Inschriftenkatalog: Landkreis Northeim

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 96: Lkr. Northeim (2016)

Nr. 117 Bad Gandersheim, Markt 9 1552

Beschreibung

Haus. Fachwerk (ass. Nr. 240). Das Haus ist acht Gefache breit an der Traufenseite zum Markt, sechs Gefache breit an der Giebelseite zur Stiftskirche. Das zweite Obergeschoss und der Dachstuhl vorkragend, Kehlen mit gedrehtem Tauband. Halbe Fächerrosetten an den Ständern des zweiten Obergeschosses und an den beiden vorletzten Ständern des ersten Obergeschosses an der Traufseite. Zwischen dem dritten und vierten Ständer von links an der Traufseite eine hohe rundbogige, etwa anderthalb Gefache breite Eingangstür mit vierfachem Taubandmuster, das innerste als gedrehtes Perlband. Links von der Rundung auf einer Brüstungstafel Inschrift A; Inschrift B auf dem Ständer links oberhalb der Rundung (die letzte Zeile kleiner und zentriert, die Zeilenenden rechts durch den Blendrahmen des benachbarten Fensters teilweise beeinträchtigt), Inschrift C auf einer kleinen dreieckigen Brüstungstafel rechts oberhalb der Rundung, Inschrift D etwas zurückgesetzt auf dem Türsturz unterhalb der Rundung. Inschrift E auf dem Eckständer unterhalb des Schwellbalkens des ersten Obergeschosses, die Zeilenanfänge sind ab der dritten Zeile teilweise durch den Blendrahmen des links anschließenden Fensters verdeckt; die jeweils ersten beiden Buchstaben der letzten vier Zeilen sind zerstört. Alle Inschriften erhaben in vertiefter Zeile, farbig (gold vor dunkelrotem Hintergrund) gefasst; zwischen den Zeilen Stege. Als Worttrenner Quadrangel, in (A) überwiegend mit nach oben und unten gerichteten Zierhäkchen. Die Fassade war um 1900 offenbar verkleidet, so dass Steinacker die Inschriften in seinem Band der „Kunstdenkmale“ nicht aufführen konnte.

Maße: Bu.: 8 cm (A), ca. 6 cm (B, C), ca. 4 cm (D), 7 cm (E).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Christine Wulf) [1/2]

  1. A

    HARMEN · BLANCKEN · / HEFT · DVTH · HVIS · / GEBWET · IN · DEM · / IAER · ALS · MEN · / SCHREIF · 1·5:52

  2. B

    HEDDE · WI · A[L] / EINEN · GELOVEN / GODT · VNDE · DE/N GEMEINEN · / NVTH · VOR · OGE(N) / EINE · ELLEN · MA/TE · RECH GEWIC/HTE · GVDEN · FRE/DE · RECH · GERIC/TE · EINE · MV(N)TE V/NDE GVT · GELT · SO / STV(N)DE · IT · WOL I(N) DE/R WELTa)1)

  3. C

    CHRISTVS · IS · MIN LEVE/NT · VNDE STER/VEN · IS · / MIN G/EW(IN)2)

  4. D

    VERBV(M) · DOM(I)/NI · MANET · IN · ETERNVM3)

  5. E

    HELP · GOT / VTH · NOTH / AFGVNST / [I]S · GROTH · 4)/ DOCH · WE/ME · GOT · G/ANb) · VNDE · WILE N[I]CH/[.] · NEREN / [. E]N · RANc) / [. .]MANT · / [. .]R · HERE(N)d)

Übersetzung:

Hermann Blancke hat dieses Haus erbaut im Jahr als man schrieb 1552. (A)

Hätten wir alle einen Glauben, Gott und den gemeinen Nutzen vor Augen, ein einheitliches Maß (Elle) und richtige Gewichte, guten Frieden und gerechte Gerichte, eine Münze und gutes Geld, so stünde es besser in der Welt. (B)

Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit. (D)

Hilf Gott aus Not, Missgunst (Neid) ist groß. Doch wen Gott kann und will nicht nähren, den kann niemand mehr retten (erhören). (E)

Versmaß: Deutsche Reimverse (B, E).

