Inschriftenkatalog: Rheingau-Taunus Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 43: Rheingau-Taunus-Kreis (1997)

Nr. 274† Johannisberg, ehem. Klosterkirche kurz nach 1486?

Beschreibung

Gedenkinschrift bzw. Grabgedicht („Epitaphion“) für Abt Konrad von Rodenberg, vermutlich auf eine in der Nähe des Grabplatzes vor dem Benediktaltar an der Wand befestigte Tafel geschrieben oder direkt auf die Wand gemalt.

Nach Trithemius.

  1. Siste parum gressus paulumque morare viator!Conradi Rodeberg hic quia busta vides:Mons sacer1) hunca) Rhenus celebris quem conspicit amnisbMoribus, ingenio par cui nullus erat.Huius coenobii fuerat clarissimus abbasVirtutum cultor, relligionis amans.Primus enim nostrae iecitc) fundamina vitaeQuae Bursfeldensi nomine clara viget.Sobrius et castus pius integer atque quietusCui cibus et cultus parcus et asper erat.Hic etiam magno Christi genitricis amoreCaptus erat laudes scripsit et ille suas.Ipse pius magno fratrum dilectus amoreExtinctusque die qua sacra virgo parit.Ergo Deum iusta cuncti ratione precamurVt sibi sydereo det residere polo.Hoc tibi pro merito posuit Trithemius abbasQuem tua de Sponheim vota tulere patrem.

Übersetzung:

Hemme ein wenig die Schritte und verweile etwas, Wanderer, weil Du hier das Grabmal Konrad Rodenbergs siehst. Der heilige Berg erblickt diesen, den auch der berühmte Rheinstrom schaut. Ihm kam an Charakter und Geist keiner gleich, er war hochberühmter Abt dieses Klosters, ein Verehrer der Tugenden, ein Liebhaber der Religion. Als erster nämlich schuf er die Grundlagen unseres Lebens, das unter dem Namen Bursfelde in glänzender Blüte steht. Nüchtern und keusch, fromm, unbescholten und friedfertig war er, im Essen und in der Lebensweise genügsam und streng. Er war auch von großer Liebe zur Mutter Christi ergriffen und verfaßte Lobpreisungen auf sie. Fromm und von seinen Brüdern in großer Liebe geachtet, starb er an dem Tage, an dem die hl. Jungfrau gebar (25. Dezember). Also beten wir alle zu Recht zu Gott, daß er ihm vergönne, im Sternenhimmel zu verweilen. Dies setzte dir für dein Verdienst Abt Trithemius, den deine Stimme zum Abt von Sponheim erhob.

Versmaß: Neun Distichen.

Kommentar

In seinem Grabgedicht verknüpfte Abt Johannes Trithemius aus dem Benediktinerkloster Sponheim2) das Lob des Verstorbenen mit der historischen Tatsache, daß Abt Konrad das „Ordinarium divinorum“ und die Statuten der Bursfelder Union als erster in die gültige Form gebracht hatte. Sponheim gehörte seit 1470 der von Bursfelde ausgegangenen Reformkongregation an, und Trithemius, der 1482 dort die ewigen Gelübde abgelegt hatte, war einer der glühendsten Anhänger und Verfechter dieser monastischen Reformidee.3) Mit dem zeitüblichen Gepflogenheiten entsprechenden überschwänglichen Lob der Lebensweise des verstorbenen Abtes war zugleich der Hinweis für die Mönche des Klosters verbunden, ihm nachzueifern und damit selbst zu Beispielen der erneuerten monastischen Disziplin und Lebensführung zu werden. Grund für die Abfassung des Grabgedichtes war Rodenbergs Unterstützung bei der Wahl des Trithemius zum Abt von Sponheim im Jahre 1483, obwohl dieser damals erst 21 Jahre alt und in Klosterämtern unerfahren war.4) Ob Trithemius das Gedicht unmittelbar nach Rodenbergs Tod oder erst später, als er – zur Resignation von seinem Amt in Sponheim gezwungen und seit 1506 in der Abtei St. Jakob zu Würzburg tätig – seiner Wahl in bitterer Enttäuschung gedachte, läßt sich nicht definitiv klären.

Textkritischer Apparat

  1. Struck hic.
  2. Schlereth omnis.
  3. Chronist bei Schannat fecit.

Anmerkungen

  1. Anspielung auf Johannisberg.
  2. Vgl. zu seiner Tätigkeit als Verfasser von Inschriften DI 34 (Lkr. Bad Kreuznach) Nrr. 180, 181, 223 sowie zu seiner Grabstätte in Würzburg DI 27 (Würzburg) Nr. 463 mit Abb. 92.
  3. Vgl. Klaus Schreiner, Geschichtsschreibung im Interesse der Reform. Die „Hirsauer Jahrbücher“ des Johannes Trithemius (1462-1516). In: Hirsau St. Peter und Paul 1091-1991, Teil II. Geschichte, Lebens- und Verfassungsformen eines Reformklosters. Stuttgart 1991 (Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Forschgn. u. Berichte d. Archäol. d. Mittelalters i. Baden-Württ. 10/2.) 297-324.
  4. Ebd. 301; erwähnt bei Struck, Johannisberg 42.

Nachweise

  1. Trithemius, Chron. Spon. 399.
  2. Chronist in Schannat, Vindemiae I 158, ed. Roth, Geschichtsquellen III 96f. – Johannes Henricus Andreae, Crucenacum Palatinum cum ipsis Archisatrapia et Historia, Potissimum Politica et Literaria. Heidelberg 1784, 235.
  3. F. B. Schlereth, Der Johannisberg im Rheingau. In: Buchonia 3 (1828) H. 2, 1-44, hier 13.
  4. Struck, Johannisberg 41f. und 85 Anm. 294.

Zitierhinweis:
DI 43, Rheingau-Taunus-Kreis, Nr. 274† (Yvonne Monsees), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di043mz05k0027404.