Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)

Nr. 114† St. Goar, Burg Rheinfels zw. 1479 und 1493?

Beschreibung

Gerahmte Tafel mit fünf die Grafen von Katzenelnbogen betreffende prosopographisch-chronikalische Inschriften (A-E). In einem 1607 erstellten Rheinfelser Inventar als in der Silberkammer aufbewahrte "ingefaßte" Tafel erstmals erwähnt1), wurde sie Mitte des 17. Jahrhunderts von Merian zunächst teilweise, dann 1697 von Winkelmann "auf der Repositur dieses Schlosses" hängend mit ihrer "sehr alt auf Pergament bezeichneten Schrift"2) vollständig textlich überliefert und soll noch 17393) dort zu sehen gewesen sein.

Nach Winkelmann.

  1. A

    ANNO DOMINI M. CC. LXXVI. OBIIT COMES DIETHERVS IN KATZENELNBOGEN I.a) OCTAVA EPIPHANIE DOMINI QVI ANNO EJVSDEM M. CC. XLV. INCEPIT CONSTRVERE DOMVM ISTAM RINFELS CIRCA FESTVM BEATI MARTINI EPISCOPI.

  2. B

    ANNO DOMINI M. CC. LV. OBSESSVM FVIT CASTRVM ISTVD A CIVITATIBVSb) ALEMANIE.

  3. C

    ANNO DOMINI M. CC. LXXVIII. OBIIT WILHELMVS COMES JULIACENSIS ET FILIVS HVJVS ET MVLTI ALII NOBILES.

  4. D

    ANNO DOMINI M. CCC. XXXI. OBIIT WILHELMVS COMES IN KATZENELNBOGEN IN VIGILIA B(EA)TAE ELYSABETH, QVI ANNO EJVSDEM MILL[.....]c) INCAEPIT CONSTRVERE CASTRVM RICHENBERG.

  5. E

    ANNO DOMINI M. CCCCLXXIX FERIA QVARTA POST JACOBI APOSTOLI OBIIT ILLVSTRIS DOMINVS PHILIPPVS COMES IN KATZENELNBOGEN ET IN DIETZ INTRA OCTAVAM ET NONAM HORAS POST PRANDIVM ANNO SVAE AETATIS LXXVII. CVJVS ANIMA REQVIESCAT IN PACE.

Übersetzung:

Im Jahr des Herrn 1276 starb Graf Dieter von Katzenelnbogen an der Oktav des Festes der Erscheinung des Herrn (13. Januar), der im Jahr des Herrn 1245 damit begonnen hatte, dieses Haus Rheinfels zu erbauen, ungefähr am Fest des heiligen Bischofs Martin (11. November) (A). - Im Jahr des Herrn 1255 ist diese Burg von den schwäbischen Städten4) belagert worden (B). - Im Jahr des Herrn 1278 starben Wilhelm Graf von Jülich und sein Sohn und viele andere Adelige (C). - Im Jahr des Herrn 1331 starb Wilhelm Graf von Katzenelnbogen am Tag vor dem Fest der heiligen Elisabeth (18. November), der im Jahr des Herrn (...) begonnen hatte, die Burg Reichenberg zu erbauen (D). - Im Jahr des Herrn 1479 am Mittwoch nach dem Fest des Apostels Jacobus (28. Juli) starb der edle Herr Philipp Graf von Katzenelnbogen und Dietz zwischen der achten und neunten Stunde nach dem Mittagessen, im Alter von 77 Jahren. Seine Seele möge in Frieden ruhen (E).

