Inschriftenkatalog: Rhein-Hunsrück Kreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 60: Rhein-Hunsrück-Kreis I (2004)
Nr. 89 St. Goar, Evang. Stiftskirche nach 1470, 1494
Beschreibung
Grabplatte des Vikars Nicolaus Wel(le) und in Zweitverwendung des Kanonikers und Kustoden Johannes Welle. Aufgefunden bei den Bauarbeiten der Jahre 1979-1982, gegenwärtig innen an der Westwand des nördlichen Seitenschiffs befestigt. Große Platte aus rotem Sandstein mit Umschrift (A) zwischen Linien, oben im Feld ein eingeritzter Meßkelch mit Hostie, unten in den Ecken zwei kleine reliefierte Wappen. In der Mitte des Feldes nachgetragene Inschrift (B) in einem kreisrunden Schriftband, das sich parallel zur linken Schriftleiste nach oben hin fortsetzt. Im Inneren des Kreises ein zeitlich dieser Inschrift zugehörender, eingeritzter Meßkelch mit Hostie, darüber eine Benedictus-Hand. Auch wurde zwischen die beiden anderen ein drittes, ebenfalls dieser Inschrift zuzurechnendes, (vermutlich) mit den Initialen (C) bezeichnetes Wappen gesetzt. Mit Ausnahme der Mitte des Feldes und der linken Leiste ist die Platte erheblich beschädigt bzw. verwittert, die rechte Leiste fehlt vollständig.
Maße: H. 194, B. 97, Bu. 7 (A), 5,5 (B) cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel (A), mit Versalien (B).
- A
Anno domin[i - - - / - - - / - - - ho]norabilis / vir d(omi)n(u)s nicola(us) wel vicari(us) hui(us) ecc(lesia)e cui(us) a(n)i(m)a r(e)q[u](iesca)t i(n) p(ace)
- B
Anno · d(omi)ni · 1494 i(n) estiuaa) · lamp(er)ti · O(biit) · honorabilis · d(omi)n(u)s · io(hann)es · welle · custosb) · et · can(oni)c(us)c) · h(uius) · eccl(es)ie · c(uius) · a(n)i(m)a / reqviescat · i(n) · pac[e amen]
- C
i(ohannes) v(elle)d)
Übersetzung:
Im Jahr des Herrn (... starb der) ehrenhafte Mann, Herr Nikolaus Wel(le), Vikar dieser Kirche. Seine Seele ruhe in Frieden. - Im Jahr des Herrn 1494, am Fest des (heiligen) Lambert (17. September), starb der ehrenhafte Herr Johannes Welle, Kustos und Kanoniker dieser Kirche, dessen Seele in Frieden ruhe, Amen.
Wel(le)1) | unbekannt2) |
Welle3) |
Textkritischer Apparat
- Sic!
- t ohne Balken.
- Zweites c klein hochgestellt.
- Die Initialen sind nicht eindeutig zu identifizieren.
Anmerkungen
- Linksgewendet. Eber über erniedrigtem Wellenschrägbalken.
- Sechsspeichiges Rad; erkennbar sind die oberen drei Speichen.
- Eber über erniedrigtem Wellenschrägbalken, (vermutlich) begleitet von den beiden zu Seiten des Wappenschildes gesetzten Initialen i v.
- Vgl. dazu Pauly, Stifte 587 (Reg.) und Demandt, Rheinzollerbe I Nr. 5 Anm. 2 mit Hinweis auf Goar Welle, den am 21. März 1480 erstmals genannten und bis 1486 amtierenden ersten landgräflich-hessischen Zollschreiber zu St. Goar, der auch Mitglied der Fabrikbruderschaft von Liebfrauen in Oberwesel war (vgl. dazu Heinzelmann, Fabrikbruderschaft 72).
- Vgl. zum Folgenden Pauly, Stifte 224 und 263 (bei Weissenborn, Acten allerdings nicht nachgewiesen).
- Vgl. Demandt, Personenstaat II 940f.
- Vgl. dazu Pauly, Stifte 187.
- Vgl. dazu Knodt, Wappenbuch 143 mit Taf. 29.
Nachweise
- Ensgraber, Chronik 201 (B, teilw.).
Zitierhinweis:
DI 60, Rhein-Hunsrück-Kreis I, Nr. 89 (Eberhard J. Nikitsch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di060mz08k0008907.
Kommentar
Während die ältere Inschrift - allerdings ohne Worttrenner - in einer unauffälligen zeitgemäßen Minuskel abgefaßt ist, zeigt die jüngere eine sorgfältig gearbeitete, feinstrichige, mit Versalien versehene Variante dieser Schriftart. Bemerkenswert ist die Gestaltung des A-Versals als spitzes A mit nur leicht gewölbtem Deckbalken, das auf die zu dieser Zeit aufkommende Kapitalis hindeutet, sowie das fast kreisrunde O. Als Worttrenner dienen paragraphförmig ausgezogene Quadrangeln.
Die beiden Verstorbenen gehörten vermutlich einer in Oberwesel bzw. St. Goar ansässigen Familie4) an. Nicolaus Welle5) war 1452 an der Universität Erfurt eingeschrieben und bekleidete 1469/70 eines der neun Vikariate an der damaligen Stiftskirche St. Goar. Johannes Welle ist für 1462 ebenfalls als Student in Erfurt nachgewiesen. 1491/92 wird er als Kleriker zu St. Goar6) genannt und übte laut Inschrift das Amt eines Kustoden7) aus - allerdings konnte er in dieser Funktion in den (unvollständigen) Personallisten des Stiftes bislang nicht nachgewiesen werden. Aufgrund der Wappengleichheit dürfte der 1615 als Bürgermeister im hessischen Friedberg verstorbene Crato Welle8) ebenfalls dieser Familie angehört haben.