Inschriftenkatalog: Stadt Pforzheim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 57: Stadt Pforzheim (2003)

Nr. 196 Ev. Altstädter Pfarrkirche (St. Martin) 1582; 1584 oder 1585

Beschreibung

Epitaph des Joachim Giftheil (Giefftheil). Im Chor an der Nordseite; aufgefunden 1914 im Fundamentbereich der südlichen Kirchenwand; ursprünglich wohl im Langhaus. Hochrechteckige Platte aus rotem Sandstein; schmaler Rand durch Ritzlinie ausgegrenzt. Im Feld von oben nach unten: erste Zeile in griechischer Schrift A, lateinische Inschrift B, fünfzeilige hebräische Inschrift C, Wappen in Ritzzeichnung, lateinische Inschrift D. Die Zehner der Jahreszahl sind später nachgetragen und dann noch einmal korrigiert worden. Guter Erhaltungszustand.

Maße: H. 185,5, B. 79, Bu. 2,5–3,5 cm.

Schriftart(en): Griechische Kapitalis (A), Kapitalis (B, D), hebräische Schrift (C).

© Stadtarchiv Pforzheim [1/1]

  1. A

    XPHΣIMA ΠAIΣI EIΠE1)

  2. B

    IOACHIMVS GIEFFTHEIL / SENIOR PASTOR PFORTZENSIS · / DOMINI SVI IESV CHRISTI ET / SERVVS ET AMATOR FIDELIS / MORITVR AN(N)O . 1 . 5 . 〈85〉a) AT COE/LESTEM NVNC VITAM A=/GENS IN GREMIO SVAVIS=/SIMI SVI INTERCESSORIS / ET LYTROTEb) CHRISTI FILII / DEICVIVS CONSPECTV FRV=/ITVR SINE FINE BEATO .

  3. C

    /בִּדְבַר שְפָתֶיךָ אֱנִי שמ / שָמַרְתִּי אְרְחוֹה פָּרִיץ׃ (2 / ‏‎ ‎‏הַמַּשְכִּילִים יַזְהִירוּ כְּזֹהַר / הָרָקִיעַ וּמַצְדִּיקֵי הָרַבִּים / כַּכּוכָבִים לְעוֹלָם וָעֶד׃ (3

  4. D

    TEMPORE QVO STATVOR PROXIMA / SIPHRA DOCET . 1582

Übersetzung:

Sage den Kindern etwas Nützliches. (A) – Joachim Giftheil d. Ä., Pfarrer zu Pforzheim, sowohl treuer Diener als auch treuer Freund seines Herrn Jesu Christi, starb im Jahr 1585, aber er führt jetzt ein Leben im Himmel im Schoße seines allergütigsten Fürsprechers und Erlösers Christus, des Gottessohns, dessen herrlichen Anblick er ohne Ende genießt. (B) – Ich bewahre mich in dem Wort deiner Lippen vor Menschenwerk, vor dem Wege des Mörders. – Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich. (C) – Zu welcher Zeit ich (das Grabmal) aufgestellt wurde, zeigt die nächststehende Ziffer an: 1582. (D)

Versmaß: Hexameter (B), Pentameter (D).

Wappen:
Giftheil4.

Kommentar

Joachim Giftheil dürfte identisch sein mit dem aus Joachimstal stammenden „Joachimus Giffdel“, der am 7. Mai 1551 in Wittenberg immatrikuliert wurde. Zu seinem Namen wurde 1574 hinzugesetzt: „Minister verbi Ecclesiae pherensis“, was wohl verlesen oder verschrieben ist für „phorcensis“5. Er war von 1578 bis zu seinem Tod 1584 (oder 1585?) Archidiaconus, d. h. erster Pfarrer, in Pforzheim an der ev. Altstädter Martinskirche6. Seine in der Volkssprache beschriftete Grabplatte ist ebenfalls erhalten, nur ist deren Inschrift weitgehend zerstört7. Als überzeugter Lutheraner unterschrieb Giftheil die Konkordienformel. Mit seiner Frau Sara geborene Bever (Beuer oder Bauer) hatte er zwei Söhne, die das Erwachsenenalter erreichten. Joachim d. J. († 1599) wurde nach Studium 1582 in Tübingen 1584–1590 Pfarrer in Nöttingen (Gde. Remchingen, Enzkreis), 1598 Pfarrer in Dürrn (Gde. Ölbronn-Dürrn, Enzkreis)8. Der Sohn Martin, 1582–1586 immatrikuliert in Tübingen, war 1591–1612 Pfarrer in Berghausen (Gde. Pfinztal, Lkr. Karlsruhe). Eine überlebende Tochter war vermutlich Margarethe Giftheil verehelichte Pfeiffer9. Drei weitere Kinder des Paares starben alle im Jahr 157810.