Kommentar

Bis auf die Inschriften (B) und (C) sind die Texte weitgehend in der Art der überlieferten Grabinschriften von prominenten Vertretern des katzenelnbogischen Grafenhauses gestaltet. Da sich Kanzlei und Hauptarchiv der Grafen von Katzenelnbogen stets auf Burg Rheinfels befunden haben und nach 1479 von den sie beerbenden Landgrafen von Hessen übernommen wurden5), dürfte es für die Verfertiger der Inschriften nicht schwer gewesen sein, sich die sie interessierenden genealogischen und historischen Nachrichten zu beschaffen6). So beziehen sich die Inschriften (A-C) auf den 1276 verstorbenen, im Mainzer Reichklara-Kloster begrabenen Graf Dieter V. von Katzenelnbogen7), dem die Erbauung der Burg Rheinfels an der heutigen Stelle zugeschrieben wird; Inschrift (A) bietet dafür einen frühen, wenn nicht den ersten Beleg8) überhaupt. Die in der folgenden Inschrift (B) angesprochene, weit mehr als ein Jahr dauernde (vergebliche) Belagerung der stark befestigten Burg durch 26 Städte des Rheinischen Landfriedensbundes9) wird durch die Angaben der zeitgenössischen Annales Wormatienses bestätigt. Dem in Inschrift (C) gedachten Tod von Graf Wilhelm IV. von Jülich10) kommt insofern eine gewisse Bedeutung für die katzenelnbogischen Verhältnisse zu, als es sich bei ihm um den Vater von Dieters zweiter Frau Margareta gehandelt hatte. Der aus dieser Ehe stammende Graf Wilhelm I. von Katzenelnbogen begann ab 1319 mit der Erbauung der in einem Seitental des Rheins bei St. Goarshausen gelegenen Burg Reichenberg11) - ein für seine Zeitgenossen offenbar bemerkenswertes Unternehmen, das auch in seine Grabinschrift12) Eingang fand. Mit der letzten Inschrift (E) übergeht die Tafel fast 150 Jahre katzenelnbogische Geschichte und macht einen Sprung zu Graf Philipp dem Älteren von Katzenelnbogen, mit dessen Tod am 28. Juli 147913) das Geschlecht im Mannesstamm ausstarb.

Der Umstand, daß die jüngste Inschrift das Jahr 1479 betrifft, muß zwar nicht zwangsläufig bedeuten, daß die 1607 erstmals erwähnte Tafel auch schon zu dieser Zeit bzw. noch im "15. J(ar)h(undert)"14) angefertigt worden ist. Allerdings legt die auffällige thematische Beschränkung der Inschriften auf Personen und Ereignisse aus der katzenelnbogischen Vergangenheit der Burg nahe, daß die Texte zu einer Zeit entstanden sind, in der man sich dieser Vergangenheit vergewissern und sie durch die öffentliche Präsentation in Form von Inschriften besonders hervorheben wollte. Dies könnten zwei zentrale Ereignisse ausgelöst haben: einmal der Übergang der bedeutenden Grafschaft Katzenelnbogen mit der Residenz Rheinfels an die Landgrafen von Hessen im Jahr 1479 bzw. 148315), zum andern die erstmalige Etablierung einer eigenen Linie Hessen-Rheinfels durch Graf Philipp d. J. im Jahr 156716) mit Sitz auf Burg Rheinfels. Für letztere Datierung spräche etwa, daß die Erinnerung der jeweiligen hessischen Herren der Burg an die katzenelnbogische Vergangenheit bis weit in die frühe Neuzeit hinein präsent war, wie etwa die genau dies betonende, von dem damaligen Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels-Rotenburg in Auftrag gegebene Bauinschrift von 167217) deutlich macht.

Andererseits läßt sich als gewichtiges Indiz für die eher frühe Entstehung der Inschrift kurz nach 1479 anführen, daß sie eben nur die zentralen Ereignissen aus der katzenelnbogischen Geschichte aufführt und den Aufsehen erregenden Übergang der reichen Grafschaft Katzenelnbogen an die Landgrafen von Hessen - im Gegensatz zu zeitgenössischen Chroniken und auch späteren Inschriften18) - inschriftlich nicht mehr ausdrücklich thematisiert. Der hier vorgeschlagene terminus ante quem orientiert sich an der Einschätzung, daß die zum Teil unbekannten Informationen der Rheinfelser Tafel in die 1493 in deutscher Sprache von Wigand Gerstenberg verfaßte Landeschronik von Thüringen und Hessen eingeflossen sein sollen19). Da die vorliegende Inschrift nach Winkelmanns zuverlässiger Überlieferung offenbar nicht in Minuskeln, sondern durchgehend in Großbuchstaben geschrieben war, dürfte es sich um eine in kapitalen Buchstaben abgefaßte Inschrift gehandelt haben - ob in (für den angegebenen Zeitraum jedoch anachronistischer) gotischer Majuskel, in frühhumanistischer oder gar Renaissancekapitalis, bleibt dahingestellt.

