Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 96: Lkr. Northeim (2016)
Nr. 120† Wrescherode, Schachtenbeck 1 1557
Beschreibung
Glocke. Die Glocke hing im Dachreiter der Scheune des Klostergutes. Nach der 1878 von Brackebusch angefertigten Durchreibung befanden sich an der Flanke eine Abbildung des Erzengels Michael und ein Brakteatenabdruck mit dem Buchstaben P in der Mitte, gegenüber die Figur einer Heiligen (Kdm.: Veronica?) und ein Brakteatenabdruck mit K in der Mitte. Über einem hängenden Kreuzblumenfries die Inschrift. Am Anfang der Inschrift vor dem Kreuz ein Lamm Gottes, am Ende der Inschrift ein Brakteatenabdruck mit durchgestrichenem Dreieck und zwei kleinen C neben der Spitze des Dreicks.1) Die Glocke, die vermutlich aus dem Gandersheimer Marienkloster stammt2) – Brackebusch gibt allerdings eine Nachricht wieder, wonach sie erst 1837 aus dem Kloster Steterburg (heute Stadt Salzgitter) nach Wrescherode gebracht worden sein soll,3) – ist nicht mehr vorhanden. Der damalige Gutsbesitzer ließ nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Glocke gießen;4) möglicherweise wurde die vorliegende Glocke um 1940 beschlagnahmt und eingeschmolzen.
Inschrift und Maße nach StAW 142 N, Nr. 8 (Durchreibung).
Maße: H.: 39 cm; Dm.: 45 cm; Bu.: 2,5 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
+ mychael · gabriel · vriela) · raphael · summi · nunciib)5) · m · d · lvii
Übersetzung:
Michael, Gabriel, Uriel, Raphael, oberste Boten (d. h. Erzengel). 1557.
Textkritischer Apparat
- vriel] Fehlt Kdm.
- summi · nuncii] Am Anfang in der Durchreibung nur ein in den Oberlängenbereich verlängerter Schaft, der wie ein l aussieht; die obere Brechung des s nicht abgerieben oder nur schwach ausgeführt; außer diesem und dem c im zweiten Wort sind nur senkrechte Schäfte zu erkennen. In Kdm. Lücke.
Anmerkungen
- StAW 142 N, Nr. 8.
- Kdm. Kreis Gandersheim, S. 258 (Gandersheim).
- StAW 142 N, Nr. 8.
- Vgl. Kronenberg, Wanderungen, S. 161. Kronenberg gibt die Jahreszahl auf der Glocke – obwohl nach Kdm.! – irrtümlich mit „1517“ an.
- Isidor von Sevilla, Etymologien, lib. VII, c. V, 6: Archangeli Graeca lingua summi nuntii interpretantur. Isidori Hispalensis Episcopi Etymologiarum sive originvm libri XX, recognovit … W. M. Lindsay, Tom. I, Oxford 1911.
- Vgl. DI 83 (Lkr. Holzminden), Nr. 66. Kdm. Kreis Wolfenbüttel, S. 68 u. 58. Zu Cord Mente allgemein: Pfeiffer, Glockengießergeschlechter, S. 22–30. Vgl. auch die Glocke in Meerdorf von 1532; Kdm. Kreis Braunschweig, S. 282.
- In einem im Klosters Ebstorf überlieferten, um 1500 entstandenen Gebetbuch (Sig. IV. 5, fol. 137v) findet sich ein Gebet, das mit den Worten beginnt: O Michael Gabriel Raphael summi nuncii et omnes sancti angeli dei intercedite pro me … Vgl. Handschriften des Klosters Ebstorf, beschrieben von Renate Giermann und Helmar Härtel, Wiesbaden 1994, S. 28.
- Kdm. Kreis Gandersheim, S. 258 u. 200. Goetting, Benediktiner(innen)kloster Brunshausen, S. 97. Kronenberg, Wanderungen, S. 159–166. Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 1, S. 452 (C. Popp).
- Niedersächsisches Klosterbuch, Bd. 1, S. 452 (C. Popp).
Nachweise
- StAW 142 N, Nr. 8 (Brackebusch 1878, mit Durchreibung der Inschrift).
- Kdm. Kreis Gandersheim, S. 259.
Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 120† (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0012008.
Kommentar
Bemerkenswert an der späten, aber normgerechten gotischen Minuskel ist das Bogen-r, bestehend aus einem Kurzschaft mit senkrecht darüber gestelltem Quadrangel, am Anfang von raphael; r weist sonst einen leicht durchgebogenen Zierstrich am Quadrangel auf. Das y besteht aus einem senkrecht gestellten linken Schaft, der rechte Schaft ist zum Quadrangel mit Zierstrich reduziert und unten nach rechts umgebogen; am Bogen des h (die Oberlänge des Schaftes wurde nicht abgerieben) unten ein Zierbogen. Die Merkmale der gotischen Minuskel und die Schreibung von mychael deuten darauf hin, dass es sich bei dem Gießer um den von 1532 bis mindestens 1571 aktiven Cord Mente (gest. 1575/77) handeln könnte, der das y in der charakteristischen Form mit dem senkrecht gestellten, unten umgebogenen linken Schaft auch auf einer 1564 im Auftrag von Herzog Heinrich d. J. für die Kapelle in Eimen (Lkr. Holzminden) sowie auf einer 1571 für die Wolfenbütteler Hauptkirche gegossenen Glocke verwendete.6)
Isidor von Sevilla übersetzte das griechische ‚archangelos‘ (Erzengel) mit summi nuncii (vgl. Anm. 5). Die Anbringung der Namen von vier Erzengeln – einschließlich des kanonisch umstrittenen Uriel –auf einer Glocke im Jahr 1557 in einer Form, die an spätmittelalterliche Gebete erinnert,7) könnte zu einem Auftrag des altgläubigen Herzogs Heinrich d. J. passen, ebenso auch die ursprüngliche Aufhängung in einem Kloster. Das Klostergut Schachtenbeck entstand um 1574 auf Grundbesitz des 1570 aufgegebenen Gandersheimer Marienklosters, das zur Gründung des Pädagogiums, des Vorläufers der Universität Helmstedt, verwendet wurde; der Besitz des Marienklosters blieb Teil der Ausstattung der Universität. Zum Bau des Gutes wurde Material aus dem Abbruch der Klostergebäude verwendet.8) Es ist also gut möglich, dass die Glocke, entgegen der Nachricht bei Brackebusch, bereits in diesem Zusammenhang übertragen wurde. Das Kloster besaß um 1570 zwei kleinere Glocken, nachdem zwei größere während der schmalkaldischen Besetzung des Landes (1542–1547) entwendet worden waren.9)