Die Platte war zusammen mit der Platte für die Kinder des Joachim Giftheil11 beim Neubau des Langhauses 1823/24 aus der alten Kirche entfernt und als Fundament für die damals neu aufgerichtete Seitenwand der Kirche verwendet worden; bei der Fundamentierung der neuen größeren Sakristei auf der Südseite hat man die Platten 1914 aufgefunden und an die heutige Stelle versetzt.

Das in drei Sprachen, den drei „linguae sacrae“, abgefaßte und mit drei verschiedenen Schriften ausgeführte Epitaph ist eine epigraphische Seltenheit. Es gehört zu der kleinen Gruppe von Epitaphien, die mit der Gelehrsamkeit ihrer Auftraggeber beeindrucken wollen. Offensichtlich richtete sich ihr Text nur an die gelehrte Kollegenschaft, die allein diese Texte zu lesen und zu würdigen wußte. Der Bibelspruch nach Daniel 12,3 ist als Lob des Geistlichen als Lehrer seiner Gemeinde auf Epitaphien evangelischer Pfarrer häufig anzutreffen12.

Die Kapitalis stimmt in der Grundform mit der Schrift des Giftheil’schen Kinder-Epitaphs von 1578 überein, doch zeigt sie hier deutlicher ausgebildete Serifen, besonders bei E und L, und ein R mit einer geschwungenen, weit ausgestellten Cauda. Diese Merkmale waren wohl bei dem Kindergrabmal ebenfalls vorhanden und sind nur wegen dessen schlechten Zustands nicht mehr erkennbar. Beide Stücke sind aus der gleichen Werkstatt.

Textkritischer Apparat

  1. Die letzte Ziffer des Todesjahres 1584 ist zu 1585 verbessert worden.
  2. Griech. λυτρωτηής (Erlöser).

Anmerkungen

  1. χρήσιμα παισί είπε■. – Wohl Devise. Die Herkunft dieser Sentenz konnte nicht ermittelt werden. Prof. Dr. Klaus Hallof, Dr. Luise Hallof, Berlin, und Renate Vogeler, Heidelberg, danke ich für ihre Hinweise bei der Übersetzung.
  2. Ps 17,4 (ohne die beiden ersten hebräischen Wörter). Ich danke Dr. Frohwald G. Hüttenmeister, Tübingen, herzlich für seine Lesung und Identifizierung der beiden hebräischen Texte.
  3. Dn 12,3. Am Ende (also links) der ersten Zeile sind die beiden ersten Buchstaben des folgenden Wortes unvokalisiert (d. h. ohne Striche und Punkte) als Zeilenfüller eingemeißelt, das Wort steht dann aber vollständig am Anfang der nächsten Zeile. Die Form der Buchstaben ist ungewöhnlich.
  4. Zwei gekreuzte Hämmer, der rechte zugespitzt (hier sind außerhalb des Schildes zu beiden Seiten die bei nr. 198 beigefügten Sterne eingeritzt).
  5. Vgl. Matrikel Wittenberg I, 1841, 264.
  6. Vgl. Neu, Pfarrerbuch II, 1939, 196.
  7. Vgl. nr. 198.
  8. Vgl. Kremer, Lateinschule 1997, 180. In Nöttingen ist die Grabplatte des Enkels Benedikt Joachim († 1590) erhalten, die ebenfalls einen hebräischen – noch nicht entzifferten – Text enthält; vgl. DI 22 (Enzkreis) nr. 265. Die Grabplatte der Sara Giftheil war 1939 noch nachweisbar; vgl. nr. 216.
  9. Vgl. nr. 224.
  10. Zu ihrem schlecht erhaltenen Epitaph vgl. nr. 189.
  11. Vgl. ebd.
  12. Stellvertretend seien als Nachweise genannt: DI 25 (Ludwigsburg) nrr. 474, 579, 598; DI 47 (Böblingen) nr. 384; DI 54 (Mergentheim) nr. 473.

Nachweise

  1. Gerwig, Robert, Alte interessante Funde. In: Kirchliches Gemeindeblatt für Pforzheim 1914, nr. 10, 49f.
  2. KdmBadenIX/6, 63 nr. 1 mit Abb. 43.

Zitierhinweis:
DI 57, Stadt Pforzheim, Nr. 196 (Anneliese Seeliger-Zeiss), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di057h015k0019609.