Inschriftenkatalog: Regensburg III (Dom II)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 95: Stadt Regensburg (2016)

Nr. 518† Kreuzgang, Mittelhalle, Ostseite, 6. Joch 1557

Beschreibung

Grabschrift für Johann Albrecht Widmanstetter, ehemals in der Mittelhalle des Kreuzgangs nahe bei dem Epitaph für seine ein Jahr vor ihm verstorbene Ehefrau Anna Lucretia (s. Kat.-Nr. 515). Die Grabplatte aus Sandstein war vermutlich im Boden eingelassen1).  Mitte des 19. Jahrhunderts finden sich die ersten Nachrichten über den Verbleib dieser Grabplatte. Joseph von Hefner ordnete sie den römischen Denkmälern zu2). Im Jahre 1878 veröffentlichte J. Meyer seine Recherchen sowohl über das Epitaph der Gemahlin Widmanstätters, als auch dessen Gedenkstein. Demnach hat der Verfasser ein Bruchstück eines Denksteins mit dem Namen Widmanstätters im Vereinslapidarium gesehen. Den weiteren Ausführungen zu Folge wird hier vermutet, dass sich die Gedenkschrift unterhalb des Epitaphs befand, bereits sehr abgetreten war und entfernt wurde. Bereits 1785, als Roman Zirngibl seine Arbeiten fertiggestellt hatte, war der Gedenkstein nicht mehr in situ vorhanden3). Im Jahr 1907 hat Max Müller, der Verfasser der Dissertation über Johann Albrecht Widmanstetter, das Fragment offensichtlich noch gesehen und die Inschrift als nur noch teilweise leserlich bezeichnet4). Trotz aller Bemühungen konnte der Gedenkstein nicht aufgefunden werden, sodass hier auf die Transkriptionen der genannten Autoren zurückgegriffen werden muss.

Text nach Müller.

Maße: H. 100 cm, B. 150 cm (Maße nach Hefner).

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. [---]I(ACET) H(IC) ALB(ERTVS)a) VIDMANSTA(DIVS) /[---](AET)ERNO PATRI ANIMA[M] /[---]VM CALIG(I)NE ADb)/[---]HAVSTOQ(V)Ec)

Übersetzung:

...liegt hier Albert Widmanstetter ...

Kommentar

Johann Albrecht wurde im Jahr 1506 in Nellingen (Lkr. Alb-Donau/B.-W.) als Sohn des Corradi Widmanstadii Elwanga-Helefantensis, also aus Ellwangen/B.-W. in der damaligen Grafschaft Helfenstein, geboren5). Seine akademische Ausbildung begann er mit dem Studium der Philosophie, der Rechte und des Hebräischen an den Universitäten Tübingen, Basel, Freiburg und Heidelberg. 1527 setzte er seine Studien in Italien fort. Im Alter von 21 Jahren hielt er bereits Vorlesungen über griechische Literatur in Turin. In Neapel und Rom erlernte er orientalische Sprachen. Im Jahr 1533 trat er als Sekretär in den Dienst des Papstes Clemens VII. (1523-1534) und später Pauls III. (1534-1549). Bereits nach zwei Jahren führt ihn sein Weg nach Capua/Italien, ebenfalls als Sekretär des Erzbischofs Nikolaus von Schönburg. Von 1539 bis 1545 war er Rat des bayerischen Herzogs Ludwigs X. Am 15. Januar 1542 heiratete er Anna von Leonsperg, eine illegitime Tochter Herzog Ludwigs und der Anna Margareta Eisengrein. Mit ihr hatte er drei Töchter. Von 1545 bis 1546 stand er als Rat in Diensten des Salzburger Erzbischofs Ernst, des Bruders Herzog Ludwigs X. Ab 1546 war er sechs Jahre lang Kanzler und Archivar des Bischofs von Augsburg, Kardinal Otto Truchsess von Waldburg. 1552 folgte er dem Ruf König Ferdinands I. nach Wien zunächst als Rat, dann als Kanzler; 1554 stieg er zum Superintendenten der Universität Wien auf und führte dort Reformen durch. Von Kaiser Ferdinand I. (1556-1564) wurde er mit der Gründung des Jesuitenkollegs in Wien beauftragt. Der größte Einschnitt in der unglaublichen Karriere des Staatsmannes, Humanisten und Orientalisten bedeutete der Tod seiner Gemahlin, die im Alter von nur 30 Jahren am 18. Mai 1556 in Regensburg starb (s. Kat.-Nr. 515). Noch im selben Jahr gab er alle weltlichen Ämter auf, ließ sich 1557 zum Priester weihen und bat um die Aufnahme in das Regensburger Domkapitel, nachdem der Passauer Bischof Wolfgang von Closen zugunsten Widmanstetters seine Pfründe resigniert hatte. Am 30. Dezember 1556 wurde er in das hiesige Kapitel aufgenommen. Kurze Zeit später, am 28. März 1557, starb er im Alter von 51 Jahren6).

