Inschriftenkatalog: Landkreis Luwigsburg

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 25: Lkr. Ludwigsburg (1986)

Nr. 496 Aldingen (Gem. Remseck a. N.), ev. Pfarrkirche St. Margaretha um 1600

Beschreibung

Tafelgemälde. Innen an der Nordwand des Kirchenschiffs. Das Ölgemälde auf Holz zeigt eine Darstellung der Himmelfahrt Mariens; es hat einen Aedikula-Rahmen mit Halbsäulen, Kranzgesims und (heute leerem) Innenfeld. Auf dem schwarzen Gesims weiß gemalte Inschrift in zwei Blöcken zu je 4 Zeilen. Der Rahmen wird flankiert von zwei Frauengestalten, links Fides mit Kruzifix und Buch, rechts Spes mit einem Falken.1 Unter den Tugenden in achteckiger Rahmung links ein Engelskopf mit Lilie als Attribut, rechts der Kopf Mariens mit Taube, beide Bilder zusammengesehen also eine verkürzte Darstellung der Verkündigung. Dem entspricht unter der Himmelfahrt auf einer Kartusche das leere Grab Mariens, umgeben von den Jüngern. Die Szene wird flankiert von zwei gemalten Wappen. Das Tafelgemälde hing früher an der Wand zwischen Chor und Schiff; es soll Teil eines katholischen Altars gewesen sein.2

Maße: H. 325, B. 226, Bu. 2,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/1]

  1. RES LOQUITUR, SCRIPTURA DOCET, DOCET HOC PIA PATRUM /TURBA, TUIS OCULIS HAEC QUOD IMAGO REFERT, /NEMPE, QUOD ALMA PARENS DOMINI SUPER ASTRA MEARIT /EIUS UT ET CORPUS MOX PENETRARIT EO //QUI NEGAT HOC, MATREM HANC NULLO DIGNATUR HONORE /ET SOLO ARBITRIO CREDIT AGITQUE SUO /SED PIUS HANC MATREM COLAT, ET NATUM EIUS ADORET /ILLE ETENIM SUA DATa) DONA, SED ISTA PETIT.

Übersetzung:

Die Sache (selbst) spricht, die Schrift lehrt, es lehrt die fromme Schar der Väter, was deinen Augen dies Bild dartut: nämlich, daß die segenspendende Gebärerin des Herrn über die Sterne aufgefahren ist, dergestalt daß auch ihr Leib bald (darauf) dorthin gelangte. Wer dies verneint, erweist der Gottesmutter nicht die schuldige Ehre, er glaubt und handelt nach eigener Willkür. Der Fromme aber verehre die Gottesmutter und bete den an, den sie gebar. Denn jener gewährt seine Gaben, diese jedoch erbittet sie.

Wappen:
KaltentalStein

Kommentar

Stifter des Gemäldes sind nach dem Zeugnis der Wappen Philipp Johann von Kaltental und seine Ehefrau Margarete Johanna von Stein. Das Ehepaar lebte um die Wende zum 17. Jahrhundert.3 Der Stil des Gemäldes weist in die gleiche Zeit. Philipp Johann war ein Sohn des Philipp Wolf von Kaltental (gest. 1584) aus der katholisch gebliebenen Linie des Hauses, die ein Drittel des von Württemberg lehenbaren Dorfes Aldingen innehatte.4 Die Stiftung eines Marienbildes – ursprünglich ein Altar-Retabel? – mit einer Beischrift, in der gerade die zwischen den Konfessionen strittigen Punkte des Glaubens in dogmatisch anmutender Weise betont wurden, war zweifellos in der von beiden Konfessionen genutzten Kirche als Manifestation des alten Glaubens beabsichtigt. Anders sind die Formulierungen in den Distichen 3 und 4 nicht zu deuten, die im letzten Pentameter sogar einen dogmatisch nicht fundierten Vorrang der Mutter Jesu vor ihrem Sohn implizieren und sich jedenfalls gegen Luthers Ablehnung der Maria als Mittlerin richtete.5 Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts galt bei der liturgischen Feier des Festes Mariae Himmelfahrt die Auffassung von ihrer leiblichen Auffahrt in den Himmel noch als ‚aliquid frivolum et apocryphum’, war also sehr umstritten.6 Der vorliegende Beleg ist ein bemerkenswertes Zeugnis für den Wandel dieser Anschauung, aber auch für eine Polemik – wenn auch in lateinischer Sprache –, die nur durch die Situation einer simultan genutzten Kirche verständlich wird.7 Das Bild wurde auch nach dem Ende des katholischen Gottesdienstes 1650 nicht aus der Kirche entfernt, ein Versuch der Gemeinde, es 1808 dem württembergischen Königshaus zu schenken, kam nicht zur Ausführung.8 – Die Inschrift ist in Distichen abgefaßt.

Textkritischer Apparat

  1. Verbessert aus DAD.

Anmerkungen

  1. Vgl. RDK. VI 1314 mit Belegen.
  2. G. F. Müller, Aldingen 19f.
  3. Bucelin II. 2. M; Schilling 360.
  4. Vgl. nr. 399.
  5. Für die Formulierung der Distichen kann nur ein geschulter Theologe in Betracht kommen; auch das einleitende Distichon mit dreifachem Beweis: Vernunft (Sache), (heilige) Schrift, Kirchenväter weist auf einen gelehrten Verfasser.
  6. Vgl. dazu RGG 3IV (1960) s. v. ‚Marienverehrung’ passim, insb. 764f. und ebd. s. v. ‚Mariologie’ 769.
  7. Vgl. auch Lieske, Protestantische Frömmigkeit 1973, 116f. und Abb. 98.
  8. G. F. Müller a. a. O.

Nachweise

  1. Lieske (wie Anm. 7) 117 u. Abb. 98.

Zitierhinweis:
DI 25, Lkr. Ludwigsburg, Nr. 496 (Anneliese Seeliger-Zeiss und Hans Ulrich Schäfer), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di025h009k0049600.