Inschriftenkatalog: Mergentheim (Landkreis)

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 54: Landkreis Mergentheim (2002)

Nr. 21 Niederstetten, kath. Pfarrkirche St. Johannes Evang. 2. D. 14. Jh., 1588

Beschreibung

Gotisches Reliquiar mit Stifterinschrift des Würzburger Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn. Aus der Schloßkirche Haltenbergstetten, jetzt im Besitz der kath. Pfarrgemeinde Niederstetten; zur Zeit der Bearbeitung in einem Banktresor deponiert. Silber vergoldet, gegossen, getrieben, gepunzt und graviert; Glas und Email. Flacher Sechspaßfuß über mit gestanztem Rosettenfries besetzter Zarge; der steil aufsteigende Fußhals ist als sechseckiges Bauwerk mit Maßwerkfenstern und Strebepfeilern gestaltet und verjüngt sich nach oben zum sechseckigen Schaft, der durch einen mit sechs rautenförmigen Rotuli besetzten Nodus unterbrochen wird; auf den Rotuli Inschrift (B) auf blau emailliertem Schriftgrund (metall-positiv)1; der Schaft erweitert sich über einer profilierten Manschette zur kreisrunden Grundplatte des zylinderförmigen gläsernen Schaugefäßes; als Deckel ein über einem Zinnenkranz steil ansteigendes mit Krabben besetztes Kegeldach mit gegossenem Kruzifixus als Bekrönung; auf einem geschwungenen Schriftband der Kreuztitulus in erhabenen Buchstaben (A). Nachträglich wurden auf der Oberseite des Fußes eine Kreuzscheibe und eine dem Verlauf des Randes folgende Stifterinschrift (C) eingraviert; auf der Unterseite des Fußes Gewichtsangabe (D). Der Dorn im Schaugefäß des Reliquiars stammt – Inschrift (C) zufolge – von der Dornenkrone Christi.

Maße: H. 25,5, Dm. (Fuß) 9,4, Bu. 0,2 (A), 0,45 (B), 0,2 (C), 0,15 cm (D).

Schriftart(en): Gotische Majuskel (A, B), Kapitalis (C), kalligraphisch gestaltete gotische Kursive (D).

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/10]

  1. A

    INR(I)a)

  2. B

    G/R/A/C/I/A

  3. C

    DE · SPINA · DOMINI · QVAM / EGO · IVLIVS · EPISCOPVS · / WIRCEBVRGENSIS / ANNO DOMINI M · D · L / XXXVIII IMPOSVI

  4. D

    Wigt 9 Lot 3 ½ quindt

Übersetzung:

Vom Dorn des Herrn, den ich, Julius, Bischof von Würzburg, im Jahr des Herrn 1588 hineingelegt habe.

Kommentar

Die gotische Majuskel der Inschrift (B) zeigt spitz ausgezogene Bogenschwellungen und kräftige Bogeninnenschwellungen. Der Mittelbalken des A verläuft steil rechtsschräg. Die Hastenenden sind tief gespalten, die Sporen gebogen und an den Enden zu Dreiecken verdickt. Diese Schriftmerkmale deuten auf eine Entstehung im mittleren Drittel des 14. Jahrhunderts hin. Die gleichen Schriftformen finden sich bei den winzigen erhaben gravierten Buchstaben des Kreuztitulus (A). Herstellungsort und ursprünglicher Bestimmungsort des Reliquiars sind ebenso unbekannt wie sein ursprünglicher Inhalt.

Aus der Stifterinschrift (C) geht hervor, daß das Gefäß 1588 von Bischof Julius Echter von Mespelbrunn, in dessen Besitz es sich damals offenbar befand, durch Einfügen eines Dorns von der Dornenkrone Christi eine neue Funktion erhielt. Die Inschrift ist in einer sorgfältig gravierten, teilweise konturierten Kapitalis mit erhöhten Anfangsbuchstaben ausgeführt. Wie und wann das Dornenreliquiar nach Haltenbergstetten gelangte, ist wiederum nicht bezeugt, vermutlich aber erst nach 1641 nach der Übernahme der Ortsherrschaft durch die katholischen Grafen von Hatzfeldt, die im Schloß eine Marienkapelle errichteten und sich in der Folgezeit mit wechselhaftem Erfolg um die Rekatholisierung von Niederstetten bemühten. Der neue Ortsherr, Feldmarschall Melchior Graf von Hatzfeldt, war der Bruder des damaligen Würzburger Bischofs Franz († 1645), dies könnte den Weg des Reliquiars von Würzburg nach Haltenbergstetten erklären.

Die in einer kalligraphischen Kursive auf der Unterseite des Fußes eingravierte Gewichtsangabe könnte mit Inschrift (C) gleichzeitig sein.

Textkritischer Apparat

  1. Der letzte Buchstabe durch das eingerollte Ende des Schriftbands verdeckt.

Anmerkungen

  1. Zur Terminologie der Beschreibung von Inschriften auf emaillierten Goldschmiedearbeiten vgl. grundlegend Clemens Bayer, Gestaltung epigraphischer Schriften 97.

Nachweise

  1. Keppler 124 (nur C).
  2. Kdm. Jagstkreis I 308, 710 (nur C).
  3. N. Staufer, Die Monstranz von Niederstetten. Ein Kleinod von der Hand des großen Würzburger Fürstbischofs Julius Echter in der kath. Schloßkirche zu Niederstetten, in: Vergangenheit u. Gegenwart. Heimatbll. aus Geschichte, Kultur u. Leben (Beilage d. Ipf- u. Jagstztg.) 1932 Nr. 5 (der Aufsatz war mir nicht zugänglich).
  4. Ambros Vollkommer, Die katholische Kirchengemeinde, in: 650 Jahre Stadt Niederstetten 704–707, hier: 705 (nur erwähnt, dat. 1558!).
  5. Drös, Mittelalterl. u. frühneuzeitl. Inschriften 16f. (m. Abb.).

Zitierhinweis:
DI 54, Landkreis Mergentheim, Nr. 21 (Harald Drös), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di054h014k0002103.