Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 60† Oberwesel, Kath. Pfarrkirche St. Martin kurz nach 1400?

Beschreibung

Propheten mit Namensbeischriften und Bibelzitaten, ehemals ausgeführt als Gewölbemalerei im westlichen Chorjoch. Die acht paarweise zusammengestellten Propheten sind über ihren mit einer Art Turban bedeckten Häuptern namentlich bezeichnet und als aus einem gefalteten Wolkensaum ragende Halbfiguren dargestellt. In ihren Händen halten sie von ihnen ausgehende Spruchbänder oder Schriftrollen mit schwarz gemalten Inschriften1), bzw. deuten auf sie (A-H). Die Gewölbemalereien wurden erst 1914 freigelegt und vermutlich wiederhergestellt. Bei den groß angelegten Restaurierungen der Jahre 1965-66 durch W. Diernhöfer wurden sie jedoch vollständig abgekratzt, um der darunter liegenden, offensichtlich älteren Ausmalung mit Sonne, Mond und 379 Sternen den Vorzug zu geben2).

Nach der Tafel bei Clemen bzw. nach den 1965 vor der Entfernung hergestellten Fotoaufnahmen.

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

Bild zur Katalognummer 60: Prophet Ysaias mit Namensbeischriften und Bibelzitaten, ehemals ausgeführt als Gewölbemalerei im westlichen Chorjoch

Gisela Spennemann (GDKE Denkmalpflege) [1/2]

Bild zur Katalognummer 60: Prophet Sophonias mit Namensbeischriften und Bibelzitaten, ehemals ausgeführt als Gewölbemalerei im westlichen Chorjoch
  1. A3)

    Tobias · // [D]abo vobis sp(iritu)m novu(m) in medio v(est)ri4) ·

  2. B

    Daniel · // Du(m) venit s(an)c(tu)s s(an)c(t)or(vm) cessabit vncioa) v(est)ra5)

  3. C

    habacuc · // [D]e sp(irit)u effu(n)da(m) de sp(irit)u meo sup(er) om(n)em carne(m)6) ·

  4. D

    [E]zechiel · // [A]scendet eni(m) iter pa(n)dens ante eos · 7)

  5. E

    Ionasb) // [E]leuavit me sp(iritu)s (et) [..... in ostiu(m)] ih(e)r(usale)m8)

  6. F

    Sophonias · // [E]levabit se rex celor(um) super omnes gentes9) ·

  7. G

    · Ysaias · // ascenditb) sup(er) altitudine(m) nubiu(m) (et) mo(n)te(m) excelsum10) ·

  8. H

    Zacharias // [S]p(iritu)s d(omi)ni ornavit virtutes ewangelizanciu(m)c)11) ·

Übersetzung:

(A) Tobias: Ich werde euch einen neuen Geist in euer Inneres geben. - (B) Daniel: Wenn der Heilige der Heiligen kommt, wird eure Salbung aufhören. - (C) Habakuk: (Der Herr sagt) vom Geist: Ich werde meinen Geist über alles Fleisch ausgießen. - Ezechiel: Denn es wird vor ihnen der Wegbereiter heraufziehen. - Jonas: Der Geist hob mich empor und (führte mich) zum Tor von Jerusalem. - Sophonias: Der König der Himmel wird sich über alle Völker erheben. - Jesaias: Er steigt über die Höhe der Wolken und den hohen Berg empor. - Zacharias: Der Geist des Herrn hebt die Tugenden derer hervor, die das Evangelium verkünden.

Kommentar

Einige Versalien waren wohl in heller Farbe ausgeführt und sind dadurch auf der Vorlage nur noch zu ahnen.

Merkwürdigerweise ist lediglich Inschrift (G) der richtigen Quelle zugeordnet. Ungeklärt bleibt, warum die teilweise abweichend zitierten Bibelstellen nicht von den namentlich genannten, sondern von anderen Propheten stammen bzw. den Schriften der Kirchenväter zugewiesen werden können. Dies zeigt, daß der Verfasser der Inschriften nicht nur aus der Bibel, sondern auch aus einer zweiten, mittelalterlichen Quelle geschöpft haben muß. Inhaltlich verweisen die Sprüche auf die Visionen und Weissagungen der Propheten des Alten Testamentes, den kommenden Christus betreffend. Die figürlichen Malereien der acht, als alte bärtige Männer dargestellten Propheten gehören der zweiten Phase der Ausmalung der Martinskirche an und werden von dem Restaurator um die Mitte des 15. Jahrhunderts, kunsthistorisch aber bereits in die Zeit kurz nach 1400 datiert.

Textkritischer Apparat

  1. Sic! für unctio?
  2. Der Versal ist als vergrößerter Minuskel-Buchstabe ausgeführt.
  3. Sic!

Anmerkungen

  1. Nach von Lepel 4 und Clemen 336 waren die "Schriftbänder fast völlig unlesbar geworden. Einen einheitlichen, allen acht Sätzen zugrunde liegenden Sinn herauszulesen, ist nicht mehr möglich". Für die entscheidende Hilfe bei der Entzifferung der Inschriften danke ich meinem Kollegen Rüdiger Fuchs.
  2. Vgl. dazu Diernhöfer, Sternendecke pass. - Somit kann die Einschätzung Diernhöfers, die Ausmalung mit den Prophetendarstellungen sei "maltechnisch und künstlerisch gleichermaßen unbedeutend" gewesen, so daß "deren Entfernungen kein Verlust eines Kunstwerks war", nur noch am Foto, nicht mehr am Original überprüft werden. Gleiches gilt für die interessante Beobachtung der Denkmalpflege, daß die Halbfiguren "überraschende Ähnlichkeit mit den Figuren des Chorgewölbes der Mainzer Karmeliterkirche" besaßen; so Caspary, Kirchen 42.
  3. Die Inschriften sind von Osten her im Uhrzeigersinn aufgeführt.
  4. Ez 36,26 (teilw.).
  5. Gregorius Magnus (dubium), In librum primum regum expositionum, liber VI, cap. 97, lin. 2174; auch bei Quodvultdeus, Opera, Sermo 4, cap. 12, lin. 10.
  6. Joel 2,28.
  7. Mi 2,13 (teilw.).
  8. Ez 8,3 bzw. 11,1 (teilw.).
  9. Trotz Anklänge an einzelne Bibelstellen wie Ps 46,9 und Ps 112,4 so nicht in der Bibel nachweisbar.
  10. Jes 14,14 (teilw.).
  11. So nicht in der Bibel nachweisbar.

Nachweise

  1. Renard, Wiederherstellung, Abb. 49.
  2. von Lepel, Wandmalereien, Fig. 343.
  3. Clemen, Gotische Monumentalmalereien, Fig. 343 und Taf. 78.
  4. LfD Mainz, Fotoarchiv, Oberwesel, Martinskirche, bez."Fotoaufnahmen von den Gewölbemalereien der Oberweseler Martinskirche für Zwecke der Dokumentation und Inventarisation", Inv.-Nr. 65/9676 (Gisela Spennemann).
  5. Kern, Wandmalerei (Ms.).

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 60† (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0006009.