Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)
Nr. 52 Oberwesel, Kath. Pfarrkirche Unserer Lieben Frau 1385
Beschreibung
Grabplatte des Ritters Johann Schmidtburg von Schönburg auf Wesel und seiner Frau Gertrud Marschall von Waldeck, plan in die Südwand des nördlichen Seitenchores eingelassen. Große Platte aus rotem Sandstein mit Umschrift zwischen Linien, in den vier Ecken jeweils ein flachreliefiertes Wappen. Im Feld in Ritzzeichnung ausgeführte Darstellung des unter zwei Kielbögen stehenden1) Ehepaares: links der gerüstete Ritter im kurzen Waffenrock mit zugespitzter Beckenhaube, offenem Visier und Helmbrünne, die rechte Hand vor der Brust, die linke am Schwert; rechts seine Ehefrau in Kleid und Mantel, das Haupt mit Schleier und Rise bedeckt, die gefalteten Hände vor der Brust. Die Köpfe des Ehepaars sind vertieft in Flachrelief ausgeführt2). Abgesehen von kleineren Beschädigungen hat sich die Platte gut erhalten; leider wird der nicht überlieferte Text auf der unteren Leiste vollständig durch den neuzeitlichen Fußboden verdeckt.
Maße: H. 267, B. 150, Bu. 7,5 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.
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+ Anno · d(omi)ni · ma) · ccc · lx xiiiiib) k(a)l(e)n(das)c) / nouembris · o(biit) · strenuus · milesa) · Iohannes · smydeburg · de · schoneburg · cui(us) · a(n)i(m)a · r[e/quiescat in pace - - -] / idus · septembris · o(biit) · Gertrudi(s) · de · waldecke · vxor · ei(us) · cui(us) · a(n)i(m)a · req(ui)escat · i(n) · pace · amen
Übersetzung:
Im Jahr des Herrn 1360, am 15. (Tag) vor den Kalenden des November (18. Oktober) starb der tüchtige Ritter Johannes Schmidtburg von Schönburg, dessen Seele in Frieden (ruhen möge, Amen. ...) am (..) Tag vor den Iden des Septembers starb Gertrud von Waldeck, seine Ehefrau, deren Seele in Frieden ruhen möge, Amen.
Schönburg auf Wesel (Stamm I) | Marschall von Waldeck |
Schönburg auf Wesel (Stamm IIb)3) | Wale von Waldeck4) |
Textkritischer Apparat
- Bei m könnte es sich auch um ein Versal handeln, da es in der Form eines auf die Minuskel übertragenen, links geschlossenen unzialen Majuskel-M ausgeführt wurde.
- Die bisher durchgehend falsche Transkription dieser Jahreszahl als m ccc lxxviii (1378) übersah zudem, daß das angebliche v durch eine kleine, im Stein bereits vorhandene Beschädigung entstanden ist, auf die die beiden Anfangs-i Rücksicht nehmen mußten; zudem gibt es die Datumsangabe "xviii kalendas novembris" nicht; vgl. dazu auch Anm. 7.
- Befund klln, anschließend folgt eine ca. 25 cm lange, unbearbeitete Stelle mit einer weiteren, vermutlich seit jeher vorhandenen Beschädigung in der Mitte.
Anmerkungen
- Dies suggeriert zumindest die zu Füßen des Paares angedeutete Standfläche.
- Vgl. zu diesem auf Grabplatten dieser Zeit öfters zu beobachtenden Phänomen Einleitung Kap. 4.1.2.
- Das Wappen zeigt lediglich das Lilienszepter; es fehlt der bei dieser Linie sonst übliche (hier ursprünglich vielleicht aufgemalte) Herzschild.
- Ein Balken, begleitet oben und unten von je drei 2:1 gestellten gesenkten Flügeln.
- Vgl. zum Folgenden Möller, Stammtafeln AF I Taf. 34 und Taf. 41 sowie Rhein. Antiquarius II 7, 331ff. und Loutsch/Mötsch, Wappen 150.
- Sie war in zweiter Ehe mit Gerhard von Steinkallenfels verheiratet und gilt als Stammutter der späteren verschiedenen Linien derer von Waldeck; vgl. zu ihrer 1987 im Kloster Disibodenberg entdeckten Grabplatte DI 34 (Lkrs. Bad Kreuznach) Nr. 101 von 1401.
- Einzig Möller vermerkt zum einen - hier wohl in Unkenntnis der Inschrift - auf Taf. 34 das vermutlich aus Urkundenvergleich gewonnene Todesjahr 1360, allerdings ohne Tagesdatum, zum andern auf Taf. 41 das Todesjahr 1378. Pauly, Stifte 271 und Kdm. stellen beide Jahreszahlen unkommentiert nebeneinander; vgl. auch oben Anm. b.
- Vgl. dazu und zum Folgenden Rhein. Antiquarius II 7, 335f.
- Vgl. Nr. 46.
- Damit würde sich zumindest die Lücke erklären, die allerdings dann beim Nachtrag nicht ganz gefüllt wurde.