Textkritischer Apparat

  1. Sic! für I(N).
  2. civitatibus (XXVI.) Alemanie Merian.
  3. M.CC.LXX. Merian. - Da Burg Reichenberg erstmals 1319 in einer Urkunde Balduins von Trier für Wilhelm I. genannt wird, muß die Meriansche Überlieferung auf einem Abschreibfehler bzw. einer fehlerhaften Überlieferung der Rheinfelser Tafel beruhen; vgl. dazu auch Anm. 11.

Anmerkungen

  1. Vgl. Demandt, Rheinfels 416.
  2. Winkelmann 118. - Von Demandt, Regesten I 28 bzw. Nr. 121 wird der Inhalt der Rheinfelser Tafel wohl mit Bezug auf Diemar, Chronik 80 als "Rheinfelser Annalen" bzw. als "Annales breves Rheinfelsenses" bezeichnet, die mit einer nicht näher bezeichneten "Katzenelnbogische Nachrichten" genannten Quelle zusammenhängen sollen.
  3. So Grebel, Rheinfels 11.
  4. Gemeint ist der rheinische Landfriedensbund, dem auch zahlreiche süddeutsche Städte angehörten; vgl. dazu unten Anm. 9.
  5. Vgl. dazu Demandt, Regesten 1, 20f.
  6. So nimmt Demandt, Regesten 2 Nr. 6034 als Vorlage zumindest für Inschrift (E) eine 1479 verfaßte (inhaltlich allerdings nicht ganz übereinstimmende) handschriftliche Notiz auf einem Pergamentblatt an, das zum sogenannten Katzenelnboger Kopiar gehört.
  7. Die gotischer Majuskel ausgeführte Inschrift lautet: ANNO DOMINI MILLESIMO DVCENTESIMO SEPTVAGESIMO SEXTO IN OCTAVA EPIPHANIE O(BIIT) COMES DYTHER(VS) DE KAZE(N)ELENBOGE(N). - Die figürliche Grabplatte wurde im 19. Jh. an der Moosburg im Biebricher Schloßpark aufgestellt und gelangte von dort in das Museum zu Wiesbaden (Sammlung Nassauischer Altertümer); vgl. dazu DI 2 (Mainz) Nr. 673 und Demandt, Regesten 1 Nr. 207.
  8. Dieter errichtete die Burg auf einer Felsnase oberhalb der Stadt in seiner Eigenschaft als Vogt des Stiftes St. Goar und Inhaber des Rheinzolls anstelle einer älteren, gegenüber der Stiftskirche gelegenen Talburg; vgl. dazu Kunze, Burgenpolitik 60f. - Demandt, Regesten 1 Nr. 99 gibt als frühesten Beleg für diese Nachricht eben die Inschrift auf der Rheinfelser Tafel an.
  9. Obwohl Dieter selbst Mitglied des im Juni 1254 zu Mainz gegründeten Rheinischen Landfriedensbundes war, wurde er 1255 selbst zur Zielscheibe, da er mit der Erhebung neuer und höherer Zölle zu St. Goar gegen die Abmachungen des Städtebundes verstoßen hatte; vgl. dazu Grebel, St. Goar 73ff. und Demandt, Regesten 1 Nr. 121.
  10. Vgl. Europ. Stammtafeln NF XXVIII Taf. 27. - Inschrift (C) bezieht sich auf einen chronikalisch überlieferten Vorfall in Aachen, als die genannten Personen bei dem Versuch Steuern einzutreiben "vom Volk erschlagen" wurden; vgl. dazu Grebel 47.
  11. Die Rheinfelser Tafel bietet die erste Nachricht über die Erbauung der Burg; vgl. zum problematischen Gründungsjahr 1319 ausführlich Wagner und zur Baugeschichte dieses außerordentlich repräsentativen Bauwerks Kunze, Burgenpolitik 65ff. und Frank, Reichenberg pass.
