Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)
Nr. 154 St. Goar, Evang. Stiftskirche 1506
Beschreibung
Glocke. Erste Glocke von Osten im Westturm. Große, reich verzierte Glocke mit auffallend flacher, stark profilierter Haube. Am Hals zweizeilige Umschrift zwischen Rundstegen, darunter eine wellenförmig gelegte Kordel, die sich am Schlagring zwischen Rundstegen wiederholt. Auf der Flanke insgesamt neun unterschiedliche Reliefs: Auf der Nordseite nebeneinander Reliefs der hl. Barbara mit dem Turm, der Muttergottes im Strahlenkranz mit dem Kind im Arm sowie der hl. Margarethe mit dem Drachen. Unter dem mittleren Relief ein durch vier seitliche Ösen als solches erkennbares Wallfahrtszeichen1) des hl. Goar unter einem Spitzbogen-Baldachin mit seinen Attributen Kelch in der Rechten, Kirchenmodell in der Linken und dem Höllendrachen zu Füßen; auf den beiden Leisten des Baldachins vielleicht unleserliche Namensinschrift. Rechts folgt ein großes Rundmedaillon mit der Darstellung der Muttergottes mit dem Kind auf dem Schoß. Auf der Ostseite der Flanke ein weiteres Rundmedaillon mit der thronenden Muttergottes mit Kind, auf der Südseite eine große Maßwerkzierform und auf der Westseite das Relief der hl. Katharina von Alexandrien mit Schwert und Buch. Dazwischen ein kleines Kreuzigungsrelief mit einer Öse am oberen Schaftende. Die am Wolm ausgezackte Glocke trägt einen Vermerk, der darauf schließen läßt, daß sie 1942 ins Glockenlager nach Hamburg2) verbracht wurde. Gewicht3) 2755 kg, Schlagton b.
Maße: H. 130, Dm. 162, Bu. 2,5 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
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sancte · goar · domini · confessor · et · alme · sacerdos · propicivs · nobis · tv · peccatoribvs · assis · hvivs · vasis · tactvs · depellat · demonis · actvs · / conflata · svm · a · wilhelmo · de · rode · ad · lavdem · dei · et · beati · goaris · confessoris · hvivs · ecclesie · patroni · incliti · anno · domini · mo · ccccco · vioa)
Übersetzung:
Heiliger Goar, Bekenner des Herrn und segenspendender Priester, stehe uns Sündern gnädig bei. Der Schlag dieser Glocke4) möge die Taten des Dämons vertreiben. - Ich bin gegossen worden durch Wilhelm von Rode zum Lob Gottes und des heiligen Bekenners Goar, des berühmten Patrons dieser Kirche, im Jahr des Herrn 1506.
Versmaß: Drei Hexameter, der dritte leoninisch zweisilbig rein gereimt.
Textkritischer Apparat
- M. CCCC. VI. Winkelmann; Grebel; mccccvi Lehfeldt; m cccvi Walter.
Anmerkungen
- Rechteckiger Gitterguß; Maße: H. 7,5, B. 4,5 cm.
- 15/25/341 C; vgl. dazu Meldebogen und Sauermann, Glocke pass.
- Angaben nach Meldebogen und Hungenberg.
- vas hier synonym für campana verwendet; vgl. Du Cange, Glossarium VI 247.
- So Poettgen, Glocken der Spätgotik 24. - Der als Herkunftsname zu deutende Familienname ist auch in den Schreibweisen Ro(e)id, Roide bzw. Roise nachzuweisen; vgl. dazu und zum Folgenden Renard, Glocken 33 bzw. 75, Wiegand, Glockenkunde 60 sowie Poettgen, Trierer Glockengießer 100f. und 116.
- Es läßt sich trotz inhaltlicher Anklänge keine Verbindung mit der sogenannten Trierer Hexameterwerkstatt herstellen, aus der im Zeitraum von 1410 bis 1460 über 20 unbezeichnete Glocken mit jeweils zwei leoninischen Hexametern hervorgegangen sind; vgl. dazu Poettgen, Trierer Glockengießer 80ff.
- Nach Benrath 2 entstammt der erste Vers der Goarsliturgie, die am 6. Juli, dem Festtag des Heiligen, und in der darauffolgenden Woche gefeiert wurde.
- Vgl. dazu mit Hinweis auf ihren überregionalen Charakter Pauly, Stifte 215.
- Vgl. dazu und zum Folgenden Nr. 148.
- Vgl. die folgende Nr. - Zudem hat sich eine kleine inschriftlose Glocke erhalten, die aufgrund ihrer Zuckerhutform zwischen 1150 und 1250 enstanden ist. Eine weitere, heute verlorene Glocke wurde bereits im Jahr 1502 gegossen und eine sonst unbekannte im Jahr 1626 durch spanische Truppen entwendet.
- Vgl. dazu Nr. 71.
Nachweise
- Winkelmann, Beschreibung 117.
- Knoch, Antiquitates § 112.
- Dielhelm, Rhein. Antiquarius 699.
- Grebel, St. Goar 33.
- AASS (Julii II) 333.
- Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler 630.
- Walter, Glockenkunde 227.
- Hungenberg, Glocken.
- Benrath, Stifter 16.
- Krammes, Stiftskirche 107.
- Baumann, Kirchtumsblicke 94 mit Abb.
- Nikitsch, Inschriften 42.
Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 154 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0015400.
Kommentar
Bei der teilweise unsauber gegossenen Minuskel fallen die buchstabengroßen, als Tatzenkreuze gebildeten Worttrenner auf.
Dem zuerst 1505 an der Mosel, danach mit den beiden St. Goarer Glocken und einer verlorenen in Bacharach-Steeg kurz am Mittelrhein und dann bis 1520 nur noch im nordtrierischen Raum tätigen, nach 1526 verstorbenen "Meister Wilhelm Glockengießer von Roide unter Vianden, Bürger zu Trier"5) sind insgesamt 15 Glocken nachzuweisen, darunter noch fünf erhaltene. Wilhelms Glocken ähneln in ihrer Gestaltung den Glocken des etwas früher tätigen Trierer Meisters Heinrich von Prüm, zudem benutzte Wilhelm mit dem Tatzenkreuz als Worttrenner eine auffällige Zierform, wie sie auch bei dem Trierer Meister Clais von Echternach nachzuweisen ist. Die Verwendung der wellenförmig gelegten Kordel scheint aber eine Eigenart Wilhelms gewesen zu sein. Die drei singulären Hexameter6) mit der Anrufung des Kirchenpatrons7) und dem apotropäischen Spruch dürften hingegen auf den Einfluß der St. Goarer Stiftsgeistlichkeit zurückzuführen sein. Zudem ist auf dieser Glocke zum ersten und zum einzigen Mal ein Pilgerzeichen der Wallfahrt zum hl. Goar8) in St. Goar nachzuweisen. Die auffällige Verwendung der zahlreichen Intaglien-Reliefs ist eine wohl der Arbeit am Mittelrhein zuzuschreibende Eigenart9), die Wilhelm mit dem wenige Jahr zuvor in Boppard tätigen Meister Heinrich von Prüm gemeinsam hat. Die Anbringung dieser Glocke und ihrer im gleichen Jahr gegossenen Schwesterglocke10) im veränderten Glockenstuhl dürfte den endgültigen Abschluß der 1444 begonnenen Umbaumaßnahmen11) im Bereich des Westturms bedeutet haben.