Johann Albrecht Widmanstetter gilt als einer der bedeutendsten Wegbereiter der Orientalistik und Kenner der orientalischen Sprachen. Mit seiner Edition des syrischen Neuen Testaments und einer Einführung in die syrische Grammatik legte er den Grundstein für dieses Studium in Europa. Ebenso widmete er sich der Judaistik und Hebraistik und versuchte, die jüdische Geheimlehre Kabbala zu entschlüsseln. Sein Interesse galt auch der arabischen Sprache, die er ebenfalls mit einer Übersetzung des Korans und einer Grammatik nach Europa brachte. Nach Meinung der heutigen Forschung hatten all die Bemühungen den tieferen Sinn, sich aus kirchlicher Sicht mit dem Judentum und mit dem Islam auseinanderzusetzen. Seine berühmte Büchersammlung, ca. 1100 bis 1500 Bände, erwarb Herzog Albrecht V. bereits 1558. Sie bildet den Grundstock der heutigen Bayerischen Staatsbibliothek in München7).

Textkritischer Apparat

  1. AIB statt ALB, Hefner.
  2. GALIGINIEA T, Hefner.
  3. A AVSTOC, Hefner.

Anmerkungen

  1. Hefner, Die römischen inschriftlichen Denkmäler Regensburgs 39f.; Freytag/Hecht 28 (Widmanstätter wird im Zusammenhang mit dem Epitaph seiner Gemahlin Anna von Leonsberg genannt).
  2. Hefner, Die römischen inschriftlichen Denkmäler Regensburgs 39; Walderdorff, Regensburg 168.
  3. Mayer Joseph, Johann Albert Widmanstadius 513-531, hier 525f.
  4. Müller Max, Johann Albrecht von Widmannstetter 72.
  5. Rau, Sieneser Doktorpromotionen 293; Mayer Joseph, Johann Albert Widmanstadius 520f. beschreibt das Wappen Widmanstetters, auf dem sich der Elefant auf seine Herkunft aus Helfenstein (Helefantensis) bezieht und das doppelte Chronogramm MDVI sein Geburtsjahr bezeichnet. Auf dem Titelbild seiner syrischen Grammatik ist seinem Wappen der Spruch Fiat pax in virtute tua et abundantia in turris tuis (Ps 121,7) beigefügt, abgebildet bei Rebhan, Johann Albrecht Widmanstetter und seine Bibliothek 83 und Reidl, Gedenkmedaillen auf Johann Albrecht Widmanstetter 337.
  6. Biographische Daten und Fakten zusammengefasst nach Riezler, Widmannstetter 357; Ksoll-Marcon, Johann Albrecht Widmannstetter, Sp. 1548-1550; Rebhan, Johann Albrecht Widmanstetter und seine Bibliothek 81-83; Brekle, Domkreuzgang 86; Paringer, Herzog Ludwig X. von Bayern 61; Reidl, Gedenkmedaillen auf Johann Albrecht von Widmanstetter 336f.; ders., Das Grabmal einer Herzogin 55-57.
  7. Hacker, Die Münchner Hofbibliothek unter Maximilian I. 353; Rebhan, Johann Albrecht Widmanstetter und seine Bibliothek 81-83 (Wissenschaftlicher Werdegang und ausführliche Beschreibung der Sammlung).

Nachweise

  1. Hefner, Die römischen inschriftlichen Denkmäler Regensburgs 39; Müller Max, Johann Albrecht von Widmannstetter 72.

Zitierhinweis:
DI 95, Stadt Regensburg, Nr. 518† (Walburga Knorr, Werner Mayer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di095m017k0051803.