- Der kurze Waffenrock mit Kniekacheln und die mit der Beckenhaube verbundene Halsbrünne weisen in die Zeit bis spätestens 1370; dagegen sind die hier erstmals am Mittelrhein nachweisbaren, weit ausgezaddelten Tütenärmel und die am Taillengürtel angebrachten Schellen charakteristische Modeneuheiten für das letzte Viertel des 14. Jh.; vgl. dazu Rady, Kostüm 22 und 29. Ob der unbekannte Bildhauer bewußt "altertümelnd" gearbeitet und somit auf die Verwendung des aktuellen Rüstungstyps (Lendner mit Hüftgürtel) verzichtet hat, bleibt offen.
- Vgl. hierzu den ganz ähnlich gelagerten Fall eines 1348 bzw. 1365 verstorbenen, im Kloster Disibodenberg begrabenen Ehepaars DI 34 (Lkrs. Bad Kreuznach) Nr. 52.
Nachweise
- Rhein. Antiquarius II 7, 337 (teilw.).
- NN., Liebfrauenkirche (teilw.).
- Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 611.
- Kdm. Rhein-Hunsrück 2.2, 321 mit Abb. 193.
Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 52 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0005208.
Kommentar
Die Versalien der etwas unsauber gehauenen, gelegentlich wackelig ausgeführten Minuskel orientieren sich sowohl am Formenschatz der zu dieser Zeit noch gebräuchlichen gotischen Majuskel als auch an handschriftlichen Auszeichnungsschriften: Das pseudounziale A besitzt als besondere Zierform einen feinstrichigen, als schräg verlaufender Doppelstrich ausgeführten Mittelbalken, I erscheint als I-longa mit einseitig gezacktem Schaft und G in einer leicht eingerollten, oben fast geschlossenen Form mit nach außen umgebogenem, oberem Bogenabschnitt. Die de-Ligaturen sind in dieser Zeit selten, aber nicht ungewöhnlich. Als Worttrenner dienen Quadrangeln.
Der seit 1342 als Edelknecht, dann als Ritter bezeugte Johann Schmidtburg von Schönburg5), einer der zahlreichen Söhne aus der Ehe Lamprechts von Schönburg auf Wesel (Stamm I) mit einer unbekannten Tochter Johanns von Schönburg auf Wesel (Stamm IIb), war mit der 1354 erstmals erwähnten Gertrud verheiratet, einer der zahlreichen Nachkommen aus der ersten Ehe Johanns III. Marschall von Waldeck mit Hebela6), Tochter des Emmerich Wale von Waldeck. Gertrud überlebte ihren Mann um 25 Jahre und verheiratete sich nicht wieder.
Die Datierung der Grabplatte bereitet einige Schwierigkeiten. Da das Todesdatum des Mannes an der entscheidenden Stelle eindeutig ohne Worttrenner ausgeführt ist, bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten der Auflösung an, darunter die naheliegende, von allen bisherigen Überlieferern der Inschrift vertretene Lesung 13787). Die hier erstmals gewählte Lösung 1360 orientiert sich an einer am 28. Dezember 1365 ausgestellten Kaiserurkunde8), in der Heinrich Zorn von Schönburg, dem Bruder der vor "kurzer Frist verstorben(en)" Gebrüder Lamprecht von Schönburg9) und Johann Schmidtburg von Schönburg, die Reichslehen bestätigt werden, die ihm durch deren Tod zugefallen sind. Folgerichtig urkundet im folgenden Jahr Gertrud, die Ehefrau des verstorbenen Johannes, als "uxor domini Johannis Smyedeburg quondam militis".
Mit der Richtigstellung des Todesdatums des Ehemannes ist jedoch das Problem des Zeitpunktes der Entstehung der Grabplatte noch nicht gelöst. Wegen der freigelassenen Stelle auf der oberen Leiste und dem nicht mehr zu überprüfenden Todesdatum der Ehefrau müssen vier Möglichkeiten in Betracht gezogen werden: Entstehung zu Lebzeiten des Ehepaares vor 136010), kurz nach dem Tod des Ehemanns bzw. später, aber noch vor dem Tod der Ehefrau und schließlich nach dem Tod der Ehefrau. Auch die Beachtung kostümgeschichtlicher Details11) erlaubt keine nähere Datierung. Da jedoch die Schrift - einschließlich der entscheidenden Monatsnamen - offensichtlich einheitlich und in einem Zug gehauen wurde und die in der Regel bei Nachträgen entstehenden epigraphischen Abweichungen nicht beobachtet werden können, dürften die ersten drei Varianten ausscheiden. Die Grabplatte ist also höchstwahrscheinlich erst 1385, das heißt nach dem Tod Gertruds, hergestellt worden, und die Lücke auf der oberen Leiste könnte sich aus einer alten Beschädigung dieser Stelle erklären. Da das Ehepaar kinderlos geblieben war, ist an eine entsprechende testamentarische Verfügung der überlebenden Ehefrau12) zu denken, die wohl auch die Bestattung in dem Erbbegräbnis der Schönburger im nördlichen Seitenchor der Liebfrauenkirche miteinschloß.