Inschriften: St. Michaeliskloster und Kloster Lüne bis 1550
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 24: Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne (1984)
Nr. 36 Kloster Lüne (1470/80)
Beschreibung
Kelch. Silber, vergoldet. Auf durchbrochener Kante mit Vierpässen in diagonal gestellten Quadraten erhebt sich ein achtpassiger Fuß. Er besteht aus vier größeren und vier kleineren, einander abwechselnden Segmenten und geht in einen im Querschnitt kreisrunden Schaft über. Die kleineren Flächen des Fußes tragen je eine gefaßte Perle, die größeren je einen verschieden geschliffenen Edelstein, ebenfalls in Goldfassungen. Auf einen der größeren Pässe ist ein Wappenschild aufgenietet, ihm gegenüber befindet sich eine Trinitätsdarstellung, die allem Anschein nach aus neuerer Zeit stammt und als Ersatz für ein verlorenes Kruzifix dienen soll. Darauf deutet eine kleine, durch die Darstellung verdeckte Öffnung hin, die ungenutzt ist, sehr wohl aber Laschen zur Befestigung einer anderen Goldschmiedearbeit aufgenommen haben kann1). Der Nodus, im Querschnitt ebenfalls kreisrund, ist an seiner Ober- und Unterseite mit Dreipässen und Blattwerk in Schraffur ornamentiert und trägt vier symmetrisch angeordnete Rotuli, die als Zierscheiben mit Rosetten in Email ausgearbeitet sind. Zwischen diesen Rotuli schließen längsrechteckige, konvexe Rahmen vier Schriftfelder in blauem Email ein, deren Texte zusammen die Umschrift (A) ergeben. Am Schaft über dem Nodus steht (B), unter dem Nodus (C), jeweils umlaufend auf Kreuzschraffur. Unter dem Fuß ist als Gewichtsangabe eingeritzt: lvij lott.
Maße: H.: 21,5 cm; Dm. Fuß: 15,4 cm; Dm. Kuppa: 12,6 cm; Bu.: 0,7 cm (A); 0,8 cm (B, C).
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
- A
ihesusa) cristus marie filius
- B
ihesus cristus
- C
marie filius
Hoyer (auf rot-grün gerautetem Feld Schrägbalken mit drei Jünglingsköpfen)2) |
Textkritischer Apparat
- Das gesamte Schriftfeld ist nach einer vorübergehenden Entfernung falsch angebracht worden und steht auf dem Kopf.
Anmerkungen
- Knauf, S. 34, scheint der Auffassung zu sein, daß die „plastische Applikation einer Gnadenstuhldarstellung“ ursprünglich ist. Über die genannte Öffnung vermerkt er nichts. – Der Kelch ist S. 122 abgebildet. Falsch ist die darauf bezogene Angabe, das Stück sei „laut Inschrift“ von Propst Graurock gestiftet worden (S. 34, ebenso S. 47). Vielmehr wird der Stifter in keiner der Kelchinschriften genannt, sondern ist nur durch die Wappendarstellung am Fuß bekannt. Außerdem liegt in diesem Fall eine Verwechslung mit dem unter der folgenden Nummer behandelten Kelch vor. Bei Knauf entsprechen also Abbildung und Begleittext einander nicht.
- Büttner, s. p., zur Genealogie Hoyer über das Wappen: „ein grün und roth geweckter Schild mit einem überlegten grünen Quer-Streiff / besetzt mit dreyen Jünglings-Köpffen an ihrer natürlichen Farbe und mit licht braunen Haaren“. – Witzendorff, Stammtafeln, S. 56, spricht von einem „geschachten Schild“ in Grün und Rot. – Die Farben in der Darstellung am Kelch sind stark nachgedunkelt.
- Büttner, Genealogie Hoyer.
- Klosterannalen zum Jahr 1486; Druck bei: Meyer, Reformationsgeschichte, S. 167.
- Nicht nachgewiesen bei Büttner (wie Anm. 3), wohl aber bei Witzendorff (wie Anm. 2), S. 57.
- Fräulein A. von Pustau, Chanoinesse im Kloster Lüne, danke ich für entsprechende Auskünfte. – Bereits Nolte, S. 114, weist das Wappen – ohne nähere Begründung – der Priorissa Bertha Hoyer zu.
- Büttner (wie Anm. 3).
- Witzendorff (wie Anm. 2), S. 57.
- Wie Anm. 4. Der Passus lautet: Quae fuit XIV annos priorissa ante reformationem. – Nolte, S. 129, gibt ihre Amtszeit mit den Jahren 1468 bis 1481 an.
- Vgl. die Klosterannalen zum Jahr 1481: Meyer (wie Anm. 4), S. 168 f., sowie die Angaben über Sophia von Bodenteich unter Nr. 45.
- Wie Anm. 4: 1486. Ipso anno obiit domina Berta Hoyers VI Kalendas Martii in die S. Matthiae apostoli feria sexta post dominicam Reminiscere post prandium.
Zitierhinweis:
DI 24, Lüneburg: St. Michaeliskloster, Kloster Lüne, Nr. 36 (Eckhard Michael), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di024g002k0003606.
Kommentar
Die Familie Hoyer war in Lüneburg ansässig3), und da der Kelch ihr Wappen trägt, ist er als Stiftung eines ihrer Angehörigen an das Kloster zu betrachten. Grundsätzlich kommen als Stifter alle Familienmitglieder in Frage, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebten, in der Zeit also, auf die epigraphischer Befund und handwerkliche Gestaltung des Kelches hindeuten. Nun wurde das Kloster bis zum Anschluß an die Reform nach den Bestimmungen der Bursfelder Kongregation im Jahre 1481 von Bertha Hoyer als Priorissa geleitet4). Sie entstammte der genannten Familie5), und so liegt es nahe, das Wappen auf sie zu beziehen.
Daß ein solches Vorgehen statthaft ist, ergibt sich aus einem Vergleich mit dem unter der folgenden Nummer behandelten Kelch. In seiner technischen Ausführung sowie der Anordnung und Herstellung der Inschriften ist er ein genaues Gegenstück zum Kelch mit dem Wappen Hoyer. Beide Arbeiten müssen demnach etwa gleichzeitig entstanden und in derselben Werkstatt angefertigt worden sein. Da der zweite Kelch das Wappen des Nikolaus Graurock zeigt, ist er als Stiftung dieses Propstes nachgewiesen. Daraus folgt mit hoher Wahrscheinlichkeit, daß das Gegenstück von der Priorissa gestiftet wurde, das Wappen also tatsächlich auf Bertha Hoyer zu beziehen ist. So kann man den Kelch als Stiftung der Priorissa ansehen – eine Auffassung, die einer im Kloster Lüne mündlich bewahrten Tradition entspricht6).
Bertha Hoyer war eine Tochter des 1447 verstorbenen Heinrich Hoyer, der zunächst in Hamburg lebte und dort 1413 Ratsherr war7). Bald darauf siedelte er nach Lüneburg über, von wo die Familie stammte, und wurde hier im Jahre 1417 Bürgermeister8). Bertha Hoyer übernahm ihr Amt als Priorissa den Angaben der Klosterchronistik zufolge im Jahre 14679). Als im Oktober 1481 ein Reformkonvent aus dem Kloster Ebstorf in Lüne eintraf und Sophia von Bodenteich zur Priorissa gewählt wurde, mußte Bertha Hoyer zurücktreten10). Sie starb am 24. Februar 148611).
Den hier zu behandelnden Kelch hat sie vermutlich während ihrer Amtszeit gestiftet. Deshalb ist er auf 1470/80 datiert.