  12. Während seine zweite Frau Adelheid von Waldeck in der Stiftskirche zu St. Goar begraben wurde (vgl. dazu Nr. 26) erhielt Wilhelm sein Begräbnis in der Kirche des Zisterzienserklosters Eberbach im Rheingau. Von seinem monumentalem Hochgrab hat sich nur noch ein kleines Fragment erhalten. Die in gotischer Majuskel ausgeführte Inschrift lautete: ANNO DOMINI M CCC XXXI XV KALENDAS DECE(M)BRIS OBIIT NOBILIS VIR COMES WILHELMUS DE KATZENELLENBOGEN Q(U)I CONSTRUXIT CASTRUM DICTUM RICHENBERG; vgl. dazu und zu dem um einen Tag abweichenden Todesdatum DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nr. 42.
  13. Philipp wurde ebenfalls in Kloster Eberbach bestattet und erhielt ein figürliches Epitaph mit folgender, in gotischer Minuskel ausgeführter Inschrift: anno domini m cccc lxxix v kalendas mensis iulii obiit nobilis domicellus dominus Philippus comes de Catzenelnbogen et Dietz strenuus miles cuius anima requiescat in sancta pace amen; vgl. dazu und zu dem abweichenden Todesdatum DI (Rheingau-Taunus-Kreis) 43 Nr. 256.
  14. So die Datierung von Demandt, Regesten 1, 28.
  15. Vgl. dazu Demandt, Kampf pass. und Nr. 421 mit Anm. 11.
  16. Vgl. dazu Demandt, Landgraf Philipp pass. und Nr. 261.
  17. Vgl. Nr. 421.
  18. Vgl. ebd.
  19. So Diemar, Chroniken, Einleitung 80 mit genauem Textvergleich der entsprechenden, allerdings oft stark von einander abweichenden Stellen. Da aber die historiographische Arbeitsweise Gerstenbergs offensichtlich aus einer "mosaikartigen Zusammensetzung von möglichst streng zeitlich ineinander geordneten Stücken aus zahlreichen und mannigfaltigen Quellen" bestand, bei der "lateinische Vorlagen (...) in meist sachlich treuer Übersetzung ausgezogen" (ebd., Einleitung 5) wurden, bleibt es fraglich, ob Gerstenberg tatsächlich in jedem der von Diemar angeführten Fälle die Rheinfelser Tafel als Vorlage benützt hat. Daß er sie dennoch in irgendeiner Form benützt haben dürfte, zeigt etwa die Mitteilung der Jahreszahl 1255 für den Beginn der Belagerung von Burg Rheinfels, die historiographisch nur in Inschrift (B) überliefert wird, vgl. dazu ebd. 219 Anm. 5.

Nachweise

  1. Merian, Topographia Hassiae 74 (A, B), 113 (D).
  2. Winkelmann, Beschreibung 118 (A-E).
  3. Lucae, Graffen-Saal 183 (A, B), 189 (D).
  4. Dielhelm, Rhein. Antiquarius 703 (A, B), 705 (D).
  5. Wenck, Landesgeschichte 272 (A-C), 273 (D), 278 (E).
  6. Grebel, Rheinfels 12 (A, B), 47 (C), 52 (D), 70 (E).
  7. Rutsch, Boppard 148 (D).
  8. Wagner, Reichenberg 159.
  9. Diemar, Chroniken 212 Anm. 17 u. 224 Anm. 15 (A, teilw.), 219 Anm. 8 (B, teilw.), Einleitung 80, Anm. 3 (C), 225 Anm. 3 u. 247 Anm. 18 (D, teilw.), 304 Anm. 1 (teilw.).
  10. Demandt, Regesten 1, 118 Nr. 207 (A, teilw.).
  11. DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nr. 42 Anm. 12 (D).

Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 114† (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0011402.