegenüber den Armen, die sich auch in seiner Anniversar- und Armenstiftung für St. Quintin in Mainz dokumentierte.8)

Textkritischer Apparat

  1. Helwich las Helsinger. Kdm. zufolge restauriert, vermutlich wurde G zum heutigen O falsch rekonstruiert, anschließend verputzte Leerstelle (ca. 5 cm).
  2. Helwich vigilantiss., Kdm. VIGILA(...)S. Auch diese Textstelle wurde überarbeitet.
  3. Kdm. PAUPE(RTATE), dagegen Helwich PAUPERES. Auf dem Rand kleineres S.
  4. Kdm. fehlt gekürzte Endung M bei SVMMAM und CVRAM.
  5. Kdm. ANNO CHRO NAT MD ... DIE; Helwich MDXXXIX.

Anmerkungen

  1. Würdtwein, Epitaphienbuch 368 mit der Kurzversion der Inschrift Qui nos mortuos dicunt, quid vivere sit, nesciunt. Adamus Helsinger sacrae theologiae licentiatus plebanus Altavillanus grassante peste vigilantissimus pastor qui gregem suum non deseruit, obÿt 1539.
  2. Joh 19,19.
  3. Lühmann-Schmid 2, 94f. Die von ihr zusammengestellte Biografie des Künstlers, dem sie das auf der Kanzel in der Stadtkirche von Gau-Odernheim (Lkr. Alzey-Worms) und das auf dem 1531 entstandenen Doppelgrabmal des Dietrich Kämmerer von Worms gen. von Dalberg und seiner Frau Anna von Helmstadt in Wallhausen befindliche Künstlermonogramm IWB zuordnete, bleibt allerdings angesichts des Mangels an gesicherten Quellenbelegen hypothetisch. Die von Lühmann-Schmid Wagner zugeordneten Werke entstammen der Zeit um 1530, während mit Heinzelmann, Randnotizen 51 der erste gesicherte Urkundenbeleg zu Wagner erst für 1560 vorliegt. Zu dem in Schloß Wallhausen vermauerten Doppelepitaph Dalberg-Helmstadt vgl. DI 34 (Lkr. Bad Kreuznach) Nr. 274.
  4. Lühmann-Schmid 2, 95; der Schriftvergleich steht noch aus.
  5. Eine Pestepidemie in Eltville ist erst 1666 belegt, zu welchem Anlaß die Stadt Eltville den Pestheiligen Sebastian als Schutzpatron annahm, vgl. Kratz, Eltville II, 98f.
  6. Zaun, Landkapitel 68.
  7. Vgl. u.a. PMD III 258.
  8. Zaun (wie Anm. 6) nach Severus.

Nachweise

  1. Helwich, Syntagma 248.
  2. Zaun, Landkapitel 68.
  3. Roth, Geschichtsquellen III 242.
  4. Kratz, Eltville I Abb. S. 24.
  5. Lühmann-Schmid 2 Taf. 27 (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 414 (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0041404.