Kommentar

Die frühhumanistische Kapitalis zeichnet sich durch keilförmig verbreiterte Schaftenden aus. Der Balken des H ist mit einer Ausbuchtung nach unten versehen, I und der Schrägschaft des N weisen Ausbuchtungen nach rechts auf; der gebrochene Mittelbalken des A ist hoch angesetzt, das offene D und G sind spiegelverkehrt gestaltet, der Mittelteil des breiten, konischen M endet über der Mittellinie. Alle Formen sind bei der Bauinschrift A besonders sorgfältig gestaltet und teilweise weiter ausgeschmückt: Der Mittelbalken des durchgängig epsilonförmigen E ist hier gespalten mit umgebogenen Enden. In DOM(I)/NI (D) ein unziales D mit waagerechtem oberen Bogenabschnitt. Die Buchstabenformen der Inschrift E weisen dagegen die charakteristischen Merkmale der frühhumanistischen Kapitalis nur in geringerem Maß auf; I und N zeigen die reine Form der Kapitalis.

Inschrift B, die auf die religiöse Uneinigkeit des Reformationszeitalters Bezug nimmt, und dieser Uneinigkeit das Ideal einer Orientierung am gemeinen Nutzen in politischer und ökonomischer Hinsicht gegenüberstellt, wurde in der Mitte des 16. Jahrhunderts innerhalb weniger Jahre häufiger an Häusern angebracht: bereits 1545 in Hildesheim und ebenfalls 1552 in Braunschweig.5)

Textkritischer Apparat

  1. DE/R WELT] Das Ende ab R kleiner unterhalb der letzten Zeile, etwas rechts der Mitte, später in den Formen einer serifenlosen Kapitalis nachgeschnitzt; daher vermutlich auch die zum sonstigen Sprachstand nicht passende Ergänzung von DE zu DE/R. Text bereits 1970 bei Kronenberg, Markt 9.
  2. G/AN] Farbfassung des G wie C, die Cauda ist zerstört.
  3. RAN] R fehlrestauriert aus K.
  4. VNDE … HERE(N)] UNDE · WIL … CH · . . NEREN … KAN · MANT · . . HEREN Kronenberg, Markt Nr. 9; Kronenberg ergänzt mit Vorbehalt: und will recht ernähren, dem kann niemand wehren; ebd. und Kronenberg, Chronik. Eine mögliche Ergänzung ist: VNDE · WILE N[I]CH/[T] · NEREN / [DE]N · [K]AN / [NI]MANT · / [ME]R · HERE(N). Kronenbergs stimmige Ergänzung scheitert daran, dass für eine Verfälschung von [RE]CH[T] zu N[I]CH[T] der Platz fehlt; auch gibt es keinen Anschein, dass das heutige N am Wortanfang aus einem R nachgeschnitzt wurde.

Anmerkungen

  1. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 1, Sp. 1700, Nr. 93. Zu Maß und Gewicht vgl. auch Spr. 11,1.
  2. Phl. 1,21.
  3. Protestantische Devise nach I. Pt. 1,25.
  4. Wander, Sprichwörterlexikon, Bd. 2, Sp. 58, Nr. 1381. Vgl. z. B. DI 66 (Lkr. Göttingen), Nr. 245 (um 1600) u. 323 (1619?).
  5. Vgl. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 351 (mit überlieferungsgeschichtlichem Kommentar); DI 56 (Stadt Braunschweig II), Nr. 463.

Nachweise

  1. Kronenberg, Markt Nr. 9.
  2. Kronenberg, Chronik, S. 44 (B, E).
  3. Kronenberg, Häuserchronik, S. 363 (A).

Zitierhinweis:
DI 96, Lkr. Northeim, Nr. 117 (Jörg H. Lampe, Christine Wulf), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di096g017k0011707.